# taz.de -- Jugendinitiativen fordern Mitbestimmung: Jede Jugendliche kann Gret… | |
> Die Jugend will endlich mitreden. Sie demonstrieren für Kinderwahlrecht | |
> und Klimaschutz. Zu Besuch bei jungen Aktivist:innen mit mutigen Ideen. | |
Bild: In den Räumen des Jugendrats in Berlin wird an der Zukunft gebastelt | |
BERLIN UND STUTTGART taz | Als Simon Marian Hoffmann, Jahrgang 1996, | |
behütet aufgewachsen in einer 2.000-Seelen-Gemeinde, zum ersten Mal | |
Weltschmerz verspürt, ist er zwölf Jahre alt. Damals zeigt ihm sein großer | |
Bruder auf YouTube Videos von Naturkatastrophen, Krieg und Hunger. Simon, | |
der Sohn einer Heilpflegerin und eines Lehrers, verstand damals, dass die | |
Welt ungerecht ist, das Menschen leiden, weil andere Menschen schlechte | |
Entscheidungen treffen, und er beschloss, etwas dagegen zu tun. | |
Heute, zehn Jahre später, steht er auf dem Rathausplatz in Stuttgart und | |
ruft in ein Mikrofon. „Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist zwölf!“ Ein | |
Freitagmittag, Anfang März. Morgens gab es keine Fridays-for-Future-Demo, | |
darum haben sich auf dem Rathausplatz nur wenige Jugendliche versammelt. | |
Zwischen einem Foodsharing-Tisch und fünf Bierbänken, auf denen Kleidung | |
getauscht werden kann, steht Simon vor dem Rathausturm und rappt einen | |
selbst komponierten Song. Die Boxen schicken seine Stimme so laut über den | |
Platz, als wollten sie jede der angrenzenden Gassen mit seiner Botschaft | |
fluten. „Es ist Zeit für das Jüngste Gericht! Jugend auf die Barrikaden, | |
wir erobern das System, weil wir sonst keine Zukunft haben!“ | |
Eine ganze Generation ist wütend, deutschlandweit, europaweit, weltweit. | |
Sie ist wütend auf das System, die Politik und die Erwachsenen. Seit | |
Monaten sind die Aktivisten der Fridays-for-Future-Bewegung in den Medien. | |
Sie sind laut, und sie sind viele. Am Freitag [1][in Berlin etwa waren rund | |
25.000 junge Menschen auf der Demo]. Greta Thunberg war auch da, sie sprach | |
nur zwei Minuten und gab ihnen auf den Weg: „Wir wollen eine Zukunft, ist | |
das zu viel verlangt?“ Das sei erst der „Anfang vom Anfang“. | |
Viele Jugendliche sehen das genauso. Sie wollen mehr. Etwa Gerechtigkeit | |
zwischen den Generationen. Aber bisher hört ihnen kaum jemand zu. Woran | |
liegt das? Wer sind diese Jugendlichen; und was genau wollen sie? | |
## „Für das Studium bleibt kaum Zeit“ | |
Morgens, vor dem Auftritt am Rathaus, sitzt Simon mit Freunden am | |
Frühstückstisch. Simon, 22 Jahre alt, wilde; braune Locken, ist der Gründer | |
der Demokratischen Stimme der Jugend (DSDJ), einem überparteilichen Verein, | |
der seit 2016 versucht, der Jugend eine Stimme zu geben. Seine Freunde, | |
Mitgründer und Mitglieder des Vereins: Marianne, 19, Ansgar, 21, und Tracy, | |
21. Die Jugendlichen gehen sehr herzlich miteinander um, Umarmungen dauern | |
länger als gewöhnlich, die Augen leuchten, wenn sie von ihrer Arbeit | |
erzählen. Wenn einer spricht, nicken die anderen zur Bestätigung. Diese | |
Gruppe ist ein Team. | |
Auf dem Tisch: vegane Brötchen, naturtrüber Apfelsaft und der Plan für | |
heute. „11 Uhr die Performance am Rathausplatz, 14 Uhr die Demo zum Thema | |
Kinderwahlrecht, bei der wir durch die Stadt ziehen, 19 Uhr unser | |
