# taz.de -- Interview mit einem Jäger: „Jagdtrophäen sind Staubfänger“ | |
> Eckhard Fuhr ist Vizevorsitzender des Ökologischen Jagdvereins | |
> Brandenburg, mag das Lodenbrauchtum nicht und sieht die Jagd als | |
> Naturschutz. | |
Bild: Eckhard Fuhr ist Jäger, aber nicht draußen, um Trophäen zu jagen | |
taz: Herr Fuhr, in alarmroter Jacke und Kappe hatte ich Sie nicht erwartet | |
für unseren 5-Uhr-Ausflug auf den Hochsitz. Wieso keine Tarnfarben? | |
Eckhard Fuhr: Wenn man zu mehreren jagt, sind Signalfarben aus | |
Sicherheitsgründen sogar vorgeschrieben. Das hier sind eigentlich | |
Radfahrerklamotten aus Wolle. Ich möchte Naturfasern tragen, aber für Jäger | |
gibt es da kaum etwas außer grünem Loden. Und grünen Loden trage ich nicht | |
so gern. | |
Zu traditionell? | |
Die Loden-Subkultur mit ihrem Brauchtumsgeblase und -getute war mir schon | |
immer fremd. Ich bemühe mich, Jagd und mich selbst so darzustellen, dass | |
klar ist: Das hat nichts damit zu tun. | |
In Ihrem Buch „Jagdkunde“ schreiben Sie: „Die Jäger haben vor allem ein | |
Problem mit sich selbst.“ | |
Viele stehen sich mit ihrer Sonderkultur im Weg. Ihnen geht es um die | |
Tradition und die Trophäen. Eine fragwürdige Orientierung, aber für viele | |
so identitätsstiftend, dass man nicht dagegen ankommt. Das merkt man auch | |
daran, dass die Bockjagd jetzt im Mai beginnt. Es wäre besser, im April | |
anzufangen, den ganzen Sommer Ruhe zu halten und dann wieder im Herbst zu | |
jagen. Aber für die traditionellen Jäger ist es am tollsten, im Hochsommer, | |
wenn die Rehe in der Brunft sind, den Bock zu jagen. | |
Sie sind stellvertretender Vorsitzender des Ökologischen Jagdvereins | |
Brandenburg. Was sagen denn die sogenannten Traditionellen über den ÖJV? | |
Ein Verband wie der Deutsche Jagdverband, der 250.000 Jäger repräsentiert, | |
ist natürlich etwas anderes als einer mit 4.000 Mitgliedern. Für die sind | |
wir ein Försterverein, sie sagen, wir seien wildfeindlich. Uns gehe es | |
darum, das Schalenwild (die dem Jagdrecht unterliegenden Paarhufer, die | |
Red.), na ja, auszurotten. | |
Aber sind Jäger nicht letztlich alle wildfeindlich? | |
Aus der Sicht des Wildes ist das sicher so. Aber die traditionellen Jäger | |
verstehen sich natürlich als Anwälte des Wildes und Heger. Wir lehnen die | |
Hege ab, wie sie noch im Jagdgesetz steht. Danach sollen Fütterung und | |
Äsungsflächen letztlich höhere Wildbestände garantieren. Jeder | |
traditionelle Jäger wird das bestreiten, aber dahinter steckt der Wunsch | |
nach einem hohen Trophäenpotenzial. Sie betrachten uns als diejenigen, die | |
ihnen alles wegnehmen wollen, was ihnen an der Jagd gefällt. | |
Was denn alles? | |
Das Selbstbild als gütige, paternalistische Hüter der Natur. Uns geht es um | |
ein neues Bewusstsein. Jagd muss forstlichen Zwecken dienen, dem Umbau der | |
Forsten in klimastabilere Mischwälder – und dafür müssen die unnatürlich | |
hohen Schalenwildbestände deutlich gesenkt werden, weil sich sonst der Wald | |
wegen des hohen Verbisses junger Triebe nicht aus eigener Kraft erneuern | |
kann. Die traditionellen Jäger folgen einer Hierarchie der Arten: Ganz oben | |
stehen die jagbaren Arten, der Rothirsch, der Damhirsch, das Wildschwein, | |
das Rehwild. Um Baumarten geht es ihnen nicht. Und das, obwohl die | |
Bewirtschaftung des Waldes eine langfristigere Auswirkung hat als die des | |
Schalenwildbestands. Unsere Haltung zum Wolf tut ein Übriges, er ist für | |
uns ein Kollege der Jäger. Der ÖJV ist zwar kein Wolfsschutzverband, aber: | |
Es gibt vielleicht 1.000 Wölfe in Deutschland und Millionen Rehe und | |
Wildschweine – diese Populationen können die Wölfe gar nicht eindämmen. | |
