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# taz.de -- Türkei-Korrespondent Deniz Yücel: „Ich wurde gefoltert“
> Der in der Türkei angeklagte Journalist Deniz Yücel hat vor Gericht
> ausgesagt. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen Präsident Erdoğan.
Bild: Yücel beschreibt detailliert, was ihm in den ersten Tagen der Untersuchu…
Der in der Türkei wegen „Terrorpropaganda“ und „Volksverhetzung“ angek…
Journalist Deniz Yücel hat am Freitag Mittag vor dem Amtsgericht Tiergarten
in Berlin seine Aussage gemacht und erhebt schwere Vorwürfe gegen den
Präsidenten der Türkei. Zum ersten Mal berichtet der Welt-Korrespondent
davon, im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri gefoltert worden zu sein.
In der 15 Seiten umfassenden [1][schriftlichen Version seiner Aussage
(PDF)], die der taz vorliegt und über die die Welt zuerst berichtete, macht
er Recep Tayyip Erdoğan dafür direkt verantwortlich. Darin heißt es wie
folgt:
„Ich wurde im Gefängnis Silivri Nr. 9 drei Tage lang gefoltert. Womöglich
auf direkte Veranlassung des türkischen Staatspräsidenten oder dessen
engster Umgebung, auf jeden Fall aber infolge der Hetzkampagne, die er
begonnen hatte, und unter seiner Verantwortung. So oder so, der
Hauptverantwortliche für die Folter, der ich ausgesetzt war, heißt Recep
Tayyip Erdoğan.“
Yücel beschreibt detailliert, was ihm in den ersten Tagen der
Untersuchungshaft widerfahren ist. Unter anderem berichtet er: „Ein
Aufseher aus der Gruppe schlug mir zweimal hart ins Gesicht, dann
streichelte er über meine Wange, während ein anderer fragte: ‚Was zahlen
dir die Deutschen dafür, dass du dein Vaterland verrätst? Sprich oder ich
reiße dir die Zunge raus.‘“
Der ehemalige Türkei-Korrespondent der Welt, [2][der zuvor auch Redakteur
der taz war], saß von Februar 2017 bis Februar 2018 [3][ohne Anklageschrift
in der Türkei in Untersuchungshaft]. Als die Staatsanwaltschaft nach einem
Jahr eine Anklageschrift gegen den Journalisten vorlegte, verfügte ein
Gericht [4][noch am selben Tag seine Freilassung].
Yücel verließ anschließend die Türkei, wo ihm bis zu 18 Jahre Gefängnis
drohen. Der Prozess gegen ihn begann [5][im Juni 2018 in seiner
Abwesenheit].
In seiner Aussage beschreibt er, wie die körperliche Gewalt gegen ihn
zunahm: „Der Aufseher, der mich in der Bibliothek geschlagen hatte, drohte
mir nun: ‚Warte nur, diesen Finger, mit dem du auf mich gezeigt hast, werde
ich dir erst in den Mund stecken und dann… ich weiß schon, wohin.‘“ Und
weiter: „Der Aufseher, der seine Gewaltphantasien nicht im Griff hatte,
wiederum antwortete: ‚Lasst ihn nur. Ich werde ihn dorthin bringen, wo es
keine Kameras gibt.‘“
## Zur Folter gehört eine psychologische Dimension
Yücel erklärt aber auch, warum er hadert, die Gewalt gegen ihn als Folter
zu bezeichnen: „In Erinnerung an das Leid, das Menschen in diesem Land in
etlichen Folteranstalten zugefügt wurde, vom Sansaryan-Haus zum
Militärgefängnis Diyarbakır Nr. 5, von der Erenköy-Villa zum ‚Labor für
Tiefgehende Untersuchungen‘, würde ich es nicht wagen, allein aufgrund der
körperlichen Gewalt diese Erfahrung als ‚Folter‘ zu bezeichnen. Aber Folter
wird nicht allein durch das Maß der körperlichen Gewalt oder der
Grausamkeiten bestimmt. Zur Folter gehört eine psychologische Dimension.
Dazu gehört auch, dass sie in organisierter Form angewandt wird. Dass sie
darauf abzielt, die Würde des Misshandelten systematisch zu verletzen.“
Als Grund für die Misshandlung gibt Yücel an, dass der Staatspräsident
möglicherweise die Krise mit Deutschland verschärfen wollte, um diese für
seinen eigenen Wahlkampf zu instrumentalisieren. Yücel glaubt nicht, dass
die Beamten oder der Gefängnisdirektor sich aus eigenem Antrieb ihm
gegenüber so verhalten haben, sondern auf Anweisung höherer Instanzen so
handelten: „Meines Erachtens hätte dies niemand außer dem Staatspräsidenten
selbst (oder dessen engster Umgebung) gewagt.“
Yücel berichtet weiter, dass er damals mit seinen Anwälten beschlossen
hatte, die Vorfälle nicht öffentlich zu machen. „Wir schalteten sowohl
hochrangige Vertreter der Bundesregierung als auch einen inländischen
Politiker als Vermittler ein. Diese Bemühungen zeigten Erfolg. Bereits am
folgenden Tag waren diese sechs Aufseher verschwunden und alles kehrte zur
Normalität zurück.“
## Aussage fürs Protokoll
Die Türkei hatte im vergangenen Jahr zugelassen, dass der deutsch-türkische
Journalist seine Aussage in dem Verfahren gegen ihn auch in Deutschland
tätigen kann. Die Modalitäten dafür regeln Rechtshilfeabkommen zwischen
beiden Ländern. Vor dem Istanbuler Gericht ist der nächste Termin im
Prozess gegen den 45-Jährigen für den 16. Juli angesetzt.
Der Journalist erklärt in seiner Aussage erneut, dass er weder seine
Inhaftierung noch seine Freilassung für rechtsmäßig hält und die Justiz der
Türkei für nicht unabhängig: „Ich weiß, das, was ich hier zu sagen habe,
hat für Ihr Gericht keinerlei Bedeutung und wird in der Türkei der
Gegenwart keine rechtliche Entsprechung finden. Sie sind nicht die Instanz,
die am Ende dieses so genannten Gerichtsverfahrens eine Entscheidung
treffen wird. Ihre Richterroben, Richterpulte und Amtszimmer ändern nichts
daran, dass Sie genau Befehlsempfänger sind wie Gendarmen, die mir
Handschellen angelegt haben.“
Warum er dennoch eine Aussage machte, erklärt er folgendermaßen: „So, wie
es Ahmet Altan gesagt hat: Obwohl ich weiß, dass kein Recht herrscht, werde
ich so tun, als wäre es so. Und so, wie Ahmet Şık werde ich mich nicht
verteidigen, ich werde anklagen. Ich möchte, dass das, was mir widerfahren
ist, fürs Protokoll festhalten.“
Die vollständige Verteidigungsschrift von Deniz Yücel finden Sie [6][hier
als PDF].
10 May 2019
## LINKS
[1] /fileadmin/static/pdf/VerteidigungsschriftDenizYucel.pdf
[2] /Deniz-Yuecel/!a188
[3] /Essay-von-Deniz-Yuecels-Anwalt/!5481495
[4] /Deniz-Yuecel-ist-frei/!5485240
[5] /Prozessbeginn-gegen-Deniz-Yuecel/!5516880
[6] /fileadmin/static/pdf/VerteidigungsschriftDenizYucel.pdf
## AUTOREN
Doris Akrap
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