# taz.de -- Parlamentswahl in Spanien: Sozialisten vor dem Comeback | |
> Bei der Wahl am Sonntag dürfte die Sozialistische Partei einen Sieg | |
> erringen. Die Rechte ist im Abwärtstrend, Podemos hat den Zenit | |
> überschritten. | |
Bild: Hat Aufwind: Sozialist Pedro Sanchez | |
MADRID taz | Spaniens Sozialisten sind zurück. Das staatliche | |
Meinungsforschungsinstitut CIS sieht die Sozialistische Arbeiterpartei | |
Spanien (PSOE) für die Wahlen am Sonntag bei bis zu 138 der 350 | |
Abgeordneten im spanischen Parlament. | |
Die konservative Partido Popular (PP) liegt mit maximal 76 Sitzen weit | |
abgeschlagen dahinter. Und selbst die Summe der drei rechten Parteien, | |
neben PP die rechtsliberalen Ciudadanos und die rechtsextreme VOX, die | |
erstmals ins Parlament einziehen wird, ergibt wohl kaum eine | |
Regierungsmehrheit. | |
[1][Ministerpräsident Pedro Sánchez] steht damit vor einem Sieg, den ihm | |
noch vor wenigen Monaten kaum jemand zugetraut hätte. Beim letzten | |
Urnengang im Juni 2016 wurde die PSOE fast von der linksalternativen Unidas | |
Podemos (UP) überholt. Zuletzt verfügten die Sozialisten noch über 84 | |
Abgeordnete. | |
Erst ein Misstrauensvotum brachte den 47-jährigen | |
Wirtschaftswissenschaftler Sánchez vor knapp elf Monaten überhaupt an die | |
Macht. Eine Parlamentsmehrheit aus Sozialisten, UP sowie Nationalisten aus | |
Katalonien und dem Baskenland wählte [2][den bis dahin regierende | |
Konservativen Mariano Rajoy ab], nachdem seine PP wegen schwerer Korruption | |
verurteilt worden war. | |
Es war das erste Misstrauensvotum in der Geschichte der spanischen | |
Nach-Franco-Demokratie, das erfolgreich endete. Sánchez wurde | |
Ministerpräsident, obwohl er nicht einmal mehr dem Parlament angehörte. | |
## Mindestlohn angehoben | |
„Der schöne Pedro“, wie die Presse den hochgewachsenen Mann taufte, hatte | |
nur diese eine Chance, und er nutzte sie. Sánchez stellte eine betont | |
pro-europäische, paritätisch besetzte Regierung aus bekannten | |
sozialistischen PolitikerInnen und fortschrittlich gesinnten Unabhängigen | |
zusammen. | |
Staatsmännisch machte sich der erste Regierungschef Spaniens, der fließend | |
Englisch spricht, an die Arbeit. Woche für Woche stellt sein Kabinett neue | |
fortschrittliche Sozialmaßnahmen vor, selbst dann noch, als längst das | |
Parlament aufgelöst und Wahlen angekündigt waren. Die Anhebung des | |
Mindestlohns, Rentenanpassung, Stütze für Langzeitarbeitslose über 52, ein | |
Mietgesetz, ein Gesetz für den Eigenkonsum erneuerbarer Energien, Programme | |
für Opfer sexualisierter Gewalt sind nur einige Beispiele. | |
Pressewirksam ließ er in einer seiner ersten Amtshandlungen das | |
Flüchtlingsschiff „Aquarius“ [3][in Spanien anlegen], nachdem kein anderer | |
Mittelmeeranrainer die über 600 Hilfesuchenden aufnehmen wollte. Und er | |
kündigte an, die sterblichen Überreste des einstigen Diktators Francisco | |
Franco von einer Gedenkstätte auf einen Privatfriedhof umbetten zu lassen. | |
Ein Ansinnen, das nach einer Klage der Familie die Gerichte beschäftigt. | |
## Popularität qua Amt | |
Aber es sind auch die Fehler der anderen, die Sánchez in der Gunst der | |
Wähler steigen ließen. Cuidadanos, die vor vier Jahren am rechten Rand der | |
