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# taz.de -- Film „Helden auf Schwalben“: Zauber der Landstraße
> Mathias Spaan und Quintus Hummer sind auf DDR-Motorrädern von Hamburg bis
> nach Gibraltar gefahren. Unterwegs haben sie einen wunderbaren Film
> gedreht.
Bild: Eine Pause von vielen: Mathias Spaan und Quintus Hummel irgendwo zwischen…
Am Ende fällt der Blick auf Gibraltar sonderbar unspektakulär aus. Zwar
stehen die beiden Männer mit wehenden Capes und in Siegerpose am Hang – zu
Recht, weil sie es ja schließlich ganz von Hamburg bis hierhin geschafft
haben –, aber da hängt so ein diffuses Zögern in der Luft, und weit mehr
offene Fragen als Antworten. Und dann ist dieses ungewöhnliche Roadmovie
einfach so vorbei: Ein Affe habe die Kamera umgeworfen, behaupten die
Hamburger Filmemacher in ihrem Reisetagebuch, und wahrscheinlich stimmt das
sogar.
Denn erstens passen Lügengeschichten nicht so recht zu den beiden und
zweitens wäre der Affenangriff auch längst nicht die einzige skurrile Panne
dieser Produktion, nachdem der erste Reifen des alten DDR-Motorrads bereits
in Bremen geplatzt war.
[1][„Helden auf Schwalben“] heißt der Film, den [2][Mathias Spaan] und
Quintus Hummel im Sommer 2018 gedreht haben. An 49 Tagen waren sie als
Superhelden maskiert die rund 3.500 Kilometer von Hamburg nach Gibraltar
gefahren; auf Simson Schwalben: den 3-PS-Kultkrafträdern aus der ehemaligen
DDR.
Eigentlich hätte dieser motorisierten Reise durch Europa längst auch eine
Kinotournee folgen sollen, nur kam im vergangenen Jahr Corona dazwischen.
Und statt den Film ein zweites Mal zu verschieben, gibt's ihn nun eben
[3][als Stream zu mieten oder zukaufen]. Es sei ihnen dann doch wichtiger
gewesen, dass der Film überhaupt gesehen wird, sagt Mathias Spaan,
„besonders zu dieser Zeit.“
Verrückt schien das Vorhaben wegen der Superheldenkostüme, ambitioniert
aber auch wegen der Strecke. Es ist tatsächlich ein Kraftakt, auf diesen
Minirädern mit kaum mehr als Handgepäck über Amsterdam, Den Haag, Brüssel,
Paris, La Rochelle, San Sebastian und Madrid zu reisen.
Eine Extrem-Challenge, eine PR-trächtige Selbstverheizung ist es dann aber
auch wieder nicht. Tatsächlich braucht es erst den Schock eines kleinen
Unfalls nach einer halben Stunde Film, um den Ernst der Lage endgültig zu
klären – und zu zeigen, was so eine Reise eigentlich heißt. „Wir werden
Superkräfte brauchen, um Gibraltar zu erreichen“, hatten Spaan und Hummel
vorab gesagt: „Superkräfte, den ADAC und viel, viel Zeit.“
Tatsächlich ist „Helden auf Schwalben“ ein sehr ruhiger Film geworden, der
gar nicht so sehr auf der Straße spielt als vielmehr auf Parkplätzen,
Bänken und in den Wohnungen ihrer zahlreichen Gastgeber:innen. In einem der
eindringlichsten Momente des Films lehnen die beiden in Boxershorts
erschöpft an einer Waschmaschine, durch deren Trommel die eingeschäumten
Superheldenkostüme in meditativer Ruhe zirkulieren.
Und warum das Ganze? „Um ehrlich zu sein, verstehen wir bis heute nicht so
richtig, warum wir diese Tour gemacht haben“, entschuldigt sich der Film
bereits im Vorspann. Am Kneipenabend damals habe das alles noch Sinn
ergeben „und irgendwie tut es das auch heute noch“.
