# taz.de -- Autorin Reni Eddo-Lodge über Rassismus: „Die Welt steht auf mein… | |
> Mit ihrem Buch „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche… | |
> führt Reni Eddo-Lodge als erste Schwarze Autorin die UK-Bestsellerliste | |
> an. | |
Bild: Reni Eddo-Lodge: „Wir alle sind genetisch gesehen zu 99,999 Prozent gle… | |
Hinweis: Dieses Interview wurde bereits am 31.03.2019 veröffentlicht. Die | |
Autorin Reni Eddo-Lodge führt mit ihrem auf Deutsch im Vorjahr erschienenen | |
Buch „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ aktuell … | |
erste Schwarze Autorin die Bestseller-Liste in Großbritannien an. | |
taz: Frau Eddo-Lodge, Ihr Buch „Warum ich nicht länger mit Weißen über | |
Hautfarbe spreche“ ist gerade in Deutschland erschienen und nun auf der | |
Bestsellerliste. Wie fühlt es sich an, auch im nicht-englischsprachigen | |
Ausland so erfolgreich zu sein? | |
Reni Eddo-Lodge: Das freut mich natürlich. Besonders, weil viele | |
Schilderungen im Buch sich ja auf den britischen Kontext beziehen. | |
In Deutschland gab es Diskussionen über die Übersetzung des Buches. „Race“ | |
lässt sich hier aufgrund der Geschichte nicht so einfach übersetzen. | |
Ich bin natürlich Teil der Gespräche, wenn es um | |
Übersetzungsschwierigkeiten geht. Meine Verleger*innen mussten eine | |
Übersetzung finden, die in Deutschland funktioniert und die für deutsche | |
Leser*innen Sinn macht. Wenn die Verleger*innen mir dann sagen, dass „race“ | |
im Deutschen direkt mit den Nazis assoziiert wird, dann vertraue ich ihnen | |
natürlich. In Großbritannien ist der Begriff eher etwas Soziologisches, er | |
meint Ethnizität und Erbe, aber auch Kultur und Geografie. Ich bin keine | |
Deutschlandexpertin, aber wegen der verheerenden Geschichte des letzten | |
Jahrhunderts scheint der Begriff mir hier noch stärker biologisch besetzt | |
zu sein. | |
Also ist die Entscheidung auf Hautfarbe als Kompromiss gefallen? | |
Als Autorin ist mir wichtig, dass ich verstanden werde. Und wenn das Wort | |
„race“ die Menschen im Deutschen sofort an biologische Unterlegenheit | |
denken lässt, dann entscheide ich mich natürlich dagegen. Es gibt keine | |
biologische Realität von „race“, sondern eine soziale, in der wir | |
rassifiziert werden. Denn nur weil „race“ ein soziales Konstrukt ist, heißt | |
das nicht, dass dieses Konstrukt nicht Tag für Tag Einfluss auf die | |
Lebenschancen vieler Menschen hat. Der Journalist Ta-Nehisi Coates hat das | |
sehr gut in Worte gefasst: „Race“ ist das Kind des Rassismus, nicht dessen | |
Vater. Da stimme ich vollkommen zu. Wir alle sind genetisch gesehen zu | |
99,999 Prozent gleich. Das Konzept von „race“ ist eine rassistische | |
Konstruktion. Und ich denke kein anderer Ort auf der Welt wird so gut | |
wissen wie Deutschland, wohin ein solches Verständnis führen kann. | |
In Ihrem ursprünglichen Blogbeitrag von 2014, der auch titelgebend für das | |
Buch ist, erklären Sie, dass Sie aus Selbstschutz nicht mehr mit Weißen | |
über „race“ sprechen wollen. Jetzt ist das Buch ein großer Erfolg und Sie | |
müssen es doch ständig tun. Wie geht es Ihnen damit? | |
Ich sage ja auch: Nicht mit allen Weißen. Nur mit der großen Mehrheit, die | |
die Vorherrschaft von strukturellem Rassismus und die Symptome dessen nicht | |
akzeptieren will – mit denen rede ich nicht mehr darüber. Ich teile niemals | |
eine Plattform mit jemandem, der die Existenz von Rassismus bestreitet. | |
Sie schreiben im Buch auch über den Zusammenhang zwischen [1][Rassismus] | |
und Klassenzugehörigkeit. Warum ist es für viele so schwer, in diesen | |
Fragen intersektional zu denken? | |
Ich denke, das ist ein Symptom von westlichem Individualismus. Ich bin im | |
Arbeitermilieu groß geworden – das war die multikulturellste Umgebung, die | |
ich je erlebt habe. Später war es für mich immer merkwürdig und verwirrend, | |
mit weißen Frauen zusammenzuarbeiten, die sich Feministinnen nennen, aber | |
dann sagen: Es gibt hier keinen Platz für Antirassismus, weil wir eine | |
Kampagne gegen sexuelle Gewalt machen. Da, wo ich aufgewachsen bin, waren | |
die Frauen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, auch von fehlenden | |
Arbeitsrechten betroffen, von schlechter Bezahlung. Und sie mussten mit | |
Rassismus umgehen, manchmal war auch die sexuelle Belästigung rassifiziert. | |
