| # taz.de -- Kleine Kneipe in Neukölln: Das Wirtsehepaar und ihr Coach | |
| > Uschi und Ansgar machten eine Kneipe auf: Im Fuchsbau waren Gäste und | |
| > Wirte nicht unterscheidbar. Doch dann kam der Unternehmensberater. | |
| Bild: Bier trinken geht in der Kneipe – und im Kulturverein – und eigentlic… | |
| Grob gesagt kann man bei den Existenzgründern zwischen sich verwirklichen | |
| und verwirken unterscheiden. Erstere werden zumeist vom Arbeitsamt | |
| gefördert und mit einem Coach versehen, man spricht deswegen auch von | |
| „Staat-Ups“. Letztere suchen sich Investoren, die ihnen einen | |
| Projektmanager vor die Nase setzen, der sie marktwirtschaftlich fit macht. | |
| Von diesen „Start-Ups“ kommt einer von zehn in die Gewinnzone. | |
| Unsere Kneipe in Neukölln war ein Staat-Up, das Wirtsehepaar Uschi und | |
| Ansgar war arbeitslos gewesen und hatte beim Jobcenter einen Projektantrag | |
| gestellt, der genehmigt worden war. Normalerweise muss sich jeder | |
| irgendwann entscheiden, ob er vor oder hinter der Theke stehen will, für | |
| unseren „Fuchsbau“ hinterm Comenius-Garten traf das nicht zu, das heißt | |
| Gäste und Wirte waren nicht unterscheidbar. Weswegen die Einnahmen nicht | |
| mit den Ausgaben für Getränke und Knabberzeug Schritt hielten: Es wurde | |
| großzügig eingeschenkt und die Deckelführung lax gehandhabt, während den | |
| „Aushilfen“ anständige Stundenlöhne gezahlt wurden. | |
| Irgendwann führte der vom Jobcenter auf das „Projekt“ angesetzte „Coach�… | |
| ein ernstes Gespräch mit Uschi und Ansgar: Der Umsatz könnte besser sein, | |
| sagte der, der selbst eine Art „Staat-Up“ war: ein Unternehmensberater. | |
| Einst hatte er in der Hochschule für Ökonomie sozialistisches Wirtschaften | |
| gelernt, dann hatte er als Selbständiger Firmen beraten. Diese hatten seine | |
| Wirtschaftskonzepte jedoch meist abgelehnt und waren „deswegen wieder vom | |
| Markt verschwunden“. | |
| So war es dann auch beim „Projekt“ von Uschi und Ansgar, denen er | |
| vorschlug, mehr Touristen anzulocken und zum Beispiel „Cocktails“ und | |
| „Happy Hours“ einzuführen, sowie mit „Flyern“ draußen für ihre | |
| Veranstaltungen zu werben. Aber dazu fand sich niemand und das ganze | |
| „Hawaii-Gelumpe“ mit den Happy-Hours lehnten alle ab, zumal sie | |
| befürchteten, dass dann plötzlich Englisch im „Fuchsbau“ gesprochen wurde. | |
| Nicht dass sie generell was gegen Fremde hatten, Polen und Russen waren | |
| beispielsweise willkommen, es standen acht Wodka-Sorten im Kühlfach. | |
| ## Verluste auf viele Schultern verteilen | |
| Als der Coach sich mit der Anökonomie das „Fuchsbaus“ vertraut gemacht | |
| hatte, schlug er vor, mit den Stammgästen einen Kulturverein zu gründen, | |
| das würde die Verluste auf viele Schultern verteilen, wenn nicht gar dazu | |
| führen, endlich Gewinn zu machen. Denn hinter einem solchen altruistischen | |
| Verein stünden viele Egoisten, die nicht draufzahlen wollen auf Dauer. | |
| Der Coach argumentierte gerne biologisch, in diesem Fall bemühte er eine | |
| Drosselart, bei der die ledigen Vögel den Brutpaaren bei der Aufzucht | |
| helfen, wodurch sie an Ansehen gewinnen. Desungeachtet wurde sein Rat | |
| angenommen und schon bald waren alle Mitglieder im Verein der Freunde des | |
| klassenlosen Fuchsbaus. Da die Höhe des Mitgliedsbeitrags jedoch von jedem | |
| selbst bestimmt wurde und man auch nichts zu zahlen brauchte, änderte der | |
| Verein wenig an der finanziellen Misere. | |
| Den „e.V.“ gibt es noch heute, aber Uschi und Ansgar übergaben die Kneipe | |
| einem anderen Wirtsehepaar. Dennoch blieb alles so wie es war, nur dass die | |
| neue Thekencombo etwas strenger wirtschaftete und die Gläser nicht mehr so | |
| voll schenkte. | |
| ## Sich selbständig machen – mit Coach | |
| Zu den Vereinsmitgliedern gehörte Malgorzata, eine Fotokünstlerin. Da sie | |
| selten ein Foto verkaufte, war sie arbeitslos gemeldet. Irgendwann legte | |
| das Jobcenter ihr nahe, sich selbständig zu machen mit einer Förderung – | |
| und einem Coach. Bei diesem handelte es sich um einen Westberliner, der | |
| eine Künstleragentur hatte, aber es sei ihm damit nach der Wende so | |
| ergangen wie Woody Allen in „Broadway Danny Rose“. | |
| Malgorzata fotografierte vor allem Leute in U- und S-Bahnen. Danny Rose | |
| riet ihr, sich auf Hochzeiten, Betriebsfeiern und Firmenjubiläen zu werfen | |
| und dazu zum Beispiel bei Kapitänen von Ausflugsschiffen und Betreibern von | |
| Hochzeitssälen vorzustellen – mit Visitenkarten. | |
| Seine Vorschläge machten Malgorzata regelrecht krank. Oft hatte sie sich | |
| vorgestellt, wenn sie mal wieder einen hupenden türkischen Hochzeits-Konvoi | |
| auf der Straße sah, hinzurennen und die Braut aus dem Auto zu zerren, um | |
| sie zu retten. Das war also alles nichts für sie, ihr Coach machte aus | |
| seiner Enttäuschung keinen Hehl und ihr Sachbearbeiter beim Jobcenter | |
| drohte: „Wir können auch anders!“ | |
| 14 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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