performativer Vortrag im Willi-Bleicher-Haus“, sagt Simon. Die | |
Vorbereitungen für diesen Tag laufen seit Wochen. Die Jugendlichen vom | |
Verein machen alles allein: Stiftungsgelder beantragen, die Website | |
bespielen, die Genehmigungen für Kundgebungen und Performances beantragen, | |
die Buchhaltung machen, Musikvideos drehen, Workshops veranstalten, | |
Vorträge halten. Die Altersgrenze im Verein ist 28 Jahre. | |
„Wir wollen das allein schaffen, es soll alles aus uns kommen und nicht von | |
Erwachsenen gelenkt oder beeinflusst werden“, sagt Simon. Von der Jugend | |
für die Jugend. „Die Jugend“, sagt Simon, seien alle 14- bis 28-Jährigen, | |
da halte sich der Verein an die Forschung. Gleichzeitig sei man aber auch | |
offen für die „geistige Jugend“. Erwachsene seien nicht die Feinde, soll | |
das heißen – das ist Simon wichtig. | |
Die DSDJ hat ungefähr 50 Mitglieder, 20 davon sind aktive Mitglieder, der | |
harte Kern ist heute in Stuttgart. Wie viel Zeit sie investieren? „Jeden | |
Tag sechs Stunden, manchmal mehr“, sagt Marianne. Sie macht dieses Jahr | |
Abitur an einer Waldorfschule. Ihre Eltern unterstützen sie bei ihrem | |
Engagement. Heißt: Sie darf ihre Energie in den Verein stecken. Simon und | |
die anderen studieren. „Für das Studium bleibt kaum Zeit. Die Arbeit für | |
den Verein hat gerade einfach Priorität“, sagt Simon. | |
## „Aufstand der Jugend“ in Stuttgart | |
Die Turmuhr am Rathaus zeigt 13.35 Uhr, aus den Seitengassen fahren vier | |
Polizeiautos auf den Platz. Doch für die wenigen Jugendlichen sind vier | |
Autos zu viel, zwei fahren wieder ab. Für ihre Performance haben die | |
Jugendlichen zwei Sänften mitgebracht. Stühle, die auf Latten geschraubt | |
wurden und nun von Jugendlichen auf den Schultern durch die Stadt getragen | |
werden. „Wir wollen zeigen, dass die Fehler der Erwachsenen auf unseren | |
Schultern lasten“, sagt Tracy. | |
In Berlin hatten sie diese Aktion schon einmal gemacht, im vergangenen | |
September. 100 Jugendliche trugen damals Erwachsene auf diesen Sänften | |
durch die Stadt bis zum Brandenburger Tor. „Aufstand der Jugend“ haben sie | |
diese Kampagne genannt. Heute fehlen die Erwachsenen auf den Stühlen, | |
Simon, Tracy und die anderen konnten keine Freiwilligen finden. Dafür | |
kleben nun Plakate auf den Stühlen, auf dem einen steht „CO2“ auf dem | |
anderen „Plastik“. | |
Schwarze Klebebandstreifen werden verteilt, mit denen die Jugendlichen sich | |
den Mund zukleben und schwarze Karten aus Pappe. Der Plan: Mit der Last | |
durch die Innenstadt zu laufen, geknebelt durch das Klebeband, das die | |
Gesellschaft symbolisiert, die der Jugend ein Mitspracherecht verweigert. | |
Später auf der Königsstraße, der Einkaufspassage von Stuttgart, soll sich | |
jeder dieses Klebeband vom Mund reißen. Nach und nach dürfen dann alle dem | |
„System“ die schwarze Karte zeigen und sagen, wogegen er oder sie hiermit | |
protestieren will. | |
„Habt ihr alles verstanden?“, fragt Simon. Reihum stummes Nicken aus | |
Gesichtern mit verklebten Mündern und entschlossenen Blicken.Ein Polizist | |
steigt aus dem Auto und tippt auf seine Uhr. „Wir müssen los.“ Die | |
Jugendlichen schultern die Sänfte und gehen los. Die meisten tragen dunkle | |
