| # taz.de -- Berliner Subkultur: Abschied vom Underground | |
| > Der Betreiber des Rockhauses in Lichtenberg gibt nach Streit mit dem | |
| > Eigentümer auf. Zahlreiche Musiker bangen um ihre Existenz. | |
| Bild: Bis Ende Mai müssen die MusikerInnen die Räumlichkeiten verlassen | |
| Es gibt in Wolfgang Werfels Kiosk alles, was man so braucht als Musiker – | |
| Bier, eine sogenannte Rockwurst und Gitarrensaiten. Und das zu | |
| unschlagbaren Preisen. Die Wurst für 1, 50 Euro, das Bier für 90 Cent. | |
| Werfels Shop, dem auch ein Service für die Reparatur von Musikinstrumenten | |
| angeschlossen ist, befindet sich im Erdgeschoss des Rockhauses in | |
| Lichtenberg. Auch er, samt der Rockwurst, wird verschwinden, wenn der | |
| Plattenbau, in dem sich beinahe 200 Übungsräume befinden, Ende Juni an | |
| seinen Eigentümer übergeben wird. | |
| Dirk Kümmele, der aktuelle Betreiber des Rockhauses, hatte Mitte März | |
| ziemlich überraschend den Nutzern der Proberäume mitgeteilt, dass er den | |
| Mietvertrag zwischen sich und dem Eigentümer, der Scharfstein Group, | |
| aufgelöst habe. Obwohl dieser noch bis 2023 gültig gewesen wäre. Er | |
| begründet diesen Schritt mit den Nachwehen, die diverse | |
| Rechtsstreitigkeiten in den letzten Jahren zwischen ihm und dem Eigentümer | |
| ausgelöst hätten. | |
| Tatsächlich standen sich Kümmele und Scharfstein zuletzt mehrfach vor | |
| Gericht gegenüber. Kümmele wurde vorgeworfen, bei Fragen rund um den | |
| Brandschutz nicht richtig gehandelt zu haben. Es wurde ihm gekündigt. Die | |
| Berliner Kulturverwaltung unter Klaus Lederer und das Musicboard Berlin | |
| versuchten zu intervenieren, der Bezirk Lichtenberg sprach sich für den | |
| Erhalt des Rockhauses aus. Am Ende bekam Kümmele vor Gericht Recht und | |
| durfte bleiben. | |
| In einer Presseerklärung, die er kurz nach seinem Brief an die Nutzer | |
| seiner Proberäume veröffentlichte, schreibt er nun, dass der Ärger mit dem | |
| Eigentümer jedoch weitergegangen sei und unter anderem | |
| Schadensersatzforderungen in Höhe von 650.000 Euro an ihn herangetragen | |
| worden seien. Das alles, die Gerichtsprozesse und die finanziellen Risiken, | |
| seien ihm nun einfach zu viel geworden, deswegen gebe er auf. | |
| Nicht nur für die beinahe 1.000 Musiker, die im Rockhaus die Proberäume | |
| nutzen, ist diese Entwicklung eine Katastrophe, sondern auch für die | |
| hiesige Kulturverwaltung und letztlich auch für den Kreativstandort Berlin. | |
| ## Proberäume sind in Berlin Mangelware | |
| Bis Ende Mai müssen die Musiker ihre Proberäume abgeben, der Juni soll | |
| genutzt werden, um das Haus besenrein zu machen. In der Kürze der Zeit | |
| werden viele, vielleicht sogar die meisten, keinen Ersatz finden. | |
| Proberäume sind absolute Mangelware in Berlin. Das weiß auch die | |
| Kulturverwaltung, die nach Vorgabe des aktuellen Koalitionsvertrags dazu | |
| verpflichtet ist, neue Musikproberäume zu schaffen. | |
| Erst vor Kurzem, bei der Präsentation der Pläne für den Kulturort Alte | |
| Münze in Mitte, in dem bis 2025 ebenfalls Proberäume entstehen sollen, war | |
| jedoch zu hören, dass es nur äußerst schleppend vorangehe bei der Findung | |
| geeigneter Standorte. Zu der Tatsache, dass es in Berlin sowieso eng und | |
| teuer auf dem Immobilienmarkt geworden ist, kommt hinzu, dass | |
| Musikproberäume nicht gerade das sind, was sich Vermieter wünschen. Lärm | |
| und wenig sorgsamer Umgang mit den Räumlichkeiten werden mit diesen | |
| assoziiert. Katja Lucker vom Musicboard Berlin sagt auf Anfrage der taz: | |
| „Es ist schwer, Räume für Musiker zu finden, für Bildende Künstler ist es | |
| viel einfacher.“ | |
| Der Wegfall des Rockhauses erhöht nun den Druck auf die Kulturverwaltung. | |
| Und wenn schon in zwei Monaten ein paar hundert Musiker mehr nicht wissen, | |
| wo sie proben sollen für den nächsten Auftritt, wird das auch Auswirkungen | |
| auf das Berliner Kulturleben haben. Daniel Bartsch, Sprecher der Berliner | |
