| # taz.de -- Preis der Leipziger Buchmesse: Erzählen, wie der Traum platzt | |
| > Anke Stellings Roman „Schäfchen im Trockenen“ erhält den Preis der | |
| > Leipziger Buchmesse. Es ist ein trauriges Buch über verlorene Illusionen. | |
| Bild: Mit „Schäfchen im Trockenen“ erhält Anke Stelling den diesjährigen… | |
| Noch vor ein paar Monaten wurde Anke Stelling von einem Journalisten in ein | |
| Gespräch über das Politische in der Literatur verwickelt; und sie hat dann | |
| einen interessanten Essay darüber geschrieben. Statt von den großen | |
| politischen Themen der Zeit – Migrationskrisen, Rechtspopulismus – von sich | |
| zu erzählen wertete der Journalist als „Nabelschau“. | |
| Anke Stelling hielt dagegen. „Der Nabelschauvorwurf ist ein | |
| Machtinstrument, dazu da, Subjektivität zu verhindern, Stimmen zu | |
| unterdrücken und Hegemonie zu behalten“, schrieb sie in dem Essay. | |
| Gegenüber dem Journalisten konstatierte sie eine „komplett unterschiedliche | |
| Auffassung davon, was Politik in bezug auf Literatur bedeutet“, und kam | |
| dann auf Klassen- und Geschlechterverhältnisse zu sprechen. | |
| Und dann folgte ein wirklich interessanter Satz, der auch viel davon | |
| enthält, was den Roman „Schäfchen im Trockenen“, der nun vollkommen zu | |
| Recht mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet wurde, so interessant | |
| macht: „Wenn ich ,ich' sage und anhand meines Beispiels etwas und mich | |
| selbst behaupte, dann geschieht das gegen Widerstände. Und erzählt deshalb | |
| von ihnen.“ Eine Erzählstimme zu behaupten, die gegen Widerstände anerzählt | |
| und dabei im Erzählen viel über sie verrät, das ist Anke Stelling großartig | |
| gelungen. | |
| Natürlich sind das keine massiven, gleich auf den ersten Blick erkennbare | |
| Widerstände. Niemand ruft die Polizei, wenn jemand von sich zu erzählen | |
| anfängt. Es sind anerzogene, internalisierte Widerstände, sie haben viel | |
| mit den sogenannten feinen Unterschieden im Verhalten und im Habitus zu | |
| tun, die die Gesellschaft dann aber eben doch ziemlich grob in Kategorien | |
| von Oben und Unten, Drinnen und Draußen strukturieren. Und alles in allem | |
| sind diese feinen Widerstände dann eben doch massiv. | |
| ## Nicht-Schaffen und Trotzdem-Müssen | |
| „Schäfchen im Trockenen“ ist ein Roman, der auf mehreren Ebenen | |
| funktioniert. Die Erzählstimme der Resi, die hier über ihr eigenes Leben | |
| und das ihrer Kinder, Freunde und Eltern nachdenkt, ist auch viel | |
| literarischer, als es zunächst scheinen mag. Anke Stelling ist als Autorin | |
| sehr gut darin, in die Überlegungen ihrer Erzählerin diese kleinen | |
| treffenden Bemerkungen einzubauen, in denen ganze Schicksale aufscheinen | |
| können. An einer Stelle die Rede von einer Frau, die Kinder bekommt und | |
| damit bald „dran war mit dem mütterlichen Nicht-Schaffen und | |
| Trotzdem-Müssen“. Nicht schaffen, trotzdem müssen – der ganz normale, ganz | |
| alltägliche Wahnsinn von Kinderhaben, hineingequetscht zwischen den | |
| Anforderungen der Arbeitswelt und den Unwägbarkeiten der Kitabetreuung, ist | |
| hier mal eben auf eine literarische Formel gebracht. | |
| Auf dieser Ebene ist „Schäfchen im Trockenen“ ein in vielem | |
| desillusionierter, zwischendurch aber immer wieder auch sehr anrührender | |
| Roman über Mutterschaft und überhaupt über die Erfahrung, hier und heute | |
| Kinder in die Welt zu setzen. Was allein schon bemerkenswert ist. So viele | |
| Romane auf dieser Reflexionsebene haben wir ja nicht darüber. Dieser geht | |
| mit Mutterschaft ebenso bissig, hadernd und kämpferisch um, wie etwa Lucy | |
| Fricks aktueller Roman „Töchter“ sich mit dem Lebensentwurf oder auch | |
| Schicksal, keine Kinder zu bekommen, auseinandersetzt. | |
| Darüber hinaus hat Anke Stelling ein feines Gespür eben für die Massivität | |
| der feinen Unterschiede. In einer der vielen Szenen, die einen gerade in | |
| ihrer Alltäglichkeit das Blut gefrieren lassen können, erinnert sich Resi | |
| daran, wie sie einmal die Eltern ihres damaligen Freundes besuchte. Altes | |
| Geld, alles schön gedämpft und akkurat eingerichtet. Man sang zusammen, | |
| machte Hausmusik. Resi dagegen konnte nur Blockflöte. In solchen Szenen | |
| wird klar, wo in unserer Gesellschaft eben doch noch oft genug der Hammer | |
| hängt und wo sich die Milieus trennen in die, denen ein souveräner Umgang | |
| mit der eigenen Stimme mitgegeben wurde, und die, die dabei immer wieder | |
| Schamgrenzen zu überwinden haben. | |
| ## Anders leben, solidarisch halt | |
| Politisch werden diese Unterschiede spätestens in dem Moment, in dem das | |
| Thema Erbschaft eine Rolle spielt, und das tut es in der erzählten Realität | |
| des Romans und ja auch in der Wirklichkeit außerhalb des Buchs ja immer | |
| noch und vielleicht sogar wieder zunehmend. Die Lebensrealität vieler | |
| Menschen entscheidet sich spätestens so um die Vierzig entlang der Frage, | |
| ob ihre Eltern ihnen eine schöne Eigentumswohnung kaufen können oder nicht. | |
| Resis Eltern können es nicht. Aus ihrer Mietwohnung, die sie sich noch | |
| leisten können, muss sie mit ihrem Partner und ihren Kindern aber | |
| ausziehen. Das Drama, diese Situation zu verarbeiten, setzt den Erzählmotor | |
| von Anke Stellings Roman in Gang. Sie macht, und das macht erst die | |
| eigentlich interessante Wendung ihres Romans aus, auch klar, dass diese | |
| Lage auch für diejenigen, die hier auf der Gewinnerseite stehen, ein | |
| Problem darstellt, das sie gegenüber ihren ärmeren Bekannten und Freunden | |
| zu manchen Bewusstseinskapriolen zwingt: Sie nehmen es nämlich allein schon | |
| übel, wenn Resi auf diese Situation überhaupt nur hinweist. | |
| Auf dieser Ebene ist „Schäfchen im Trockenen“ auch ein ziemlich trauriges | |
| Buch über verlorene Illusionen. Mit ihren Freunden hatte Resi einmal in | |
| einem Wohnprojekt den Traum geträumt, anders zu leben und vor allem „anders | |
| zusammen zu leben“, solidarisch halt, auf gleicher Ebene. Es ist alles | |
| andere als eine Nabelschau, davon zu erzählen, wie dieser Traum platzte. | |
| 22 Mar 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
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