Wir sind am Rande von Blankenfelde in Pankow. Wie oft kommen Sie her? | |
Zwei-, dreimal die Woche. Aber jetzt während der Maijagd immer morgens und | |
abends. Da kommen 20 Leute zusammen, wir bejagen den ganzen Bucher Forst. | |
Da, dort ist ein Schwein, das Dunkle, da drüben im Schilf. Nein, mehrere! | |
Wieso jagen Sie ausgerechnet hier? | |
Es ist eine – auch finanziell – günstige Jagdgelegenheit. Und so nah an der | |
Stadt: Wo gibt es das sonst schon? | |
Sogar mit Blick auf den Fernsehturm. | |
Das hat schon was, ja. Ich habe seit zehn Jahren einen Begehungsschein, um | |
hier zu jagen. Die Fläche untersteht eigentlich dem Grünflächenamt, der | |
Bezirk hat das jagdliche Management dem Forst übertragen. Das Revier geht | |
bis zur ehemaligen Grenze, da hinten ist der ehemalige Mauerweg, da ist | |
Reinickendorf, dort das Märkische Viertel. Manche jagen hier aus alter | |
Verbundenheit: Es war das Gebiet einer DDR-Jagdgesellschaft, einige kennen | |
sich noch von damals. | |
Nach der Wende wurde das DDR-Jagdgesetz komplett abgeschafft. Was vermissen | |
die Alten denn? | |
Die Jagdgebiete waren meist identisch mit den Flächen einer LPG, man hat | |
Landwirtschaft und Jagd zusammen gemacht. Von den Bonzenjagden abgesehen: | |
dieser egalitären Vergangenheit trauern viele nach. | |
Wie sah das Revier damals aus? | |
Bis 1980 war hier intensivste, schmutzigste Landwirtschaft: Die Berliner | |
Abwässer wurden auf den Flächen verrieselt. Es heißt, dass man den Gestank | |
nicht aushalten konnte. Diese wild anmutende Fläche jetzt, das Niedermoor, | |
ist alles Fake. Es ist eines der Beweidungsprojekte des Bundesamts für | |
Naturschutz. Der Versuch, eine nacheiszeitliche Urlandschaft | |
wiederherzustellen, mit Wildpferden und Rindern. Moment, da ist das Schwein | |
wieder (er greift zum Feldstecher). Das ist aber eine Bache, sie hat | |
Zitzen, ganz deutlich. Da können wir jetzt nichts machen. Hey, da kommt | |
noch einer. Ein Keiler, nein, eine Bache. Oder? Ein ganz schöner Brocken. | |
Wieso schießen Sie die Bachen nicht? | |
Die Frischlinge würden dann verhungern. So brutal sind wir nicht. | |
Aber wenn sie trächtig ist, erlegen Sie sie? | |
Dann schon, ja. Ach, ich war sicher, dass es zwei Bachen sind. Na ja. So | |
haben wir jetzt weniger Arbeit. Dann wäre unser Tag anders gelaufen. | |
Wie denn? | |
Wir hätten den Keiler zum Forstamt bringen und ausnehmen müssen, das ist | |
nur 500 Meter von hier. Dort hätte ich mir eine weiße Metzgerschürze | |
umgezogen, das Tier in eine Vorrichtung gehängt, aufgeschnitten, | |
ausgenommen und ins Kühlhaus gebracht. Das Abschwarten einer Sau ist eine | |
ziemliche Arbeit. Einem Reh das Fell abzuziehen dauert aber nur ein paar | |
Minuten. | |
Sie machen das nicht mal eben hier auf dem Feld? | |
Mit den Rehen manchmal schon. Aber bei den Schweinen gibt es Vorschriften, | |
ich muss Proben vom Blut und Organen entnehmen, sie werden auf verschiedene | |
Erreger getestet, etwa wegen der Afrikanischen Schweinepest. Na ja, das | |
fällt ja heute morgen aus. Dafür haben wir jetzt Zeit für einen schönen | |
Sonnenaufgang. Was ist das dahinten? Ah, ein Fuchs. | |
Sie können auch weiter flüstern, ich höre Sie gut. | |
Das macht nichts, der Wind weht in unsere Richtung. Unsere und meine | |
Aufgabe ist es, zu verhindern, dass sich die Wildschweine zu stark | |
vermehren. Aber es ist schon schiefgelaufen: Mindestens zwei Bachen haben | |
Frischlinge. Das geht dann ab wie eine Rakete. Die, die jetzt geboren sind, | |
werden im Herbst schon selbst werfen, sieben, acht Stück, manche zweimal im | |
Jahr. | |
Was genau lief denn schief? | |
Ich hätte sie vor sechs Wochen schießen sollen. Aber ich habe sie nicht | |
gesehen oder war nicht häufig genug hier. | |