Es macht für mich keinen Sinn, wenn Menschen versuchen, das voneinander zu | |
trennen und in binären Strukturen denken, wenn doch die Realität ganz | |
anders aussieht. | |
Was genau hat das mit westlichem Individualismus zu tun? | |
Wir geben die Mikrofone unserer Bewegungen in der Regel an Leute, die schon | |
sehr weit oben auf der Leiter stehen. Nicht alle Frauen wollen und werden | |
mal an der Spitze von globalen Unternehmen stehen. Was die meisten, doch | |
sehr privilegierten Köpfe an der Spitze für Ratschläge geben, ist für einen | |
Großteil von uns einfach irrelevant. Ich glaube, die meisten Frauen hätten | |
mehr von einem Feminismus, der andere Figuren in den Mittelpunkt stellt als | |
die, die sich nur mit gläsernen Decken befassen müssen. | |
Zum Beispiel? | |
Zum Beispiel Frauen, die in Cafés kellnern oder Toiletten putzen. Solche, | |
die mit zahlreichen Formen von Diskriminierung klarkommen müssen. Armut ist | |
rassifiziert. Es ist kein Zufall, dass du in Großbritannien mit höherer | |
Wahrscheinlichkeit von Armut betroffen bist, wenn du Schwarz bist. | |
Es gibt da diese lineare Vorstellung, wir müssten erst für | |
Gleichberechtigung kämpfen und dann könnte man sich ja im nächsten Schritt | |
um Rassismus kümmern … | |
Ja, genau. Als ob mehr weibliche Unterdrückerinnen die Lösung wären. | |
Sie haben auch einen Podcast, in dem Sie Ihre Anliegen aus dem Buch | |
weiterdrehen. Warum haben Sie sich für dieses Medium entschieden? | |
Nach dem Erfolg des Buches haben mich Produzenten von Dokumentarfilmen | |
nahezu belagert – allerdings hätte ich da jegliche kreative Kontrolle | |
abgeben sollen, und das wollte ich nicht. Ich habe dann den Podcast | |
gemacht, weil ich mich für Storytelling interessiere, für Recherche und | |
Interviews. Im Moment liegt das aber auf Eis – weil jede Episode dann doch | |
wieder wie ein großes Projekt für sich war. Wenn ich die Wahl habe, dann | |
stecke ich meine Energie am liebsten ins Schreiben. | |
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die antirassistische Bewegung, wie es sie | |
heute gibt, noch vor wenigen Jahren so nicht möglich gewesen wäre. | |
Gleichzeitig sagen Sie, dass der [2][Kampf gegen Rassismus] langwierig ist | |
und, dass es institutionellen Rassismus vermutlich noch nach uns geben | |
wird. Haben Sie so etwas wie Hoffnung für die Zukunft? | |
Ich glaube, dass es eine Zukunft ohne Rassismus geben wird, solange du und | |
ich bereit sind, diese zu organisieren. Das ist keine passive Situation, in | |
der man sagen kann, „hoffentlich wird es irgendwann besser“. Wenn man | |
Abendessen will, dann hofft man ja auch nicht einfach darauf, dass das | |
Essen auf dem Tisch erscheint. Man kocht es halt. Und wir alle haben dazu | |
einen Teil beizutragen. Also ja, ich habe Hoffnung, solange Menschen | |
weiterhin aktiv sind. | |
Ein Kapitel im Buch heißt „Es gibt keine Gerechtigkeit, es gibt nur uns“. | |
Wer ist dieses „Wir“? | |
Das ist ungefähr jede und jeder, die und der gegen Rassismus kämpft. | |
Natürlich People of Color und Schwarze Menschen, aber auch weiße. Die würde | |
ich allerdings nicht „Allys“ nennen, wie es oft passiert, sondern eher | |
Kompliz*innen. Weil es darum geht, dass sie den Kampf gegen Rassismus als | |
Teil ihres eigenen Kampfes für eine freie Welt ansehen. Es mag mutig sein, | |
aber ich schreibe und spreche aus einer Perspektive, mit der ich annehme, | |
dass die Welt schon auf meiner Seite steht. Wenn ich also „Wir“ sage, dann | |
gehe ich davon aus, dass alle im Raum auf der Seite des Antirassismus | |
stehen. | |
Warum ist so ein „Wir“ so wichtig? | |
Man verliert die Hoffnung, wenn man denkt: Es gibt nichts, was ich tun | |
kann. Wir ziehen Stärke aus der Gemeinschaft, und ich denke, wir geben viel | |
davon auch weiter. Es ist absurd zu glauben, das eine einzige Person alles | |
schultern kann. Ein Grund, warum Rassismus so traumatisierend ist, ist | |
Isolation. Ich kann nicht versprechen, dass es durch Kollektivität keinen | |
Rassismus mehr geben wird – aber man wird immer jemanden zum Sprechen und | |
Sichaustauschen haben und sich dadurch weniger isoliert fühlen. Und allein | |
das wird unsere Leben miteinander verbinden. | |
31 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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