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# taz.de -- Oper „Die tote Stadt“ in Bremen: Stadt des toten alten weißen …
> In Bremen machen Armin Petras und Yoel Gamzou aus Erich Wolfgang Korngold
> selten gespielter Oper „Die tote Stadt“ ein ergreifendes
> Verwechslungsspiel.
Bild: Wie schön Nadine Lehner als Maria/Marietta leidet! Der Schmerz geht durc…
Bremen taz | Still liegt Marietta auf der Bühne, apathisch blickt sie auf
die Perücke in ihrer linken Hand, die Haare ergraut. Ihr Gesicht zeigt eine
Mischung aus Verlorenheit, Einsamkeit und Trauer. Sie sehnt sich nach der
Liebe von Paul, versucht ihn daraufhin zu umgarnen. Das Gesicht wird
weicher, liebevoller. Doch Paul stößt sie weg. „Lass mich“, schreit er.
Erneut geht sie zu Boden und wieder versteinert ihr Blick.
Das Theater am Goetheplatz in Bremen zeigt „[1][Die tote Stadt“ von Erich
Wolfgang Korngold]. Es ist die zweite Zusammenarbeit von Hausregisseur
Armin Petras und dem musikalischen Leiter Yoel Gamzou nach der grandiosen
und tief bedrückenden Inszenierung von Schostakowitschs „[2][Lady Macbeth
von Mzensk]“. Auch die Hauptdarstellerin Nadine Lehner wirkte in dieser
Inszenierung mit.
Korngolds Oper darf in dieser Inszenierung in tiefer Traurigkeit und
brutaler Verzweiflung schwelgen. Der abgehalfterte Künstler Paul zog von
Paris nach Brügge, um seine verstorbene Gattin Marie zu vergessen. Hier
errichtet er eine „Kirche des Gewesenen“ mit Erinnerungen an sie. Doch bald
lernt er die Tänzerin Marietta kennen, die ihn stark an seine tote Frau
erinnert. Er versucht, sie für sich zu gewinnen und sie zu seiner neuen
Marie zu machen. Sie versucht, seinem Wunsch gerecht zu werden, mit einer
Perücke ihr vollständig Ebenbild zu sein. Kein Wunder, dass es in einer
Tragödie endet.
Dabei inszenieren Petras und Gamzou „Die tote Stadt“ anders als die
eigentliche [3][Buchvorlage von Georg Rodenbach] es vorgibt. Wo im Original
alles aufgelöst wird – nur ein Traum –, wird Marietta in dieser Version
wirklich von Paul im Wahnsinn umgebracht. Das gibt der Inszenierung eine
alternative Erzählstruktur, die Marietta und die Gewalt, die ihr von einem
wahnsinnigen Mann angetan wird, ins Zentrum rückt. Gleichzeitig
funktioniert das Ganze als Verwechslungsspiel: Marie und Marietta werden
teilweise als Gegensätze, teilweise als Doppelgängerinnen inszeniert.
Auseinanderhalten, was echt und was falsch ist, wird schwierig.
## Mit dem Orchester gespielt
[4][Nadine Lehner] wird ihrer Aufgabe in allen Belangen gerecht: Sie
verzweifelt so schön! Wo sie zu Beginn noch die lebendige, lebensfrohe Frau
ist, wird sie im Verlauf des Stückes grauer, trauriger und apathischer.
Jeder Rückschlag, den sie erlebt, jedes Trauma, jeder Schmerz geht durch
Mark und Bein. Petras sieht sie, wie auch schon in „Lady Macbeth von
Mzensk“, gern zugrunde gehen, was sich auch hier als Glücksfall fürs
Publikum erweist.
Karl Schineis' Spiel als Paul hingegen grenzt schon fast an
Arbeitsverweigerung. Klar, man gab ihm die undankbare Position, auf einem
Podest direkt vor dem Orchester zu verweilen und niemals die Position zu
wechseln. Doch seine Mimik und Gestik funktionieren lediglich in der Rolle
des süffisanten Chauvinisten, nicht aber als Trauernder oder Wahnsinniger.
Zu oft beugt sich seine Stimme dem großen Orchester – und verblasst
gleichzeitig vor der stark spielenden Lehner.
Im Zentrum des Geschehens: das Orchester, aus Platzgründen auf der Bühne
und nicht wie gewohnt im Orchestergraben untergebracht. Aber es ist auch
wichtiger Spielpartner, um der „Kirche des Gewesenen“ Fülle einzuhauchen:
Die Darsteller*innen spielen nicht in den luftleeren Raum, sondern mit und
gegen das Orchester. Für die verstorbene Marie (Nerita Pokvytyte) wird es
so zum Versteck und für Paul die unüberwindbare Mauer, die ihn von ihr
trennt.
## Die Bühne als Kirche
Beeindruckend ist die Bühne: Sakral wie ein Kirchenschiff wirkt sie. Sich
überlagernde Holzdrucke des Künstlers [5][Martin Werthmann] zeigen
verfremdete Fotos der zerstörten syrischen Stadt Aleppo – neben die
Erinnerungen Pauls an die verstorbene Ehefrau tritt das kollektive Erinnern
an Zerstörung. Dass beides in Beziehung gesetzt wird, unterstreicht den
Wahnsinn Pauls, in dieses Mahnmal Statuen der Betrauerten zu stellen.
Im Hintergrund eine Videoinstallation von [6][Rebecca Riedel], die
Mariettas einstiges Leben als Tänzerin zeigt und dabei das Spiel der
Verdoppelung weitertreibt. Kurz vor ihrer Ermordung sind Marietta, aber
auch Marie in verschiedenen Kostümierungen und Posen zu sehen – Bilder, die
an die ambivalenten Selbstinszenierungen der US-amerikanischen Künstlerin
und Fotografin [7][Cindy Sherman] erinnern: Marie als Moorleiche, Marietta
als Society Lady, Marie mit wehendem Haar.
Es ist dasselbe Prinzip wie in Shermans Fotoserie „[8][Untitled Film
Stills]“, in der sie Ende der 1970er-Jahre Schauspielerinnen spielte, die
wiederum typische Filmrollen von Frauen spielen: ein Starlet in einem Haus
an der Küste oder eine hart, aber zugleich verletzlich wirkende
Film-noir-Heldin.
Viele Regisseure nutzen für solch ein Verwechslungsspiel für beide Rollen
dieselbe Darstellerin. Hier ist mehr Raum für die unterschiedlichen
Charaktere beider Frauen. So werden sie Subjekte mit eigener Geschichte und
eigenen Erzählungen.
Das ist die große Stärke dieser Inszenierung: Der alte weiße Mann mit
seiner Wahnsinns-Geschichte rückt in den Hintergrund, die weibliche
Hauptrolle in den Fokus. Und siehe da: Ihre Geschichte ist viel spannender
– und plötzlich ist der Staub, der noch am Originalstück haftete, wie
weggeblasen.
19 May 2019
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_tote_Stadt
[2] /!5445127
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Das_tote_Br%C3%BCgge
[4] http://www.nadine-lehner.de/
[5] http://martinwerthmann.de/
[6] https://www.theaterbremen.de/de_DE/haus/rebecca-riedel.102597
[7] https://www.dw.com/de/cindy-sherman-die-wahre-selfie-queen/a-47147347
[8] https://www.khanacademy.org/humanities/global-culture/identity-body/identit…
## AUTOREN
Florian Maier
## TAGS
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Filmgeschichte
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