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# taz.de -- Triumph der Porno-Posaune
> Oper Mit Dmitri Schostakowitschs knallbrutaler „Lady Macbeth von Mzensk“
> feiert der Dirigent Yoel Gamzou einen furiosen Einstand als Musikdirektor
> am Theater Bremen
Bild: Noch ein Fußbreit vor dem Absturz: Chris Lysack und Nadine Lehner
von Benno Schirrmeister
Die ganze Härte Dmitri Schostakowitschs, die ganze Bosheit der Welt, der
Gestank der verwesenden Leichen, die filigranste Zärtlichkeit, die Wollust
und das Gift strömen ungefiltert aus dem Orchestergraben. Meisterhaft hat
Yoel Gamzou, der neue Musikdirektor am Theater Bremen, die Philharmoniker
auf die Partitur der „Lady Macbeth von Mzensk“ (1934) eingestellt: Manchmal
ist man deshalb bei dieser ersten Opernpremiere der Saison versucht, die
Augen zu schließen, um sich wirklich ganz dem Charme ihrer
kammermusikalischen Lyrismen und auch dem vom Komponisten parodistisch
eingesetzten Kitsch übersüßter Melodien hinzugeben, oder aber, um den Blick
auf das Grauen zu richten, das in der Musik ertönt, aber nicht auf der
Bühne geschehen darf. Auch nicht auf der von Susanne Schuboth im schönsten
postsowjetischen Verfalls-Chic eingerichteten, und auch nicht, wenn fast
schon exzessiv die Drehvorrichtung genutzt wird.
Denn die Gewalt klingt bei Schostakowitsch so ausdrücklich, so realistisch,
so konkret, dass eine Inszenierung Gefahr läuft, die Brutalität nur zu
verdoppeln, ohne doch die Intensität der Komposition zu erreichen:
Kieksende Sekundschreie stößt die Köchin Aksinja aus, während Arbeiterchor
und Xylofon sie im Rudel vergewaltigen. Die Peitsche, die Sergeij, den
Liebhaber der Titelheldin, halb totschlägt, hat der Komponist gleich direkt
in die Instrumentierung übernommen, und nach dem Koitus erschlaffen die
Posaunen in einem grotesken Glissando. Meist bekommt Regisseur Armin Petras
das Porno- und Gewaltproblem dieser Oper mithilfe von Rebecca Riedels
Videos in den Griff.
Nicht immer: Zu sehr auf Stadttheaterästhetik heruntergedimmt wirkt die
Not, die Qual der Köchin, die hier nur in spießiger Veaudeville-Erotik
ausgespielt wird. Hanna Plaß quiekt vom Schrank herab, auf den sie
geflüchtet ist. Die Musik fickt sie trotzdem. Dort aber, wo die
elektronischen Bilder im Bühnenhimmel flimmern, gelingt es, das präsent zu
machen, was nicht sein dürfte, aber ist: Echt und in Nahaufnahme wird das
Obszöne inszeniert, etwa wie sich Chris Lysack vor den Augen des Publikums
in einen blutigen Klumpen Fleisch verwandelt, sodass man Mitleid mit ihm
hat und ihm nicht übel nimmt, dass er am Premierenabend sängerisch zu dünn
bleibt für die Partie des Womanizers Sergeij.
Die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ basiert auf einer frühen Novelle
Nikolaij Leskows, einer „düsteren Erzählung“, wie der Autor sie selbst
genannt hatte, deren Hauptfigur, die Kaufmannsfrau Katerina Lwowna, nach
„fünf Jahren an der Seite eines lieblosen Gatten“ zum Opfer einer tiefen
Langeweile zu werden droht, „vor der man sich, wie es heißt, mit Freuden
erhängt“: Stattdessen nimmt sie sich den Vorarbeiter Sergeij als Lover,
vergiftet dann ihren lüsternen Schwiegervater Boris, als der sie beide
ertappt und dem Angestellten vor ihren Augen 500 Peitschenhiebe
verabreichen lässt. Ihren Ehegatten Sinowij, der nun wirklich eine trübe
Tasse ist, erwürgt sie eigenhändig. Und zum Schluss, da sind Sergeij und
sie bereits verheiratet und verurteilt und er hat sie im Straflager längst
durch die jüngere Sonjetka ersetzt, da wirft sie sich ins Wasser und reißt
ihre Nebenbuhlerin mit in die Fluten: Besiegt hat sie so letztlich
allenfalls die Langeweile. Gewonnen hat sie weder Glück noch Freiheit. Und
selbst das bürgerliche Ansehen, das ihr anfangs nur ein goldener Käfig ist,
vermisst sie am Ende.
Denn im vierten Akt lässt Schostakowitsch sie im Strafgefangenenlager über
den Verlust von Achtung und Ehre klagen, begleitet nur von Englischhorn und
später einer Harfe. Diese kurze klagende Arie im vierten Akt ist in ihrer
Stille ein intimer Höhepunkt inmitten dieses blechgrandiosen Werks und
dieser mitreißenden Aufführung – dank Nadine Lehner. Ohnehin singt sie eine
mitreißende Titelpartie. Diesen intimsten, diesen traurigsten Höhepunkt der
Oper aber gestaltet sie tief berührend: Ja, sie hat der Rücksichtslosigkeit
der Figur, ihrer Lust und ihrem Freiheitsdrang zuvor eine scharfe Kontur
gegeben. Ja, sie hat auch ihrem Anfang im richtungslos melodisierenden
Leerlauf der Langeweile zu einer schwülen Prägnanz verholfen, und sie hat
die Verbrecherin nie ganz ins Monströse abgleiten lassen. Hier aber scheint
Katerina Lwowna als reines, als menschliches Wesen auf, verletzt, verlassen
und verzweifelt: Nichts ist berührender als das. Und nichts könnte
Katerinas Todesschrei wenig später schrecklicher wirken lassen als dieser
perfekte Moment der zarten Klage.
Das war einmal anstößig: „Auf der Bühne wird der Gesang durch Geschrei
ersetzt“, heißt es im Prawda-Verriss von 1936, der, so wird vermutet, auf
Stalin direkt zurückgeht, und der die erfolgreiche Rezeption dieses
Meisterwerks jäh und für Jahrzehnte unterbrach: Der konkrete musikalische
Zugriff auf Wirklichkeit, seine unerbittlich wahrhaftige Dissonanz mag
völlig unpolitisch gemeint gewesen sein. Völlig zurecht aber war in ihm
eine Herausforderung erkannt worden für eine ästhetische Doktrin, die sich
als Realismus bezeichnete, aber das Reale nur verdeckt unter unbarmherzigem
Zuckerguss und die Widersprüche der Figuren nur aufgehoben in der Fiktion
eines durch die sowjetische Erziehung geschaffenen Neuen Menschen dulden
mochte. Nichts davon hat heute noch Bedeutung. Von Schostakowitschs großer
Oper aber, das zeigt auch die Bremer Aufführung, ist noch jeder Ton am
Leben.
Wieder am 17. 9. um 15. 30 Uhr, am 23. 9. um 19.30 Uhr sowie am 3. und 8.
10. jeweils um 18 Uhr, Theater Bremen
16 Sep 2017
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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