Sozialisten erfolgreich auf Stimmenjagd gingen, haben sich mittlerweile so | |
weit nach rechts entwickelt, dass sie selbst mit der rechtsextremen VOX | |
keine Berührungsängste mehr haben. | |
[4][Im südspanischen Andalusien] regieren sie seit Dezember in Koalition | |
mit der PP, dank der Unterstützung durch die Ausländer- und | |
frauenfeindliche VOX. Sánchez nutzt dies im Wahlkampf. „Ich will ein | |
Spanien, das in die Zukunft schaut und nicht 40 Jahre zurückfällt“, warnt | |
er vor den „drei Rechten“. | |
Auch auf der Linken kann der Sozialist Stimmen zurückgewinnen. Tingelte | |
Sánchez vor vier Jahren noch als Kopie des überall präsenten und beliebten | |
Pablo Iglesias durch Tratsch- und Klatschprogramme, um seine Bekanntheit zu | |
steigern, gibt er heute kaum noch Interviews. Wer nicht spricht, macht | |
keine Fehler, scheint das Motto seines Wahlkampfteams zu lauten. Und er hat | |
es auch gar nicht nötig. Das Amt gibt ihm die Popularität, die ihm bisher | |
fehlte. | |
## Die Zeiten haben sich geändert | |
Gleichzeitig sinkt die Beliebtheit von Podemos-Chef Iglesias. Er ging 2016 | |
mit den Postkommunisten zusammen. [5][Aus Podemos wurde Unidas Podemos | |
(UP)]. Das Bündnis rutschte deutlich nach links, anstatt weiterhin, wie | |
etwa Syriza in Griechenland, mit den Sozialisten um deren Platz im | |
politischen Spektrum zu streiten. Innerparteiliche Kritiker des | |
Kurswechsels wurden kaltgestellt. In der Region Madrid spaltete sich die | |
junge Partei gar. | |
Auch wenn sich Iglesias jetzt von seiner menschlichen und besonnenen Seite | |
gibt, die Zeiten haben sich geändert. Die Umfragen sagen UP den Verlust von | |
bis zur Hälfte ihrer Abgeordneten vorher. Die Wähler kehren – so scheint es | |
– in Scharen zu den Sozialisten zurück, denen sie aus Verärgerung über die | |
Austeritätspolitik, die unter dem letzten Ministerpräsidenten aus den | |
Reihen der PSOE, José Luis Rodríguez Zapatero, begonnen hatte, den Rücken | |
gekehrt hatten. | |
Niemand hätte Sánchez all das wirklich zugetraut. Er wurde in seiner kurzen | |
Karriere, die ihn zuerst vom Stadtrat in Madrid auf die hinteren | |
Parlamentsbänke der Sozialisten führte, mehrmals für politisch tot erklärt. | |
2014 gewann der Außenseiter die ersten Urwahlen eines Parteichefs bei den | |
Sozialisten. Nach zwei Wahlniederlagen und der erfolglosen Kandidatur vor | |
dem Parlament zum Regierungschef 2015 verlangte der Parteiapparat von ihm, | |
die PSOE möge sich enthalten, damit der konservative Rajoy erneut zum | |
Regierungschef gewählt werden kann. | |
Sánchez verlor das innerparteiliche Tauziehen, legte den Parteivorsitz | |
nieder und verließ kurz darauf auch das Parlament. Rajoy wurde mit | |
Stimmenthaltung der PSOE im Amt bestätigt.Der geschlagene Sánchez ging | |
zurück an die Basis und bereitete mit seinen allerengsten Verbündeten das | |
Comeback vor. Es gelang. 2017 gewann er erneute Urwahlen gegen die | |
andalusische PSOE-Chefin und Landesmutter Susana Díaz und damit gegen den | |
mächtigen Parteiapparat. | |
## Wer ist der beste spanische Patriot? | |
„Das war alles furchtbar hart, traumatisch. Ich erlebte jede Minute einen | |
neuen Vertrauensbruch. Aber es zeigte mir, wen ich als Freund und wen als | |