Wenn Sie jetzt allein wären, was würden Sie machen? | |
Ich würde auch den Blick schweifen lassen und warten. Und wenn ich ehrlich | |
bin, wenn sich nichts tut, würde ich zwischendurch auch mal E-Mails | |
checken. Ich dachte ja, dass sich heute eines der Rehe vorstellt, die ich | |
morgen Abend schießen möchte, aber na ja. | |
Wie viel Platz ist in Ihrer Tiefkühltruhe gerade? | |
Es ist noch eine Wildschweinkeule drin, vielleicht noch eine Portion | |
Gulasch. Aber ich bin ja die kommenden Tage hier auf der Jagd, da gibt es | |
Nachschub. | |
Gibt’s etwas, auf das Sie schon Appetit haben? | |
Auf einen schönen Frischling oder ein Reh, die Lenden angebraten in Butter, | |
mit Weißbrot und Petersilie. An der frischen Leber vom Reh habe ich mich | |
übergessen. Ich habe im letzten Jahr 20 Rehe und Wildschweine geschossen, | |
die Leber, wirklich was Tolles, können gerne andere haben. | |
Wie hat sich Ihr Fleischkonsum verändert? | |
Der hält sich sehr in Grenzen. Wir essen nur das Fleisch, das ich selber | |
schieße. Manchmal kaufe ich Blutwurst auf dem Wochenmarkt – für mich ein | |
Grundnahrungsmittel. Ich schieße sehr viel mehr, als wir selber essen, ich | |
verkaufe auch manchmal was. Was mir noch fehlt, ist ein richtig guter | |
Fleischwolf. Dann könnte ich Hackfleisch machen. | |
Fleischkonsum ist das eine. Aber: Sie als Mitglied im Ökologischen | |
Jagdverein fahren Auto. Wie passt das zusammen? | |
Das passt gar nicht zusammen. Aber es ist leider verboten, in der Bahn | |
Schusswaffen mitzuführen, ein „Herr und Hund“-Abteil fände ich gut. Ich | |
habe auch schon überlegt, ein Lastenrad zu nutzen, um hier rauszufahren. | |
Aber dann wäre ich wieder offen mit Gewehr unterwegs. Es sind nicht alle so | |
verständnisvoll wie meine Nachbarn in Prenzlauer Berg. Am Ende informiert | |
jemand die Polizei, dann habe ich einen Blaulichtschweif hinter mir. | |
Als Großstädter Jäger zu sein, wirkt schon ungewöhnlich. | |
Wenn ich mitunter das Wild nicht portioniert mitbringe, sondern zu Hause | |
das erlegte Tier über der Schulter von der Straße reintrage, schauen manche | |
komisch, ja. Aber mit der Jagd bin ich aufgewachsen. Mein Großvater war | |
schon Jäger, ich bin als Kind als Treiber mitgegangen. Das waren typische | |
Bauernjagden: Wenn die Kartoffeln und die Rüben geerntet sind, erntet man | |
halt die Hasen, danach sitzt man zusammen und singt. In meinem Heimatdorf | |
in Hessen teile ich mir seit mehr als 20 Jahren eine Pacht mit drei | |
anderen. Mein Großvater hat übrigens in seinem ganzen Leben nie ein | |
Wildschwein geschossen – bei mir war es das erste Tier, was ich erlegt | |
habe. Allein daran sieht man, wie sich die Wildbestände in den letzten | |
Jahrzehnten verändert haben. | |
Sie schrieben, damals, bei Ihrem ersten Schuss, erfasste Sie eine wilde | |
Freude. Ist das immer noch so? | |
Wenn ich vorhin das Schwein erlegt hätte, wäre ich Ihnen nicht um den Hals | |
gefallen. Aber es hätte heute viel passieren müssen, damit ich schlechte | |
Laune bekomme. Umso größer ist der Ärger, wenn ich vorbeischieße. Oder das | |
Tier nicht gleich finde und eine Nachsuche machen muss. Das geht mir | |
richtig nach. Ich schieße ein Tier tot. Überhaupt: Ich schieße. Da darf | |
nichts schiefgehen. Es kann ja auch ganz andere Folgen haben. | |
Wie fühlt sich die Macht an, die zu einer Schusswaffe dazu gehört? | |
Obwohl ich objektiv Macht über Leben und Tod habe, empfinde ich keine | |
gegenüber dem Tier. Ich fühle mich mit der Waffe eher verwundbar. Wenn ich | |
bei Dunkelheit unterwegs bin, gehe ich Leuten aus dem Weg. Die Waffe könnte | |
für den einen oder anderen attraktiv sein. Manche Jäger haben zum | |