Kleidung, der Anblick erinnert an eine Bestattung. Der Zug der Jugendlichen | |
schlängelt sich durch fast menschenleere Gassen, vorbei an Bürogebäuden und | |
Hintereingängen von Restaurants. Nach 400 Metern landet der Zug auf der | |
Königsstraße. 15 Jugendliche tragen zwei Sänften und bewegen sich stumm | |
durch das Gewusel der Freitagsshopper. | |
## Jugendliche fordern das Kinderwahlrecht | |
Was diese Performance sagen will? Wir tragen die Konsequenzen, also lasst | |
uns auch mitreden. „Kinder und Jugendliche sollen, wollen und können | |
Verantwortung übernehmen“, sagt Simon. Verantwortung im demokratischen | |
Prozess funktioniere durch Wählen. Darum fordert der Verein ein Wahlrecht | |
für Kinder und Jugendliche. „Generationengerechtigkeit“, sagt Simon, | |
bedeute, dass niemand mehr aufgrund seines jungen Alters benachteiligt | |
wird. Nirgendwo dürfe man als junger Mensch wirklich mitbestimmen, nicht | |
mal in Bereichen, die einen am meisten betreffen. | |
In der Schule lernt man, was die Lehrer sagen, zu Hause tut man, was die | |
Eltern für richtig halten. In der Welt ist man immer abhängig von den | |
Entscheidungen Erwachsener. Kindern würde man beibringen: „Werde erst mal | |
erwachsen, dann darfst du mitspielen“, sagt Simon. Das Erwachsensein werde | |
postuliert wie eine Hürde, die man erst nehmen müsse, um mitentscheiden zu | |
dürfen und von der Gesellschaft als echtes Mitglied anerkannt zu werden. | |
Der Vorwurf, dass alte Menschen Politik für alte Menschen machen, ist nicht | |
neu. Deutschland ist nach Japan das Land mit der ältesten Bevölkerung | |
weltweit. Bei den Politikern im Deutschen Bundestag liegt das | |
Durchschnittsalter bei ungefähr 50 Jahren. Ein Kinderwahlrecht könnte ein | |
Gegengewicht sein. Der Versuch junge Themen und junge Menschen in die | |
Politik zu bringen. Das ist es, was die DSDJ sich davon verspricht. | |
Zurück auf der Königsstraße, die Sänften sind abgelegt, die Jugendlichen | |
haben sich in einer Pyramide mitten auf der Einkaufsmeile aufgestellt. Ein | |
Megafon wird herumgereicht: „Ich zeige meine Schwarze Karte gegen | |
Kinderarbeit“, sagt eine Jugendliche mit blonden Locken und zittriger | |
Stimme. „Ich bin gegen Mietwahnsinn“, sagt ein anderer. „Gegen das | |
Patriarchat!“, ruft Simon in das Mikrofon. Es fallen große Begriffe wie: | |
Drohnenkrieg, Hunger, Altersarmut, Fremdenhass, Obdachlosigkeit. | |
## Auf dem Treffen des Jugendrats | |
All das sind große Worte, die für noch größere und komplexe Probleme | |
stehen. Die Abschaffung all dieser Missstände ist so konsensfähig wie der | |
Weltfrieden, aber eben auch genauso abstrakt. Die Jugendlichen sind | |
dagegen. Aber was bedeutet Dagegensein? Was soll die Politik ändern? Es | |
wird in dieser Performance keine konkreten Handlungsvorschläge geben, aber | |
darum soll es auch nicht gehen, wie Simon später erklären wird. | |
Viele Passanten sind stehengeblieben. Einige klatschen. Ein junger Mann, | |
graue Jogginghose, Bauchtasche und Nikes, bleibt stehen. Später wird er zu | |
Simon gehen und sagen: „Ich find’s gut, was ihr hier macht.“ Für die | |
Performance gibt es viel Zustimmung, aber auch vereinzelt abschätziges | |
Gemurmel. „Was für Idioten“, hört man aus einer Gruppe junger Männer. Da… | |