Feind ansehen darf“, erinnert sich Sánchez in seiner vor Kurzem | |
veröffentlichten Biografie, dem „Handbuch des Widerstands“. Jetzt | |
beherrscht er die Partei wie kaum einer vor ihm. Erfolg macht Freunde; und | |
wer nicht zu ihm übergelaufen ist, wurde ganz im Stillen abgesägt. | |
Vor Sánchez liegt kein leichter Weg. Die vorgezogenen Neuwahlen am Sonntag | |
wurden notwendig, nachdem die Sozialisten den mit UP ausgehandelten | |
Haushalt nicht durchs Parlament brachten. Die katalanischen | |
Unabhängigkeitsparteien hatten zusammen mit der Rechten dagegen gestimmt. | |
Sie verlangten für eine Unterstützung Verhandlungen über ein | |
Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild. | |
„Nein ist nein!“ und „Niemals außerhalb der Verfassung!“, lautet die | |
Antwort, die Sánchez seither ständig wiederholt. Dennoch muss er sich von | |
den drei Rechtsparteien als „Verräter der Verfassung“ beschimpfen lassen, | |
als derjenige, „der mit denen verhandelt, die Spanien zerstören wollen“. | |
PP, Ciudadanos und VOX versuchen politisches Kapital aus der | |
Katalonienkrise zu schlagen. | |
Es ist ein regelrechter Wettbewerb darum ausgebrochen, wer der beste | |
spanische Patriot ist. Die harten Töne werden sicher auch nach den Wahlen | |
anhalten, denn Sánchez könnte dann einmal mehr auf die Stimmen der | |
Katalanen und Basken angewiesen sein. Und ohne Dialog um Katalonien wird es | |
keine Lösung für die wohl schwerste Krise der gerade einmal 40 Jahre alten | |
Demokratie geben. | |
## Partner dringend gesucht | |
Sánchez braucht vor allem einen großen, zuverlässigen Partner. Damit steht | |
er einmal mehr vor der Wahl zwischen Ciudadanos und UP. Bereits 2015 | |
verhandelte Sánchez mit beiden und entschied sich letztendlich zugunsten | |
der Rechtsliberalen. Das Bündnis bekam keine Parlamentsmehrheit. Erneute | |
Wahlen wurden nötig. | |
In seinem „Handbuch des Widerstands“ gibt Sánchez zu, unter „Druck des | |
Ibex“ – den Unternehmen im spanischen Aktienindex, „den ich durch die | |
Presse zu spüren bekam“ –, gehandelt zu haben. „Es gab eine wirtschaftli… | |
Macht, die darauf setzte, die Linke zu spalten“, schreibt er. | |
Ob er dieses Mal den Mut hat, mit UP zusammenzugehen, wird sich zeigen | |
müssen. In den beiden Fernsehdebatten wich Sánchez der Frage nach einem | |
Koalitionspartner aus. Er hält sich alle Optionen offen, und das obwohl | |
Ciudadanos jedwede Zusammenarbeit mit den Sozialisten ablehnt. Die | |
Zusammensetzung der künftigen Regierung wird sicher nicht vor dem 26. Mai | |
entschieden. Dann gehen die Spanier erneut an die Urnen und wählen das | |
Europaparlament, die Kommunalverwaltungen und in den meisten Landesteilen | |
die Regionalregierungen. Keiner wird sich davor wirklich in die Karten | |
schauen lassen. | |
„Wir haben Geschichte geschrieben, wir haben die Gegenwart mitgestaltet und | |
die Zukunft gehört uns“, versuchte Sánchez das schmerzhafte Ergebnis 2016 | |
zu versüßen und sorgte damit für Unverständnis und Verärgerung in der PSOE. | |
Jetzt hat er die unerwartete Chance, dies wahrzumachen. | |
26 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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