# taz.de -- Studie zum Alleinleben: Einsamkeit kann krank machen | |
> Eine Studie zeigt den Zusammenhang von Einsamkeit und Krankheiten. Damit | |
> frischt sie ein gesellschaftlich relevantes Thema wieder auf. | |
Bild: Auch in der Nähe von anderen Menschen kann man sich einsam fühlen | |
BERLIN taz/dpa | Immer mal wieder schwappt er auf, der [1][Diskurs um | |
Einsamkeit]. Meist geht es dann um die [2][Vereinsamung alter Leute]. Oft | |
geht es auch um die Frage, ob die Einsamkeit Menschen krank machen kann. So | |
richtete Großbritannien Anfang 2018 ein Ministerium für Einsamkeit ein, um | |
der zunehmenden Vereinsamung von wachsenden Teilen der Bevölkerung | |
entgegenzuwirken. | |
In Deutschland gab es vor einem Jahr erst viele Diskussionen um diesen | |
Begriff, ausgelöst von Manfred Spitzers Buch „Einsamkeit. Die unerkannte | |
Krankheit: schmerzhaft, ansteckend, tödlich“. Der Autor bezeichnete | |
Einsamkeit darin als „Todesursache Nummer eins“. | |
Nun liefert eine Studie neue Erkenntnisse dazu. Die Universität Versailles | |
Saint-Quentin-en-Yvelines hat den Zusammenhang von Alleinleben und | |
psychischen Erkrankungen untersucht. [3][Im Fachblatt „PLOS ONE“] berichten | |
die Forscher*innen, Alleinlebende haben 1,5- bis 2,5-mal eher eine der | |
häufigsten psychischen Erkrankungen als andere Menschen. Dazu gehören etwa | |
Depressionen sowie Angst- und Zwangsstörungen. | |
Allerdings zeige die Studie nicht, ob das Alleinleben Ursache dieser | |
Erkrankungen ist. Auch die zeitliche Reihenfolge – also die Frage, was | |
zuerst da war, die psychische Erkrankung oder das Alleinsein – wurde nicht | |
untersucht. Aber die Studie zeigt: Es gibt einen statistischen Zusammenhang | |
zwischen dem Alleinleben und Erkrankungen. Und zwar bei den Menschen, die | |
sich einsam fühlen. | |
## Interviews und Fragebögen | |
Das Team um den Mediziner Louis Jacob von der Universität von Versailles | |
nutzte die Daten von 20.500 Menschen aus England im Alter von 16 bis 64 | |
Jahren, die 1993, 2000 und 2007 an der „National Psychiatric | |
Morbidity“-Erhebung teilgenommen hatten. Dabei wurde die psychische | |
Gesundheit der Teilnehmer mithilfe von Interviews und Fragebögen ermittelt. | |
Zusätzlich zu den so gesammelten Daten nutzten die Forscher Informationen | |
zu Größe und Gewicht, Alkoholabhängigkeit, Drogenkonsum, sozialem Netz | |
sowie dem Gefühl von Einsamkeit. | |
In den drei Jahren stieg der Anteil der Einpersonenhaushalte in der | |
Erhebung von 8,8 auf 9,8 und schließlich 10,7 Prozent. Gleichzeitig wuchs | |
die Rate an häufigen psychischen Erkrankungen von 14,1 auf 16,3 und 16,4 | |
Prozent. In allen drei Umfragen war ein statistischer Zusammenhang zwischen | |
dem Alleinleben und der Verbreitung psychischer Erkrankungen feststellbar, | |
so die Mediziner. | |
Die Studie zeigt: Einsamkeit ist ein Problem in unserer Gesellschaft. Auch | |
für Deutschland ist das relevant. Denn nach Daten des Statistischen | |
Bundesamtes waren 2016 41 Prozent aller Haushalte sogenannte | |
Einpersonenhaushalte. Das liegt deutlich über dem EU-Schnitt von 33 | |
Prozent. Entsprechend hoch ist auch die Möglichkeit, dass die | |
Bewohner*innen erkranken. | |
Das Problem mit der Einsamkeit ist ein komplexes. Allein zu sein bedeutet | |
nicht zwangsläufig, dass Menschen sich einsam fühlen. Und gleichzeitig | |
bedeutet einsam sein nicht, allein zu sein. Sprich: Das Gefühl der | |
Einsamkeit ist nur bedingt abhängig davon, ob jemand Kontakt zu anderen | |
Menschen hat, oder nicht. Immerhin gibt es auch das Phänomen, dass Menschen | |
sich in einer Gruppe von Leuten einsam fühlen. Von außen zu erkennen, wann | |
jemand vereinsamt, ist also schwierig. | |
## Eine Krux | |
Trotzdem muss sich dem Thema genähert werden, denn das Problem der | |
Vereinsamung kann sich vor allem durch Kontakt mit anderen Menschen lösen | |
lassen. Damit ist es ein gesamtgesellschaftliches. Womit wir bei einer Krux | |
angelangt wären. Denn um Menschen zu helfen, die sich einsam fühlen, | |
müssten die sich bestenfalls zu erkennen geben. Das wiederum ist | |
schambehaftet, gilt es doch gemeinhin als Sache einer einzelnen Person, | |
ihre Gefühle in den Griff zu kriegen. Vor allem, wenn es negative sind. Ein | |
Teufelskreis: Wer sich einsam fühlt und sich schämt, holt sich keine Hilfe, | |
bleibt einsam – und erkrankt möglicherweise auch noch. | |
Deswegen ist es gut, dass Studien wie diese den Diskurs um die Einsamkeit | |
aufleben lassen. Zum einen sehen Betroffene dann, dass sie nicht alleine | |
sind in ihrer Einsamkeit. Zum anderen wird das Bewusstsein für das Problem | |
geschäft. Und damit hoffentlich auch erkannt, dass die Probleme des Einen | |
auch die des Anderen sind. | |
Psychologie-Professor Jürgen Margraf von der Universität Bochumplädiert | |
ebenfalls dafür, das Thema gesellschaftlich zu setzen und Menschen dafür zu | |
sensibilisieren, ein Auge auf ihre Mitmenschen zu haben. Er hat auch | |
konkrete Handlungsvorschläge: „Man muss dafür sorgen, dass die Menschen | |
sich begegnen, miteinander ins Gespräch kommen und sich austauschen.“ Dabei | |
sei jeder Einzelne gefragt. | |
2 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-Einsamkeit/!5096287 | |
[2] /Einsame-Maenner-im-Alter/!5495590 | |
[3] https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0190033 | |
## AUTOREN | |
Maike Brülls | |
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