Dieses Irgendwie hat es allerdings in sich. Natürlich hat das alles seinen
kreativen Indie-Charme mit diesen sensiblen Jungs auf ihren bunten
Maschinen – aber in den Zwischentönen geht es doch um mehr: Um Europa, das
hier längst nicht nur eine melancholisch-schöne Kulisse abliefert. In einer
unscheinbaren Einstellung schieben die beiden am EU-Parlament vorbei. Und
hupen einmal zum bescheidenen Gruß.
Um das Land geht es also und um seine verschrobenen Bewohner:innen. Zum
Beispiel um diesen Typen auf einem niederländischen Campingplatz mit seinem
alten Transporter und dem zugemüllten Klapptisch, der sich als
Schriftsteller, Filmemacher und Schauspieler vorstellt. Er würde mal einen
ganz ähnlichen Film machen wie Spaan und Hummel, sein Problem sei nur: Er
habe zu viel zu erzählen.
## Unaufdringliche Philosophiestunde
Diese Menschen tauchen auf Rastplätzen auf, am Wegesrand oder die Reisenden
lernen sie beim Couchsurfing kennen. Einen langen Abend feiern die
schlacksigen Filmstudenten im Ganzkörperanzug mit einer Death-Metal-Band in
Poitiers. Dann wohnen sie bei einem Künstler mit einer Wasserpfeife
zwischen drei Schachbrettern – von einer selbsternannten Hexe lassen sie
sich die Zukunft vorhersagen.
Erklärt wird nur wenig: Wo wir sind und bei wem, man muss es sich
zusammenreimen. Das gilt für Zufallsbegegnungen, spontane Verabredungen und
geplante Besuche. Spaan und Hummel hören aufmerksam zu und stellen
gelegentlich Fragen, vor allem nach der Fantasie, was wohl so was wie die
Leitfrage der ganzen Geschichte ist.
Die beste Antwort gibt ein braungebrannter Aussteiger, der irgendwo auf
einem Boot lebt, kurz bevor er aufsteht, um sein Schwert zu holen. Über die
Fantasie sagt der: „Alles, was wir uns vorstellen können in unserem Kopf,
muss irgendwo existieren. Anders wär’s nicht möglich, dass man auf die Idee
kommt.“
Verkopft ist „Helden auf Schwalben“ nicht. Oder wenigstens ist der
philosophische Grundton des Film sehr unaufdringlich. Die Grübelei ist eben
eines der Elemente der Freundschaft zweier Männer, die einander auch mal
mit der Zahnbürste im Mund ein paar Zeilen Novalis vorlesen. Dass es
zwischendurch mal knatscht, ist allerdings auch kein Wunder. Wirklich
dramatisch wird das nie und die Sorge davor ist auch schon wieder total
süß.
„Meinst du, wir hassen uns, wenn wir zurück sind in Hamburg?“, flüstert
Spaan einmal kurz vorm Einschlafen. „Ganz im Gegenteil. Ich glaube wir
werden noch enger zusammengeschweißt sein“, sagt Hummel nach einer Pause.
„Oder hast du das Gefühlt, du würdest mich hassen?“ „Nein?“ „Ich au…
nicht.“ Es ist einfach schön mit den beiden – und dann auch tatsächlich e…
bisschen traurig, als die eine Schwalbe irgendwann den Geist aufgibt. Weil
sich dann kurz auch die beiden trennen: Die überlebende Maschine schafft es
nicht mit zwei Personen plus Gepäck über die Berge nach Madrid.
Und das ist wirklich das Schönste an „Helden auf Schwalben“: Nicht dass da
wer eine sonstwie krasse Leistung vollbringt und sich dafür feiern lässt.
Sondern wie gut die beiden unterwegs aufpassen: aufeinander, auf die Welt
und auf die anderen Menschen da draußen, die alle ganz tolle und verrückte
Sachen machen.
7 Jan 2021
## LINKS
[1] https://helden-auf-schwalben.de/
[2] https://mathiasspaan.de/
[3] http://www.vimeo.com/ondemand/heldenaufschwalben
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Film
Dokumentarfilm
Europa
Roadmovie
Superhelden
Film
Black Power
Western
Inklusion
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