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# taz.de -- Mietendemo und Enteignungs-Begehren: Darf denn Wohnraum Ware sein?
> Zum Start des Berliner Enteignungs-Volksbegehrens zieht am Samstag die
> „Mietenwahnsinn“-Demo durch die Stadt. Die Mietenfrage hat radikales
> Potenzial.
Bild: Große Haie, kleine Fische bei der „Mietenwahnsinn“-Demo 2018
Am Thema Mietenpolitik kommt in Berlin niemand mehr vorbei. An diesem
Wochenende gilt das ganz besonders: 25.000 Menschen kamen bereits im
vergangenen Jahr zur Mietenwahnsinn-Demonstration, an diesem Samstag
könnten es bei der zweiten Ausgabe noch mehr werden. 269 Initiativen aus
ganz Deutschland unterstützen den Aufruf.
Das gilt aber auch jenseits der Demo: Über das Volksbegehren zur Enteignung
von Wohnungskonzernen wird seit Wochen hitzig diskutiert, obwohl die
Unterschriftensammlung erst mit der Demo beginnt. Wenn die Berliner
Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag vergangene Woche dazu keine
Entscheidung treffen oder die Grünen dieses Wochenende gar nicht erst
darüber reden wollen, ist allein das schon eine Nachricht. Auch für die
besonders in der Kritik stehende Deutsche Wohnen ist Ignorieren keine
Option mehr: Bisher äußerte sich das Unternehmen grundsätzlich nicht zur
Enteignungsfrage. Jetzt gibt der Vorstandsvorsitzende persönlich Interviews
dazu.
Klar: In der Mietenbewegung tummeln sich findige Leute. Da ist viel richtig
gemacht worden, wenn es darum geht, Protestformen zu entwickeln,
Botschaften zu setzen, Konflikte zuzuspitzen. Mieterin zu sein ist nicht
mit Scham behaftet, das macht es einfacher, sich zu organisieren – anders
als etwa bei Arbeitslosen oder Menschen ohne Wohnung. Und es ist ein
Konflikt, bei dem die Rollenverteilung klar scheint: auf der einen Seite
die herausmodernisierte Großmutter, auf der anderen der skrupellose
Immobilienkonzern.
Doch eigentlich geht es bei dem Konflikt gar nicht nur um die Frage, wie
skrupellos ein Unternehmen ist, wie böse ein Konzernchef. Genau das macht
ihn so interessant. Denn der Widerspruch, der hinter dieser
Auseinandersetzung steht, ist nicht nur ein moralischer, sondern ein
grundsätzlicher: Man darf mit Fug und Recht fragen, ob Unternehmen, die
dazu da sind, Gewinne zu erwirtschaften, überhaupt für die
Wohnraumversorgung der Bevölkerung zuständig sein sollten.
## Zeiten des Leerstands sind vorbei
Darin liegt das radikale Potenzial der Mietenfrage: Es geht darum, wie
soziale Infrastruktur, wie die Grundversorgung der Bevölkerung
sichergestellt werden kann. Und bei einer Situation wie der auf dem
Berliner Immobilienmarkt gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass private
Unternehmen mit Gewinnabsichten dafür nicht die richtigen sind. Selbst dann
nicht, wenn sie sich nicht an besonders krassen Geschäftspraktiken
beteiligen: Die Zeiten, in denen in Berlin massiv mit Leerstand spekuliert
wurde, sind längst vorbei. Und Unternehmen wie die Deutsche Wohnen setzen
nicht nur auf Altbauten in beliebten Innenstadtkiezen, die zu
astronomischen Preisen vermietet werden können. Sie haben das Potenzial
erkannt, das in Berlin selbst in Plattenbausiedlungen der Randbezirke zu
finden ist. Also wird dort gekauft, saniert und verteuert, wo die wohnen,
die besonders wenig Geld haben.
Doch das Recht auf angemessenen Wohnraum gilt auch und insbesondere für
Menschen mit geringem Einkommen. Und wenn die Logik des Wohnungsmarkts dazu
führt, dass die Mieten schneller steigen als die Löhne, gibt es nur zwei
Möglichkeiten: Entweder verabschiedet man sich endgültig von der
Vorstellung einer sozial durchmischten Stadt – im Zentrum leben dann
künftig die Reichen, in der Peripherie die Besserverdienenden, für alle
anderen ist kein Platz. Oder es muss an dieser Logik etwas geändert werden.
Der Mietenspiegel ist als Regulierungsinstrument absurd, die
Mietpreisbremse greift nicht, die Unternehmen fühlen sich zu nichts
verpflichtet. Kein Wunder, dass der Druck in Berlin von der Straße kommt.
Gerade läuft dabei alles auf die ganz grundsätzliche Frage hinaus: Warum
sollte Wohnraum eigentlich eine Ware sein?
Spiel mit den Immobilienhaien: mit dem taz-Immobilien-Quartett in der
gedruckten taz.berlin an diesem Wochenende.
5 Apr 2019
## AUTOREN
Malene Gürgen
## TAGS
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Mieten
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Caren Lay
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Grüne Berlin
Michael Müller
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