sind Simon und seine Freunde nicht die Einzigen, die ein Kinderwahlrecht | |
fordern. Viele Initiativen, Vereine und Stiftungen sehen dieses Recht als | |
ersten Schritt zur Generationengerechtigkeit. Sie alle kämpfen dafür – nur | |
auf unterschiedliche Weise. | |
Ein Samstag, Mitte März, in einem lichtdurchfluteten Raum im Prenzlauer | |
Berg. Auf dem Tisch: drei gelbe Tulpen in einer Vase, viele Flaschen | |
Rhabarberschorle und eine Mehrfachsteckdose, aus denen sich Kabel zu 12 | |
Laptops schlängeln. Dahinter sitzen Franzi, 19, aus Heidelberg, die | |
konzentriert in ihren Laptop starrt, Lucie, 22, aus Leipzig, die gerade | |
einen Gedanken in die Tasten hackt, damit sie ihn nicht vergisst. Da sitzt | |
Simon, 16, Schüler aus Oranienburg, Nikolaus, 19, Student aus Berlin, neben | |
ihnen im Kreis noch acht andere Jugendliche, die aus der ganzen Republik | |
angereist sind. | |
Hier trifft sich der Jugendrat der Generationen Stiftung und diskutiert | |
ebenfalls über das [2][Kinderwahlrecht]. Bald sind Europawahlen, man | |
braucht eine Forderung, die zeitnah veröffentlicht werden kann und | |
Aufmerksamkeit erzeugt. Hannah Lübbert, blonde Locken, 18 Jahre alt, ist | |
seit vier Monaten im Jugendrat. An diesem Tag sitzt die Studentin mit ihren | |
Kollegen zusammen und wartet, bis sie an der Reihe ist. Es gibt eine | |
Redeliste, alle lassen einander aussprechen. | |
## Zwischen Polittalkshow und Jugendsprache | |
Gesammelt werden die Argumente für das Kinderwahlrecht auf einem Flipchart. | |
„Gegengewicht zum demografischen Wandel“, „13 Millionen U18-Jährige derz… | |
ausgeschlossen“ und „Die Jugend ist am längsten von politischen | |
Entscheidungen betroffen“ steht da. Die Argumente sind dieselben wie am | |
Frühstückstisch der Demokratischen Stimme der Jugend. Als Hannah an der | |
Reihe ist, sagt sie: „Kinder und Jugendliche haben einen ganz eigenen | |
Erfahrungshorizont, der endlich anerkannt werden sollte.“ Die Berlinerin | |
hatte vor vier Monaten ein Plakat des Jugendrats gesehen. Sofort hatte sie | |
sich als Mitglied beworben. Die Fridays-for-Future-Bewegung habe ihr | |
bewusst gemacht, dass sie etwas tun müsse: für die Welt, für alle Kinder | |
und Jugendlichen. | |
Am Tisch diskutieren Hannahs Kollegen weiter. Die 22-jährige Lucie spricht | |
von der Diskriminierung von Kindern im Alltag. Zwei andere Kolleginnen | |
wackeln mit ihren Händen in der Luft, stille Zustimmung. Die Diskussion | |
klingt stellenweise nach Polittalkshow oder Bundestagsdebatte, „die Jugend | |
muss ihre emanzipatorische Kraft entfalten“ oder „das ist eine | |
besorgniserregende Korrelation“ hört man da. Ab und an fallen dann doch | |
Wörter, die man in einem Raum voller Jugendlichen erwarten würde: „richtig | |
cool“, „bullshit“ und „mega“. | |
Der Jugendrat wurde 2018 von der Generationen Stiftung ins Leben gerufen. | |
Der erwachsene Vorstand der Stiftung ist gut vernetzt und versucht | |
gemeinsam mit den Jugendlichen größtmögliche Aufmerksamkeit für deren | |
Belange zu generieren: Interviews mit Medien, Treffen mit | |
Entscheidungsträgern, Dialog mit Politikern. „Wir verstehen uns als die | |
Lobby der Jugend“, sagt Hannah, „darum denken wir bei unseren Kampagnen | |
auch immer die öffentliche Wirkung mit.“ | |
