Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne „Wirtschaftsweisen“: Wir Achtsamen, wir Opelaner
> Das „Wir“ ist Teil einer Konsumentendemokratie geworden, in der das
> Gesetz der großen Zahl gilt, das auch der vereinzelte Konsument nutzen
> kann.
Bild: Nestlé boykottieren macht schon allein wegen der Müllberge Sinn, die di…
Zur Achtsamkeit, die demnächst in skandinavischen Schulen gelehrt werden
soll, gehört die Umsichtigkeit – nicht nur im Hinblick auf „Schnäppchen�…
sondern auch zum Beispiel beim Gebrauch des Worts „wir“. „Wir müssen die
Vermüllung der Meere stoppen!“ „Wir müssen den Waffenexport nach
Saudi-Arabien unterbinden!“, „Wir wissen zu wenig über die Klitoris“ und…
weiter Besonders absurd ist das in den „sozialen Netzwerken“, auf Facebook
zum Beispiel, wenn dort das Wir mit der Aufforderung zur Unterstützung
verbunden wird – die darin besteht, dass man sie anklickt. Und gut is!
Ich verstehe: Es gibt viele Wirs – ein Fußballvereins-Wir, ein „Partei- und
Gewerkschafts-Wir „Wir Opelaner“, „Wir Friesen“ – Apropos: Als dieses…
Theodor Storm gepackt hatte, zieh ihn Theodor Fontane der „Husumerei“.
Trotzdem sollte man nicht den Husumer Nationalökonomen Ferdinand Tönnies
und seine Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft dabei vergessen.
„Gemeinschaften“ gibt es viele, sie können sich an den unmöglichsten Orten
entwickeln: So gibt es zum Beispiel in Ost- und in Westdeutschland je einen
Kreis von Leuten, die Tausendfüßer züchten („Tausi“ von ihnen genannt) u…
sogar je eine eigene Zeitschrift herausgeben. Eine Gesellschaft gibt es
aber schon lange nicht mehr, höchstens Nationen, Staaten. Also zielt das
politische oder sozial engagierte Wir auf die Weltbevölkerung, mindestens
auf die in den industrialisierten Ländern.
Der Autor Thomas Steinfeld schreibt in der SZ, dass viele Themen heute „oft
ins Große zielen“ – und damit letztlich „Ohnmacht“ anzeigen. Ebenso oft
aber würden die Argumente auch ins Kleine,“ auf den Einzelnen, „den
verantwortungsvollen Bürger“ zielen. Er denkt dabei an die „Flugscham“, …
nicht bis zu den „Kampfliegern“ denkt. Stattdessen wird es immer
kleinteiliger – bis hin zu einer „Ideologie privater Verantwortung“. Diese
debattiert dann zum Beispiel, inwieweit die Segelschiffstour mit Eskorte
von Greta Thunberg noch „klimaneutral“ ist.
## Hersteller boykottieren
Alles Private ist politisch – das hatte einmal eine andere Bedeutung: von
sozial determiniert, es war also analytisch gemeint. Jetzt ist das Wir Teil
einer Konsumentendemokratie, in der das Gesetz der großen Zahl gilt, das
auch der vereinzelte Konsument für sich nutzen kann, indem er
beispielsweise, dem Vorbild Ralph Naders folgend, eine bestimmte Ware nicht
kauft, um den Hersteller, wenn das viele machen, zu etwas zu zwingen.
Das war unter anderem bei der Anti-Shell-Kampagne Mitte der 90er Jahre der
Fall, die von Greenpeace mitgetragen wurde. Dieser Global NGO-Player
spricht im Übrigen auch gern von Wir. Im Falle des „Glühbirnenverbots“
umfasste dies den Osram- und den Philips-Konzern, mit denen Greenpeace am
EU-Parlament vorbei die Ersetzung der Glühbirne durch quecksilberhaltige
„Energiesparlampen“ durchsetzte. Derzeit ist die Organisation bei der
Anti-Nestlé-Kampagne aktiv: Ein Boykott wegen der auf Privatisierung
drängenden „Wasserpolitik“ des weltgrößten Nahrungsmittelkonzerns und
seiner Palmölimporte, für die in Indonesien der Urwald weichen muss.
Und „wir“ sollen deswegen keine Nestlé-Produkte mehr kaufen! Schon heißt …
in den sozialen Medien, dass dadurch der Konzern bereits starke
Umsatzeinbußen hinnehmen musste. Die ersten Supermärkte hätten sich schon
dem Boykott angeschlossen. So eine konsumistische Boykottaktion ist eine
Art Heerschau: Man sieht, wie groß das Wir ist – wenigstens in diesem einen
Punkt im weltumspannenden Netz des Kapitals: Nestlé.
Die einen konzentrieren sich auf das in Flaschen verkaufte Raubwasser des
Konzerns, andere haben sein Katzenfutter Kitkat im Visier. Es kommt zu
Überschneidungen – zwischen dem Wir der Nestlé-Gegner und dem Wir der
Katzenliebhaber.
1 Sep 2019
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
taz.gazete
Gemeinschaft
Greenpeace
Kolumne Wirtschaftsweisen
Kolumne Wirtschaftsweisen
Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kleine Kneipe in Neukölln: Das Wirtsehepaar und ihr Coach
Uschi und Ansgar machten eine Kneipe auf: Im Fuchsbau waren Gäste und Wirte
nicht unterscheidbar. Doch dann kam der Unternehmensberater.
Kolumne „Wirtschaftsweisen“: Autonomer Widerstandsforscher
Ein richtiger Revolutionär stirbt nicht an Krebs: Hans-Dieter Heilmann ist
tot. Ein Nachruf auf das Ehrenmitglied der Donaldisten.
Kolumne Wirtschaftsweisen: Kränkungen nach dem Sozialismus
Wenn man von den „Befindlichkeiten“ der Ostdeutschen redet, muss auch von
dem die Rede sein, was ihnen in den 29 Jahren nach der Wende alles
widerfuhr.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.