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# taz.de -- Bier und Fußball im Gespräch: „Das mit dem Bier überhöre ich�…
> Im Stadion wird gern gebechert. Marcus Kinder macht da nicht mehr mit.
> Der Union-Fan ist trockenund weiß, dass Fußball auch ohne Alkohol geht.
Bild: Marcus Kinder weiß mittlerweile, dass Fußball auch nüchtern geht
taz: Herr Kinder, auf einem Transparent der Union-Ultras im Stadion stand
mal der Spruch: „Fifa-Mafia, wir nehmen euch so ernst wie alkoholfreies
Bier“. Sie stehen regelmäßig im Stadion auf der Waldseite neben den Ultras,
aber für Sie ist Bier generell tabu, selbst alkoholfreies?
Marcus Kinder: Ja, ich bin seit drei Jahren trocken und trinke auch im
Stadion nur Kaffee oder Cola.
Das war früher ganz anders?
Klar. Vorm Spiel hieß es Vorglühen. Im Stadion wurde weiter gebechert und
nach dem Spiel sowieso. Vom Spiel selbst habe ich gegen Schluss oft gar
nichts mehr mitbekommen.
Was geht Ihnen da durch den Kopf, wenn Sie den Werbesong des
Union-Biersponsors mit der Textzeile „Berlin, du bist so wunderbar“ heute
im Stadion hören?
Ich mag nach wie vor den Song und die Botschaft, die er vermittelt. Berlin
ist eine coole Stadt. Das mit dem Bier überhöre ich aber mittlerweile.
Genauso, wenn ich mit meinen Freunden in unserer Hellersdorfer Kneipe
Champions League gucke und dabei immer die Bierwerbung sehe.
Vor den Spielen der Nationalelf laufen jetzt im Fernsehen Werbetrailer für
alkoholfreies Bier.
Ein schöner Versuch mit alkoholfreiem Bier, aber im Stadion wird das nur
müde belächelt. Aber selbst auf diese Weise ist das Thema Bier immer
irgendwo mit dem Fußball verknüpft. Wobei, im Eishockey ist es sicher nicht
anders. Wenn ich die Eisbären-Fans auf dem Weg in die Mercedes-Arena sehe,
da entdecke ich auch keinen mit einer Flasche Wasser.
Berlin im Dschum erleben finden ja viele wunderbar. Wie war es, Fußball
permanent bedschumt zu erleben?
Man erlebt alles intensiver, die schönen wie die schlechten Momente. Sei es
im Spiel, wenn in der 89. Minute noch das Siegtor fällt oder in der
Schlussminute das 1:2. Aber auch die Atmosphäre rund ums Spiel ist im
Dschum irgendwie geil, zum Beispiel die Stunde vorm Anpfiff im Stadion beim
Einsingen. Oder ganz besonders bei den Auswärtsspielen. Die Auswärtsfahrt
erlebt man einfach anders, wenn man einen drinne hat. Wenn man am
gegnerischen Stadion ankommt und die gegnerischen Fans sieht und die
Polizisten, das stachelt einen auf, man pöbelt rum, man verhält sich anders
als sonst.
Weil mit Alkohol die Hemmschwelle sinkt?
Ja, bei mir war es so. Man ist aufgestachelt, gerade in der Gruppe.
Haben Sie sich geprügelt?
Mit der Staatsmacht habe ich es vermieden. Gepöbelt ja, aber immer mit
einem sicheren Abstand. Ich weiß nicht, ob es einfach nur das Glück des
Besoffenen war, dass mir nichts passiert ist. Wahrscheinlich war es mein
Glück, dass ich in diesen Situationen stets zwei Freunde dabei hatte, die
nicht so voll waren wie ich. Die haben mich oft zurückgehalten, wofür ich
ihnen sehr dankbar bin, sonst wäre die Sache vielleicht in eine ganz andere
Richtung gelaufen. Die beiden sind heute noch gute Freunde, mit denen ich
zum Fußball gehe, auch bei Auswärtsspielen. Allerdings nur, wenn einer mit
dem Auto fährt.
Zugfahren fällt aus?
Mit dem Zug oder dem Bus geht gar nicht, da gibt es zu viele Flashbacks.
Der Union-Partyzug am letzten Spieltag in dieser Saison am 19. Mai nach
Bochum …
… höchstens wenn ich vorne beim Lokführer säße.
Wie begann es eigentlich bei Ihnen mit der Trinkerei?
Als Jugendlicher bin ich in Hellersdorf, wo ich aufwuchs, zu Punkkonzerten
in Jugendklubs gegangen. Das erste Konzert, bei dem ich merkte, dass mir
die Musik gefällt, war übrigens von einer Band namens Soifass. Ich war oft
im Klub Kiste in Hellersdorf. Punk für 3 Euro, dazu Sternburg-Bier, das
fand ich cool. In der Zeit bin ich auch schon regelmäßig zum Fußball
gegangen. Nachdem ich als Grundschüler Borussia Dortmund toll fand, hatte
ich mit 13, 14 ich eine Affinität zu Hertha und war auch ein paar Mal im
Olympiastadion. Auf dem Gymnasium bekam ich dann etliche Mitschüler, die
Union-Fans waren. Einer hatte mich eines Tages mitgenommen an die Alte
Försterei, wo mich die Atmosphäre sofort gepackt hat.