Die erste Kampagne des Jugendrats, die seit November 2018 läuft, heißt „Wir | |
kündigen“ und meint den Generationenvertrag. Plakate mit neonroter | |
Aufschrift hängen überall an den Wänden. Die ältere Generation sei | |
unverantwortlich mit der Welt und der Zukunft umgegangen und haben so den | |
Generationenvertrag gebrochen, heißt es im Manifest. Die Jugend wolle daher | |
ihren Teil der Vereinbarung, die Renten der Alten zu zahlen, nicht mehr | |
halten und ihn aufkündigen. Das ist die Idee. | |
## Konkrete Vorschläge gibt es nicht | |
Neben der Kündigung des Generationenvertrags fordert der Jugendrat in | |
seinem Manifest unter anderem eine humane Migrationspolitik, das Ende von | |
Kinderarmut, ein zukunftsfähiges Rentensystem und den Stopp aller | |
Kriegswaffenexporte. Konkrete Vorschläge gibt es, wie bei der DSDJ, keine. | |
Die Performance auf der Königsstraße soll Jugendlichen vor allem die | |
Möglichkeit geben, „ihre eigene Selbstwirksamkeit zu erfahren“, sagt Simon. | |
„So lernt man, dass man gehört wird.“ Die Überwindung der Angst, öffentl… | |
seine Sorgen und Vorwürfe auszusprechen, sei eine unglaubliche Erfahrung. | |
„Jeder kann eine Greta Thunberg sein“, sagt Simon. Alle, die irgendwann | |
einmal mit Gleichgesinnten für oder gegen etwas eingestanden sind, wissen | |
was Simon meint. Die Möglichkeit, selbst wirksam zu werden, ist ein | |
Grundpfeiler der Demokratie. Aber für politische Veränderungen braucht es | |
Masse. Wie erreicht man die? | |
[3][Luisa Neubauer, 22, Klimaaktivistin und Hauptorganisatorin] der | |
deutschen Fridays-for-Future-Bewegung sagt, dass Selbstwirksamkeit zwar | |
wichtig sei, aber nicht das Ziel von Protesten sein sollte. „Natürlich | |
fühlt es sich an wie ein Erfolg, wenn man mit vielen Menschen gemeinsam auf | |
der Straße steht“, sagt sie, „aber das ist ein Scheinerfolg. Erst wenn sich | |
auf der politischen Ebene etwas ändert, haben wir gewonnen.“ Und dafür | |
brauche es vor allem eines: Aufmerksamkeit. | |
Am Telefon nimmt sie sich Zeit zwischen zwei Terminen, ihre Stimme klingt | |
müde. Seit Monaten ist sie zu Gast in Talkshows, spricht auf Kongressen | |
oder organisiert Demos. Sie hat die Aufmerksamkeit des ganzen Landes. Sie | |
redet und streitet und kämpft. „Aufmerksamkeit ist sehr wichtig, zum einen, | |
um den Druck auf die Politik zu erhöhen, und zum anderen, um noch mehr | |
Menschen für die Sache zu mobilisieren“, sagt Luisa Neubauer. | |
## Klimaaktivismus ist nicht nur Jugendsache | |
Sie weiß, dass die Jugendlichen von der DSDJ dabei ganz von vorne anfangen | |
müssen. Während die Fridays-for-Future-Bewegung bereits eine Lobby hat – | |
denn Klimaaktivismus ist nicht nur Jugendsache –, hat es die DSDJ schwerer. | |
Sie muss erst mal ohne eine Lobby um Unterstützung für ihre Belange | |
kämpfen. Wirtschaftlich und politisch gibt es kaum Rückhalt, anders als | |
beim Klimathema. „Beim Thema Jugend hat man viel weniger Verbündete“, sagt | |
Luisa, „das macht den Weg zur Aufmerksamkeit härter und länger.“ | |
Abends im Willi-Bleicher-Haus haben Simon und die anderen einen Vortrag | |
vorbereitet, bei dem man schnell merkt, dass Aufmerksamkeit tatsächlich ein | |
seltenes Gut sein kann. Der Saal bietet mit seinen 25 Reihen Platz für über | |
