Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Sternenflimmern: Europa ist wie das Berghain
> Bangen, hoffen, leiden: das erwartet viele am Rand Europas. Und vor dem
> Club Berghain. Unsere Autorin sieht einige Parallelen.
Bild: Drin-sein heißt nicht automatisch In-sein
Europa, das ist ein bisschen wie der Berliner Club Berghain. Drinnen
grenzenlose Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Draußen bangen, hoffen,
leiden. Immer die Frage: Bist du cool genug?
Bei manchen (annullierte Wahlen, Journalisten im Knast, strategischer
Demokratieabbau) ist gleich klar: heute leider nicht. Andere
(ernstzunehmender Komiker als Präsident) sind fit, aber ihr großer
betrunkener Bruder hängt ihnen lallend am Hals und pinkelt ihnen dabei ans
Bein, und na ja, das war’s dann auch für heute.
Andere haben es spielend rein geschafft, dann aber festgestellt, dass ihnen
die Getränke zu teuer und die Bässe zu laut sind und dass sie ja eigentlich
eh [1][zum Five-o-clock-Tea zu Tante Elizabeth wollten]. Drin-sein heißt
nicht automatisch In-sein.
Und dann gibt es natürlich denjenigen, der mehr in ist als alle anderen in
der Schlange, der aber gar keinen Bock hat, drin zu sein: Von Israel aus
kann man gerade ziemlich gut auf Europa gucken. Denn einerseits ist hier
heute Jom haAtzmaut, Unabhängigkeitstag. Alles ist blau-weiß vor kleinen
und großen Fahnen und man muss Jom haShoah, den Holocaust-Gedenktag vor
einer Woche, nicht erlebt haben, um das super zu finden.
Was ich in Europa verachte und vergessen sehen will – Nationalstaatlichkeit
und Grenzen –, muss ich hier lieben und schützen. Das ist die Dialektik der
Geschichte und der Urantrieb meines Europäisch-seins. Wie viele Grenzen und
wie viel Freiheit braucht das Nie-Wieder?
## Europa von den Rändern denken
Die Frage ist hier, anders als im kuscheligen Europa, nicht so sonderlich
theoretisch, wenn, wie bis vor kurzem, [2][aus Gaza Raketen im Minutentakt
über die Grenze gefeuert werden]. Raketen, die nicht, wie oft dargestellt,
selbst gebastelter Schnickschnack sind, sondern Menschen und Häuser
zerstören.
Dass man das Exklusive, das Ausgrenzende an Europa – bei aller potenziellen
inneren Freiheit – auch ganz gut überwinden kann, zeigt, wie immer, die
Kunst. Anschauen kann man das, wenn [3][am 11. Mai die Biennale in Venedig
wieder eröffnet]. Die seit 1895 alle zwei Jahre stattfindende Kunstschau
hatte zwar von Anfang an das Konzept der Weltausstellung zum Vorbild.
Die nationalen Pavillons in den Giardini, einem der zwei zentralen
Ausstellungsbereiche, erzählen aber von einem ursprünglich ziemlich
eurozentristischen Klub: Belgien, Dänemark, Deutschland, England,
Frankreich, Italien, Russland, Spanien, Schweden und Norwegen. Was halt
damals so „die Welt“ war.
Inzwischen ist die Biennale, was sie immer sein wollte. Jedes Jahr nehmen
neue Länder teil – diesmal zum ersten Mal Ghana, Madagaskar und Pakistan.
Kunst aus afrikanischen Ländern ist seit Jahren elementarer Bestandteil der
zentralen Schau. Was aus der Idee eines Staaten-Geprotzes entsprungen ist,
hat sich hier radikal gewandelt. Nationalstaatlichkeit und Pluralität
verschwimmen zu einem flirrenden Jahrmarkt.
In Venedig wie in Israel wird einem klar: Europa lässt sich am besten von
seinen Rändern her denken. Hoffentlich ist es irgendwann wurscht, wo diese
verlaufen.
9 May 2019
## LINKS
[1] /Folge-des-Brexit-Aufschubs/!5593588
[2] /Konflikt-zwischen-Israel-und-Hamas/!5589654
[3] /58-Kunstbiennale-von-Venedig/!5580343
## AUTOREN
Ariane Lemme
## TAGS
europawahl Kolumnen
Schwerpunkt Europawahl
Europawahl
Berghain
Grenze
Schwerpunkt Europawahl
europawahl Kolumnen
europawahl Kolumnen
europawahl Kolumnen
europawahl Kultur
Europa
Europa
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Sternenflimmern: Zieht den EU-Pulli aus!
Glauben wir wirklich, ein schickes blau-gelbes Accessoire hilft, während
Europa Feuer fängt? So leicht ist es leider nicht.
Kolumne Sternenflimmern: Europa, verdammtes Europa
Die Europäische Union ist sowohl Sehnsuchtsort als auch Ort des Protests –
beides zu Recht. Verändern muss sie sich dennoch.
Kolumne Sternenflimmern: Hab ich doch gesagt!
Man kann sich auf dem ausruhen, was man irgendwann mal gut gemacht hat.
Besser wird es aber, wenn man es infrage stellt. Auch Europa.
Kolumne Sternenflimmern: Bekenntnisse eines Überprivilegierten
Unser Autor hat nie gelernt, für Europa zu kämpfen. Doch jetzt gilt es,
diese launische alte Kuh, die viel zu große Fladen macht, zu verteidigen.
TV-Duell zur Europawahl: Die EU im Nischensender
ARD und ZDF ist das TV-Duell der Spitzenkandidat*innen zu europäisch. Sie
bringen Geplauder zwischen Weber und Timmermanns – auf deutsch.
Kolumne Sternenflimmern: „Europable“, das Gefühl für Europa
Vielen fehlen Emotionen für Europa. Um sie zu entwickeln, könnte ein neues
Wort dafür helfen. Vorschläge sind willkommen.
Kolumne Sternenflimmern: Europa, ich kann dich nicht fühlen
Wenn unsere Autorin an Europa denkt, dann fühlt sie nichts. Das ist ein
Problem – denn das „Projekt Europa“ braucht dringend mehr Gefühl.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.