# taz.de -- Inklusiver Polit-Western: Mit Marx im Sattel | |
> Mit extrem diverser Besetzung kommt Verena Brauns Comic-Fabel | |
> „Adamstown“ ins Kino. Ein inklusives Projekt über Heimat, Rassismus und | |
> das Kapital. | |
Bild: Satte Weiden irgendwo in der niedersächsischen Prärie | |
Bremen taz | Keine 20 Sekunden braucht dieser Film, um einen aus der | |
Reserve zu locken. Geschehen ist da noch zwar noch nichts, aber es wird mit | |
dem ersten Bild unmissverständlich klar, dass hier in „Adamstown“ noch | |
buchstäblich alles passieren kann. | |
[1][Dieser Western] ist ein inklusives Projekt, es gibt Akteur*innen mit | |
und ohne Diagnosen – Laien wie Profis. Auch ein paar Geflüchtete sind mit | |
von der Partie, wie etwa Rayan Farousi aus Syrien. Und der sitzt da nun als | |
Pferd verkleidet in der ersten Szene in einer sichtlich niedersächsischen | |
Prärie, hinter die jemand einen zerklüfteten Berg gemalt hat, und freut | |
sich über das inspirierende Panorama. „Du bist ja auch ein Pferd“, mault | |
der surreal-kinderkarnevalesk zum Igel geschminkte Fares Wadi. Das Pferd | |
stimmt zu, aber „immerhin hat uns genau das zu diesem Job verholfen“. Dass | |
der verkleidete Klepper dazu noch auf dem Rücken eines echten sitzt, macht | |
das alles nur noch sonderbarer. | |
Und es bleibt kompliziert mit den Rollen und Identitäten. Als Tiere | |
verkleidete Menschen unterschiedlichster Geschlechter, Hautfarben, | |
künstlerischer Ausbildungen und Lebensgeschichten spielen eine Tierfabel, | |
die ihrerseits auch inhaltlich von Rassismus erzählt – und davon, wie eine | |
Gesellschaft, die das Andere ausgrenzt, letztlich auch ihrem eigenen | |
Fortschritt im Weg steht. | |
Der Film „Adamstown“ basiert auf dem gleichnamigen [2][Comic der | |
Hamburgerin Verena Braun], bemerkenswert werkgetreu umgesetzt unter der | |
Regie von Patrick Merz (Produktionsfirma Directors Cut) und Henning | |
Wötzel-Herber (für das ABC Bildungs- und Tagungszentrum). Beteiligt haben | |
sich außerdem die Hüller Medienwerkstatt und das Kwetu Film Institute aus | |
Ruanda. | |
## Ersticken am Rassismus | |
Die Rassismusfabel geht so: In Adamstown haben die Menschen das Sagen und | |
Tiere keinen Zutritt. Das gilt jedenfalls für solche wilden und ungezähmten | |
wie diesen Igel und das Pferd vom Anfang. Haus- und Nutztiere, die ja nicht | |
mal richtig sprechen können, sind hingegen okay. Auch sonst wirkt das Dorf | |
abgehängt und rückständisch. Während die diskriminierten Tiere hier | |
jedenfalls nicht viel verpassen, droht das Drecksnest an seinem eigenen | |
Rassismus zu ersticken, weil es zu allem Überfluss nun auch noch diesen | |
Fluch gibt. Das nun wirklich nur noch ganz kurz: nach einer alten Legende | |
der Kaui-Indianer können auf diesem Land nur Tiere neue Häuser bauen, wobei | |
der Fluch enden soll, sobald wer eine Bank eröffnet. | |
Diese vielschichtige Melange aus Heimatfragen, Rassismus, Kapitalisierung | |
und Aberglaube ist schon im Comic eine Herausforderung. Nachgespielt vom | |
nun wirklich hochgradig diversen Cast wird daraus eine Achterbahnfahrt, | |
zumal die PC- und Repräsentationsdebatten heute selbst das bürgerlichste | |
Feuilleton auf Trab halten (wie das Cowgirl sagt). | |
Die Fragen brennen: Kann man Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft | |
strukturell benachteiligt werden, nun ausgerechnet Tiere spielen lassen? | |
Oder ist andererseits schon die Frage rassistisch, ableistisch oder am Ende | |
beides? Tja. Es spricht sehr für diesen Film, sich den Schuh einfach nicht | |
anzuziehen, sondern mit seinem verdrehten Plot nach vorn und in die Vollen | |
zu galoppieren. | |
Noch vor allem möglicherweise heilsamen Unwohlsein ist der Film ein | |
außerordentlicher, durchgeknallter Spaß. Allein dieser Wilde Westen kurz | |
hinter Stade: mit seinen satten Weiden, weißen Fachwerken, grünen Türen und | |
diesen mit Omas Plunder nostalgisch ausstaffierten Häusern. Gedreht wurde | |
größtenteils im niedersächsischen Hüll nahe der Elbe. In „Adamstown“ ist | |
selbst die Atmosphäre divers, was diverse Gesangseinlagen noch | |
unterstreichen. Schon Verena Braun hatte ihren Comic multimedial [3][mit | |
Songs zum Download] konzipiert. | |
## Rücksichtslose Cyborgs | |
Allein die filmhandwerkliche Detailfreude versprüht einen anarchistischen | |
Charme. Was auf der Bild- und Erzählebene einfach schön ist, knallt auch | |
politisch. „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen | |
nicht ersetzen“, heißt es unvermittelt im Film. Mit seinem Bonment aus der | |
„Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ eröffnet Karl Marx eine Reihe von | |
im Film verstreuten Zitaten, die je auf sehr viel mehr verweisen. | |
Bert Brecht werden Sie erkennen und vielleicht auch [4][Donna Haraways | |
„Cyborg Manifesto“], das schon in den 1980ern zackig zu klären wusste: „… | |
Dichotomien von Geist und Körper, Tier und Mensch, Organismus und Maschine, | |
öffentlich und privat, Natur und Kultur, Männer und Frauen, primitiv und | |
zivilisiert sind seit Langem ideologisch ausgehöhlt.“ | |
Das wird dann mal so eingeworfen in eine ansonsten eher umgangssprachliche | |
Westernnummer. Und genau da findet diese ganze Nummer vom besseren | |
Miteinander gegen den alten Indianerfluch eben zu sich. Auch eine inklusiv, | |
divers und zusammen errichtete Bank bleibt eine Bank. Und weil das auch der | |
Film weiß, folgt auf die vorzeitliche Barbarei dann erst mal doch nur | |
kapitalistische Ausbeutung. Besser heißt noch lange nicht gut, vielleicht | |
steigert es auch nur die Chancen, nun zusammen zu kämpfen. | |
„Adamstown“ ist ein wunderbarer Film, aber auch ein Inklusionsprojekt, dem | |
jeder pädagogische Mief abgeht, das Spaß macht – und für keine Sekunde auf | |
die Idee kommt, mit „bitte, bitte“ um Rücksicht zu betteln. Reißt euch | |
zusammen, arrangiert euch miteinander – sonst gehen wir alle zusammen vor | |
die Hunde. Das ist keine schöne Botschaft – aber es stimmt. | |
10 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.adamstownfilm.com | |
[2] https://www.verenabraun.de/ | |
[3] https://verenabraun.bandcamp.com/releases | |
[4] https://sites.evergreen.edu/politicalshakespeares/wp-content/uploads/sites/… | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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