400 Zuschauer. Als die Lichter gedimmt werden und der Vortrag beginnt, sind | |
fünf Reihen lose besetzt: Jugendliche vom Verein, deren Familien und ein | |
paar externe Besucher. Was sie zu sagen haben, sagen Simon und Marianne | |
trotzdem so, als würde ihnen die ganze Welt zuhören. Sie zitieren Studien | |
und Experten, ziehen Vergleiche zu globalen Jugendbewegungen oder | |
politischen Entscheidungen der Vergangenheit. Viel Gefühl, manchmal | |
überschreitet es die Grenze zum Pathos, aber die Jugendlichen glauben an | |
das, was sie sagen. | |
Neben dem Kinderwahlrecht fordern sie auch einen deutschen Jugendrat. Die | |
Mitglieder sollen aus allen Jugendlichen im Land ausgelost werden, Amtszeit | |
ein Jahr. Alle jungen Menschen sollen die Chance haben, Teil davon zu | |
werden. Die DSDJ verspricht sich so Chancengleichheit und Diversität. | |
Bisher besteht der Verein hauptsächlich aus Jugendlichen der oberen | |
Mittelschicht, viele studieren, alle machen noch oder haben schon Abitur. | |
Wie kann man für die ganze Jugend sprechen, wenn alle aus derselben | |
Lebenswelt kommen? „Wir wissen, dass wir alle privilegiert sind“, sagt | |
Simon. Der Verein versuche auch Jugendliche mit anderem Hintergrund für die | |
Arbeit zu begeistert, bisher sei das noch nicht so richtig gelungen. | |
Auch im Jugendrat der Generationen Stiftung sitzen Jugendliche, die aus | |
einer ähnlichen Lebenswelt kommen. Den Azubi aus der Kfz-Werkstatt oder die | |
Drogeriemarktkassiererin trifft man hier nicht. Die meisten absolvieren ein | |
Studium, einige stehen kurz vor dem Abitur. Sie sind alle auch außerhalb | |
des Jugendrats politisch aktiv. Manche für NGOs, einige für Parteien. Ist | |
diese Homogenität ein Problem? „Wir haben neulich erst darüber diskutiert, | |
dass wir das schwierig finden“, sagt Hannah. Der Jugendrat wolle ja | |
schließlich für alle sprechen. Und die Lösung? Das weiß auch diese Gruppe | |
nicht. „Wir versuchen unsere Forderungen so allgemeingültig wie möglich zu | |
formulieren“, sagt Hannah, „sodass sich möglichst viele damit | |
identifizieren können.“ Aber ist das wirklich sinnvoll? | |
## Mobilisierung durch klaren Themenschwerpunkt | |
Bewegungsforscher sagen, den Fridays-for-Future-Protesten sei eine so große | |
Mobilisierung gelungen, weil sie einen klaren Themenschwerpunkt hat: das | |
Klima. Das Thema ist konkret, sehr niedrigschwellig und betrifft jeden. | |
Versucht man das verbindende Element einer Bewegung nicht aus dem Thema, | |
sondern aus etwas anderem zu schöpfen, wird es schwierig. Kann man | |
Jugendliche zusammenbringen, nur weil sie Jugendliche sind? Und das mit so | |
vielen verschiedene Forderungen, wie sie der Jugendrat oder die DSDJ haben? | |
Die Forschung sagt, dass eine soziale Bewegung immer eine kollektive | |
Identität braucht. Die Idee einer Generation, die gegen die Alten aufsteht, | |
scheint da fast ein wenig zu abstrakt. | |
Gleichzeitig braucht es überhaupt einen Grund, um zu protestieren. Und der | |
ist meistens Unzufriedenheit. Luisa Neubauer sagt, dass die | |
Fridays-for-Future-Bewegung so groß geworden sei, weil man nichts erklären | |
musste; die Unzufriedenheit, die Angst und die Wut über die | |
Fehlentscheidungen der Politik waren schon da. „Jugendlichen beizubringen, | |