Selbstschutz sogar eine Pistole dabei – würde ich nie machen. | |
In Berlin sind auch 30, 40 Stadtjäger unterwegs. Wäre das nichts für Sie? | |
Das habe ich mir auch schon überlegt. Offizielle Stadtjäger bekommen die | |
Erlaubnis, in befriedeten Bezirken zu jagen. Es ist ein Ehrenamt – als | |
Entschädigung können sie das erlegte Wild behalten. Die Haltung, dass Jagen | |
teuer ist und man dafür auch etwas geboten bekommen will, idealerweise | |
alles in einem kleinen Jagdparadies, mit der Möglichkeit, einen Hirsch zu | |
schießen, finden Sie beim ÖJV sowieso nicht. Hier werden viele eher dafür | |
bezahlt, dass sie auf die Jagd gehen. | |
Sie distanzieren sich zwar deutlich von den Traditionellen und ihrem | |
Trophäenkult, haben aber zu Hause selbst ein Geweih an der Wand, wie Sie im | |
Buch erzählen. | |
Es war ein Abschied in mehreren Schritten. Am Anfang habe ich jedes | |
Rehgeweih, das ich erbeutet hatte, auch präpariert und aufgehängt. Nach und | |
nach habe ich sie meinen Enkeln zum Basteln gegeben, der Rest ist in einem | |
Korb. Geblieben sind ein Hirsch, der einzige, den ich geschossen habe, und | |
dicke Keilerzähne. Aber es interessiert mich nicht mehr. Es sind | |
Staubfänger. | |
Wie kamen Sie denn zum ÖJV? | |
Die Positionen des ÖJV habe ich schon lange vertreten, auch in miner | |
Kolumne für die traditionelle Jagdzeitschrift Wild und Hund, sehr zum Ärger | |
vieler Leser. Als der Vorsitzende, Mathias Graf von Schwerin, mich | |
ansprach, war ich erst zurückhaltend. Aber ich wollte meine Texte nicht | |
mehr in einem Kontext lesen, in dem mich vieles abstößt. Also sagte ich | |
mir: Wenn, dann richtig. Und bin vor vier Jahren eingetreten. Den ÖJV gibt | |
es in Brandenburg seit über 25 Jahren. Wir sind zwar wenige, aber etwa in | |
den Forstverwaltungen stark vertreten. | |
Wie finden die Traditionellen das? | |
In Brandenburg ist nun sogar die Forst- und Jagdverwaltung zusammengelegt, | |
weil die Jagd den forstlichen Zielen untergeordnet werden soll. Leiter ist | |
ein Förster, manche seiner Mitarbeiter sind Mitglied bei uns. Der | |
Landesjagdverband läuft Sturm. Aber auch laut der Gesetze ist die Jagd eine | |
Nebennutzung und hat sich den Forsten und der Landwirtschaft unterzuordnen. | |
Es gilt die Maxime: „Wald vor Wild“. | |
Im Februar auf der Jahresversammlung hat sich Ihr Landesverband sogar | |
umbenannt, nun gehört auch Berlin dazu. Wieso erst jetzt? | |
Es war überfällig. Wir hatten in den letzten Jahren viel Zulauf, nun sind | |
ein Drittel unserer Mitglieder Berliner. | |
Woher kommt das Interesse? | |
Es gibt einen Generationenwechsel. Früher ging man auf die Jagd, um eine | |
gesellschaftliche Stellung zu demonstrieren, geschäftliche Beziehungen zu | |
knüpfen oder weil es zur Familientradition gehört. Heute kommen Leute zur | |
Jagd, die nicht in dieser Loden-Subkultur sozialisiert sind, darunter auch | |
viele Frauen. | |
Ein Berliner Neujäger erzählte mir, er wolle vor allem ein paar Stunden zur | |
Dämmerung in der Natur sein. | |
Das ist ja auch was Schönes. Aber dazu bräuchte er kein Gewehr. Wenn ich | |
jagen will, muss ich solche Naturerlebnisaspekte zurückstellen, mich auch | |
an weniger romantischen Stellen positionieren, wo die Chance größer ist, | |
ein Tier zu schießen. Die Natur ist ein Grund, aber für viele stehen | |
gesundes Fleisch und Tierethik im Vordergrund. Wer sich bewusst ernähren | |
will, den Fleischkonsum reduziert, ist sowieso sehr schnell bei der Jagd. | |
Und wenn ich in meinem digitalisierten Leben mehr Authentizität brauche, | |
dann finde ich sie, indem ich das Tier, das ich esse, auch selbst töte. | |
19 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
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