# taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Der Kicker als politischer Akteur | |
> Warum die Vorstellung, man sei entweder sozial und politisch | |
> aufgeschlossen oder aber man kicke und ballere in der Gegend herum, | |
> längst widerlegt ist. | |
Bild: Der Kicker und sein Präsident: Christoph Metzelder und Frank-Walter Stei… | |
Es scheint, als seien die Zeiten vorbei, dass man die bloße | |
Aneinanderreihung von Fußballernamen in Verbindung mit politischen Ämtern | |
als Satire verkaufe konnte. Doch noch vor einem Jahr hat es die | |
Bild-Zeitung gemacht: Marco Reus könne doch Verkehrsminister werden, „jetzt | |
darf er ja“. Haha, hihi, hoho. Kicher, kicher, kicker. | |
Heute aber, so hat es den Anschein, muss man nur Namen wie Christoph | |
Metzelder, wie Marco Bode oder Benedikt Höwedes nennen und schon ahnt man, | |
dass es um soziale Verantwortung geht, um zivilgesellschaftliches | |
Engagement. Der moderne Fußballprofi ist sprachgewandt, welterfahren, | |
reflektiert und was-weiß-ich-noch. | |
Nicht, dass Fußballer früherer Jahrzehnte, unpolitisch waren oder, was eine | |
noch unsinnigere Behauptung wäre, ihr Kicken keine politische Dimension | |
besessen hätte. Die Bedeutung des WM-Titels 1954 und des „Wir sind wieder | |
wer“ sollte uns eines Besseren belehren. Aber früher, so geht die | |
Erzählung, liefen die Proleten hinter dem Ball her, sie hießen Fritz oder | |
Helmut oder Uwe, hatten einen Volksschulabschluss, und ihre Perspektive | |
lautete Tankstelle, Lotto-Toto-Annahmestelle oder Wirt der Vereinskneipe. | |
Die Frage nach ihrer politischen Partizipation wurde nicht gestellt, denn | |
man traute denen ja schlicht nichts zu. Man nahm sie gar nicht als Menschen | |
wahr, die etwas zu sagen haben: Fußballer entstammten nicht dem Bürgertum, | |
das gesellschaftlich und politisch alles regelte. | |
## Fußballer als politische Kuriositäten | |
Sie wurden stattdessen als wahlweise dumm oder Kuriosität präsentiert: | |
Winnie Schäfer und Hansi Müller im Gemeinderat, Otto Rehhagel und Pierre | |
Littbarski bei der Wahl des Bundespräsidenten – das wirkte immer so, als | |
würde beim Dinner der Hausherr den erlesenen Gästen mal kurz seine Putzfrau | |
vorstellen. Auf dass sie bald wieder von da verschwinde, wo die Herrschaft | |
sie hingestellt hat. | |
So gesehen war also das Fehlen von Leuten wie Fritz Walter oder Uwe Seeler | |
in den politischen Diskursen nicht etwa Ausdruck davon, dass die dumm oder | |
unpolitisch gewesen seien – weder das eine noch das andere. Es hat schlicht | |
damit zu tun, dass Fußballer kulturelle – und damit auch politische – | |
Repräsentanten einer Working-class-Kultur waren: Von der Mehrheit geachtet, | |
respektiert und oft auch verehrt; von den Eliten aber verspottet und nicht | |
ernst genommen. | |
Und heute ist alles anders? Schön wär’s. Zum einen gab es die Ausnahmen | |
schon immer. Unter Sepp Herberger stand Fritz Herkenrath im | |
Nationalmannschaftstor – später war er Professor in Aachen und Düsseldorf. | |
Zu den Weltmeistern 1974 gehörte Jupp Kapellmann, der fünf Sprachen | |
beherrscht und später Chefarzt in Saudi-Arabien wurde. | |
## Littbarskis Aufgeschlossenheit | |
Doch, zum anderen, wenn man mit solchen Aufzählungen versucht nachzuweisen, | |
dass es AUCH intelligente, gesellschaftlich und politisch wichtige | |
Fußballer gebe, begeht man einen sehr undemokratischen Fehler: Chefärzte | |
und Professoren stellen in keiner Gesellschaft die Mehrheit, es ist nicht | |
einzusehen, warum sie am meisten zu sagen haben sollten. Das gilt im | |
Übrigen auch für BWL-Absolventen und Söhne von RWE-Vorständen, die später | |
Manager der Nationalmannschaft geworden sind. | |
Als Pierre Littbarski, der eher zu den nicht ganz ernst genommenen Kickern | |
gezählt wird, nach einer erfolglosen Saison beim Racing Club Paris gefragt | |
wurde, ob das nicht ein verlorenes Jahr für ihn gewesen sei, widersprach er | |
vehement: Nein, er habe ein neues Land und eine neue Sprache erlernt. | |
Später ging Littbarski nach Japan und lernte Japanisch. | |
Soll heißen: Die sehr deutsche und sehr bürgerliche Vorstellung, man sei | |
entweder sozial und politisch aufgeschlossen oder aber man kicke und | |
ballere in der Gegend herum, ist schon längst widerlegt. | |
Es ist vielmehr der Fußball, diese Demokratie auf dem Rasen, die etlichen | |
Menschen die Möglichkeiten des kulturellen und sozialen Aufstiegs bietet. | |
Ex-Profis wie Marco Bode oder Christoph Metzelder sind nicht zu politisch | |
ernst zu nehmenden Persönlichkeiten geworden, obwohl sie Fußballer waren, | |
sondern weil sie es gewesen sind. Und solche Menschen gibt es noch viel | |
mehr – und meist tragen sie kurze Hosen. | |
14 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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