| Kulturverwaltung, sagt der taz: „Wenn so ein Koloss droht wegzubrechen, | |
| dann trifft das die Berliner Musikszene hart.“ | |
| Sie werden auf die Schnelle zumindest ihre Instrumente erst einmal bei | |
| befreundeten Musikern irgendwo in Berlin unterkriegen, sagen Meghan, Julian | |
| und Florian von der Berliner Garagenrockband Snoffeltoffs, die im Rockhaus | |
| probt. „Wenn wir mal ein halbes Jahr keine Musik machen, ist das zumindest | |
| finanziell nicht so schlimm für uns“, sagt Julian, „wir sind eine Hobbyband | |
| und werden auch in 20 Jahren noch nicht von unserer Musik leben können.“ | |
| Für andere sei das Ende des Rockhauses dagegen existenzbedrohend. Auch | |
| Musiklehrer hätten sich hier eingemietet und er habe etwa mit jemandem | |
| gesprochen, der im Rockhaus eine kleine Schlagzeugschule betreiben würde, | |
| „der weiß gerade überhaupt nicht, was er jetzt machen soll.“ | |
| Der Proberaum der Snoffeltoffs, den sie seit acht Jahren nutzen, ist um die | |
| 15 Quadratmeter groß. Er sieht aus, wie solche Proberäume von Rockbands | |
| eben so aussehen. Ein großes Durcheinander an Equipment, eine kleine Couch, | |
| volle Aschenbecher. Die angebrachte Schallisolierung wirkt nicht gerade | |
| hochprofessionell, in den Leitungen, die den Raum durchziehen, gluckert es. | |
| 176 Euro zahlen sie dafür. Ziemlich fair, finden die drei. Und die | |
| Organisation im ganzen Haus sei hervorragend. Wolfgang Werfels Kiosk samt | |
| Reparaturservice, rund um die Uhr Ansprechpartner und die Möglichkeit zu | |
| proben: perfekte Bedingungen. Etwas Vergleichbares werden sie nicht mehr | |
| finden, da sind sie sich sicher. Und Proberäume stundenweise zu mieten, was | |
| gerade bei immer mehr Anbietern wie Super Sessions oder Pirate Studios | |
| möglich ist, können sie sich nicht vorstellen. Noch nicht. | |
| ## Ein weiterer Rückschlag für die Berliner Subkultur | |
| Der Schock sei groß gewesen, als die Kündigung kam, sagen sie. Aber dem | |
| Rockhaus-Betreiber Kümmele sind sie nicht böse. Sie haben die ganzen | |
| Streitereien mit dem Eigentümer des Hauses in den letzten Jahren | |
| mitbekommen und haben Verständnis dafür, dass es dem Betreiber nun reiche. | |
| Die Schuldigen sehen sie eher bei der Politik. Die habe es nicht | |
| hinbekommen, in den letzten Jahren das Problem mit den Proberäumen | |
| einigermaßen in den Griff zu bekommen. Wenn die Musiker aus dem Rockhaus | |
| jetzt nicht wüssten, wohin sie ausweichen sollen, liege es an deren | |
| Versäumnissen. „Für Opern gibt man Millionen aus, aber für die kleinen | |
| Bands wird nichts getan“, sagt Florian. Und für Julian steht fest: „Die | |
| Subkultur verabschiedet sich langsam aus Berlin.“ | |
| Derweil wird hinter den Kulissen weiter um das Rockhaus gerungen. „Wir sind | |
| auf der Suche nach Alternativen“, sagt Daniel Bartsch von der | |
| Kulturverwaltung, „aber noch ist keine Lösung in Sicht.“ Geprüft werde, ob | |
| man den Standort selbst bei der Scharfstein Group anmieten könne. Diese | |
| Verhandlungen gibt Rockhaus-Betreiber Dirk Kümmele auch als Grund an, warum | |
| er seit Bekanntgabe seiner Kündigung für Anfragen der Presse nicht zu | |
| sprechen ist. Auch nicht für die taz. Eine Mail schickt er immerhin: „Um | |
| nicht die gerade stattfindenden Gespräche zwischen der Senatsverwaltung für | |
| Kultur und Europa und dem Eigentümer Herrn Scharfstein in irgendeiner Weise | |
| zu beeinflussen, möchte ich mich im Moment nicht weiter äußern.“ | |
| Die Räumlichkeiten des Rockhauses werden inzwischen schon wieder im | |
| Internet für die Anmietung angeboten. Als Büroräume. 18 Euro für den | |
| Quadratmeter. Die Musiker derzeit zahlen 12 Euro. Kein schlechter Schachzug | |
| von Scharfstein für die Verhandlungen mit Klaus Lederer. Dass diese etwas | |
| bringen, daran glaubt Julian von den Snoffeltoffs sowieso nicht: „Es wird | |
| kein Happy End mehr geben.“ | |
| 2 Apr 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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