Das war noch im alten Stadion?
Ja, damals war das auch noch nicht immer ausverkauft. Man kam, anders als
heute, auch ohne Dauerkarte zu jedem Spiel. So bestanden meine Wochenenden
jedenfalls bald meistens aus Musik oder Fußball und Saufen. Das gehörte
damals zusammen und es gehört heute eigentlich genauso zusammen, nur dass
ich nicht mehr mittrinke.
Wann haben Sie erstmals die Reißleine gezogen?
2014 habe ich meine erste Entgiftung im Krankenhaus gemacht. Zu dem
Zeitpunkt war es ja so, dass ich mich vom Fußball sogar schon zurückgezogen
hatte, weil ich nur noch alleine trinken wollte. Ich habe praktisch ein
Jahr lang nur für mich allein getrunken, immer bemüht, irgendwie den Pegel
zu halten, was in der Woche auch irgendwie ging. Mit Hängen und Würgen
hatte ich mich auf Arbeit bis ins Wochenende gerettet, aber dann konnte ich
gar nicht mehr ins Stadion, weil ich Samstagvormittag schon betrunken war.
Ich hatte auch keine Dauerkarte mehr gekauft, weil ich das Geld für Alkohol
brauchte. So habe ich mich zunehmend auch von meinen Fußballkumpels
entfernt. Eine Freundin hatte ich nicht, da war in der Situation gar nicht
dran zu denken. Union verfolgte ich nur noch im Fernsehen und Internet.
2014 habe ich mich selbst schlau gemacht, eine Suchtberatungsstelle und
dann eine Therapeutin aufgesucht. Anschließend war ich zehn Tage zur
Entgiftung im Unfallkrankenhaus Berlin.
Hardcore?
Kann man so sagen, eine echte Tortur, auch wenn man Medikamente bekommen
kann, um die Entzugserscheinungen zu mildern. Der Körper dreht durch, man
schwitzt, der Blutdruck geht hoch, man schläft schlecht, der Kopf kreist in
den ersten Tagen nur um das eine Thema: Alkohol. Ich habe es geschafft,
aber leider bin ich nicht auf den Rat eingegangen, eine Langzeittherapie zu
machen. Das Ergebnis war: Irgendwann trank ich doch mal ein Bier, dann
zwei, und drin war ich wieder. Nachdem ich meinen Job verloren hatte,
entschloss ich mich 2016 zu meiner zweiten Entgiftung. Seither habe ich den
Umgang mit meinem Alkoholproblem gelernt.
Das heißt, auch kein alkoholfreies Bier?
Nein, ich als trockener Alkoholiker trinke kein solches Bier, weil es nicht
wirklich 0,0 Prozent hat. Außerdem wäre der Effekt beim Trinken für mich
der Gleiche wie bei alkoholhaltigem Bier: Man entkorkt genauso, trinkt
genauso, der Geschmack ist genauso. Mein Gehirn kann das nicht
unterscheiden. Also trinke ich vor oder während des Spiels Kaffee, Fanta
und so.
Im Stadion gibt’s beim Torjubel auf den Rängen oft eine Bierdusche, weil
die Fans ihre vollen Becher in die Luft werfen. Ist es für Sie schon
problematisch, bei so einem Jubel das Bier abzukriegen?
Ich fühle mich dann tatsächlich sehr unwohl. Bis jetzt hatte ich aber Glück
und nur mal Bierspritzer an die Jacke bekommen, aber noch keine komplette
Bierdusche über den Kopf. In dem Falle würde ich wahrscheinlich auch gehen.
Meine Kumpels passen auch ein bisschen mit auf mich auf.
Die trinken aber neben Ihnen weiter ihr Bier?
Ja, sicher, und ich rieche auch ihre Bierfahnen, aber ich stoße nicht mehr
mit ihnen an, denn das Zuprosten ist auch so ein Ritual, das ans richtige
Trinken erinnert. Meine Kumpels akzeptieren natürlich, dass ich nicht mehr
mittrinke und sie hatten mich auch beim Aufhören unterstützt. Ohne meine
Freunde alleine ins Stadion zu gehen, wäre für mich heute schwierig, denn
sie geben mir auch Halt. Ich würde sicher nicht rückfällig werden, mich
aber weniger wohlfühlen.
Wie ist es, das Spiel und den Trubel drumherum nüchtern zu erleben?
Die Momente vorm Spiel, wenn ich mein Wasser oder meinen Kaffee trinke,
unterscheiden sich schon sehr von früher, bei Konzerten übrigens genauso.
Gespräche im Dschum sind eben anders, man labert halt viel. Heute steht man
daneben und denkt: Ja gut, das muss ich jetzt nicht die ganze Zeit anhören,
auch wenn es manchmal ganz lustig ist.
Und das Spiel selbst?