out of the box zu denken, damit sie erkennen, was für die Jugend | |
schiefläuft, wer Schuld daran ist und wie es besser sein könnte“, sagt sie, | |
„das ist unglaublich schwer zu kommunizieren.“ | |
Genau das versuchen Simon mit seinem Verein und Hannah mit dem Jugendrat zu | |
schaffen – auf unterschiedliche Weise. Die einen eher auf der Straße, an | |
der Basis, die anderen mehr über die Presse und im direkten Gespräch mit | |
Entscheidungsträgern. | |
In dem großzügigen Büroraum der Generationen Stiftung fällt einem zwischen | |
dem professionellen Flipchart, der vollgepinnten Magnettafel und all den | |
Kampagnenplakaten vieles auf, was anders ist als beim DSDJ, die sich zu | |
Hause bei Marianne treffen und überlegen muss, ob und wie sie eine Kampagne | |
und die Flyer dazu bezahlen kann. Bei der Generationen Stiftung bieten | |
Erwachsene Unterstützung durch finanzielles Backup und obendrauf ein | |
Netzwerk an mächtigen Kontakten zu Politikern, Forschern und Medien. Die | |
Infrastruktur ist schon da, und die Jugendlichen können in einem | |
gesicherten Rahmen ihre Ideen umsetzten. Inhaltlich ähneln die meisten | |
ihrer Forderungen denen von Simon und seinen Freunden. | |
## Gefahr einer Alibibeteiligung | |
Julia Hartwig-Selmeier von der Generationen Stiftung ist bei dem Treffen | |
des Jugendrats die einzige Erwachsene im Raum. Sie sagt, ohne dass man sie | |
danach fragt, dass die Idee der DSDJ, einen deutschen Jugendrat zu | |
installieren, ihre Schwächen habe. In der geplanten einjährigen Amtszeit | |
könne kaum etwas tiefgründig ausgehandelt werden. „Es besteht die Gefahr | |
einer Alibibeteiligung der Jugendlichen, bei der sie nicht wirklich etwas | |
mitentscheiden dürfen“, sagt sie. Auch das Losverfahren sieht sie kritisch. | |
Es könnten Leute ohne Elan und ohne genug Grundwissen in den Jugendrat | |
kommen, befürchtet Hartwig-Selmeier. | |
Hannah sitzt still daneben. Fragt man sie nach ihrer Meinung, sagt sie: | |
„Ja, eine Alibibeteiligung als Ausrede für die Politik wäre blöd.“ Die | |
Jugend brauche eher jüngere Politiker im Parlament. Da ist sie wieder, „die | |
Jugend“. Alle handeln im Namen der Jugend, haben aber unterschiedliche | |
Vorstellungen. Ist das ein Problem? Nein, findet Hannah. „Vielfalt ist | |
wichtig, wir müssen uns nicht in allen Themen einig sein“, sagt sie, „aber | |
unser Grundkonsens ist Zukunftsfähigkeit.“ Und während Hannah das sagt, | |
klingt sie wie die Pressesprecherin eines Großunternehmens. Sie lächelt | |
kurz, als würde sie es selber merken. Was Zukunftsfähigkeit bedeutet, | |
bleibt offen. | |
Die Antwort von Simon Marian Hoffmann ist ähnlich, außer dass er nichts von | |
gegenseitiger Kritik hält. Es sei gut, dass es viele verschiedene | |
Institutionen gäbe, die sich mit unterschiedlichen Themen | |
auseinandersetzten. Er würde sie jedoch gern bündeln. Am besten auf einem | |
Kongress. Das ist der ganz große Zweijahresplan seines Vereins: alle | |
Jugendinitiativen, Vereine, Stiftungen und Interessenverbände an einen | |
Tisch zu bekommen. Dann könne sich die ganze Kraft der Jugend entfalten. | |
Ist das nicht utopisch? „Wenn man keine Visionen hat, gehen sie auch nicht | |
in Erfüllung“, sagt Simon. | |
29 Mar 2019 | |
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