Das erste Spiel im Stadion nach meinem Entzug – ich weiß noch, es war gegen
Kaiserslautern – war schon eine neue Erfahrung. Die Emotionen kommen zwar
allmählich mit dem Spielverlauf, weil man natürlich den Schiri oder die
Gegenspieler in bestimmten Situationen beschimpft, aber es ist alles
gehemmter.
Achten Sie jetzt mehr auf die sportliche Qualität des Spiels?
Ich bin kein Taktikfuchs, aber ich schaue schon mehr darauf, wie gespielt
wird und sehe mir die Kombinationen genauer an. Mir fällt auch mehr auf als
früher, was auf dem Rasen passiert.
Fußballprofis sind heute auch in der zweiten Liga sehr ambitioniert, was
auch ihren Lebenswandel betrifft. Früher galten Spieler oft als
trinkfreudig. Mario Basler hat aus seinen Anekdoten als biertrinkender
Profi sogar ein Programm gemacht, mit dem er neulich bei den Wühlmäusen
auftrat und viel Publikum zog.
Ach so? Aber es stimmt, viele Fans finden solche Anekdoten natürlich
unterhaltsam. Vielleicht auch, weil sich die Zeiten da doch geändert haben
und es kaum noch Spieler gibt, die in der Öffentlichkeit trinken oder damit
auffallen. Heutzutage werden die Profis von früh an auf einen ordentlichen
Lebenswandel getrimmt. Man muss sich ja nur den Ronaldo ansehen. Wie der
seine Fitness öffentlich zeigt, das ist dann sicher auch ein Vorbild für
junge Fußballer.
Andererseits ist Stadionfußball auf den Rängen mehr denn je Partytime, die
wegen der Verwertung durchs Fernsehen auch immer früher beginnt. Haben die
Vereine einen Anteil an der Exzessausdehnung an den Spieltagen?
Das sehe ich nicht so. Wenn ein 14-Jähriger schon mittags halb zwölf mit
„Berliner Luft“ vorglüht, ist das sicherlich genauso falsch, als wenn er
das drei Stunden später macht, weil die Partie erst um halb vier
angepfiffen würde. Ich würde jedenfalls nicht so weit gehen, der Deutschen
Fußball Liga oder dem DFB eine Mitschuld zu geben, dass die Leute rund ums
Spiel so viel trinken. Klar, bei den frühen Spielansetzungen geht es
letztlich ums Geld, aber ich glaube, an die Randerscheinung, dass die Fans
dadurch schon am Sonntagvormittag saufen, denken die Funktionäre und
Fernsehleute gar nicht.
Der Fußball als Suchtantreiber, das münzen Sie nur auf sich persönlich?
Der Weg, den ich gegangen bin, das war ganz allein meine Kiste. Da kann der
Fußball nichts dafür und nicht der Verein. Der sagte ja nicht: Du, trinke
bitte mal vor dem Spiel drei Bier. Ich konnte mit dem Alkohol nicht
umgehen, in Konzerten wie gesagt ja auch nicht. Die Erreichbarkeit von
Alkohol ist doch überall und immer gegeben, nicht nur beim Fußball.
Sie haben eine Selbsthilfegruppe „Anpfiff – Fußball ohne Alkohol“ in
Marzahn-Hellersdorf gegründet.
Ich war bei meiner zweiten Entgiftung in einer Klinik in Motzen, wo ich
einen Dresden-Fan kennengelernt habe. Fußball verbindet ja immer irgendwie.
Wir haben uns auch über die Trinkerei beim Fußball unterhalten und
festgestellt, dass es unglaublich viele Selbsthilfegruppen gibt: welche nur
für Frauen, nur für Männer, nur für Russischsprachige, aber keine für
Sportfans. Die habe ich dann in Marzahn-Hellersdorf mit angeschoben, aber
sie bestand bloß drei Monate, weil nur zwei, drei alkoholabhängige
Fußballfans mitmachten, sehr schade. Meine Kumpels rieten mir, ich könne
mich doch an Union wenden, aber irgendwie hatte ich da eine Scheu, weil ich
dachte, die hätten beim Thema Bier auch ihre wirtschaftlichen Interessen
mit dem Sponsor und so. Jedenfalls habe ich es sein lassen, aber vielleicht
finden sich ja noch Interessenten für unsere „Anpfiff“-Gruppe, dann würden
wir sie fortführen.
Auf Stadionbesuche zu verzichten kommt für Sie nicht infrage?
Nein. Ich hatte es mal überlegt, aber meine Union-Klamotten habe ich nie in
die Ecke verbannt. Ich habe mich zu Hause allein gefreut, wenn die
Mannschaft gewonnen hat, und ich habe mich allein geärgert bei Niederlagen.
Heute bestehen meine Wochenenden wie früher aus Fußball und Konzerten,
nachdem ich wieder einen festen Job habe. Für Konzertbesuche war vielleicht
noch mehr Überwindung nötig, weil dort immer noch die gleichen Bands die
gleiche Musik über Alkohol spielen. Und auf Konzerten wird deutlich mehr
getrunken als im Stadion.
5 May 2019
## AUTOREN
Gunnar Leue
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