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# taz.de -- Biografie über Maeve Brennan: Die Königin der Single-Frauen
> Sie lebte und schrieb modern. Maeve Brennan war zwar nicht theoretisch,
> aber alltagspraktisch eine Feministin durch und durch.
Bild: Schicke Brille: Maeve Brennan
Mit Biografien berühmter Menschen ist es so eine Sache. Wie soll man sie
bewerten? Wird der Lebenslauf zum Buch, wirken ja immer zwei AutorInnen
daran mit. Zum einen die Berühmtheit selbst, die nicht nur Urheberin ihres
Werks und Wirkens ist, sondern – wie wir alle – Autorin ihres Lebens. Zum
anderen die Person, die jenes Leben als interessanten Stoff begreift und
eine Story daraus macht.
„Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen“ heißt die Biografie Maeve
Brennans von der Politologin und Historikerin Michaela Karl. Und hier fällt
das Urteil leicht: Es ist ein pointiert erzähltes, luftiges und
durchlässiges Buch – eines, das nicht nur seinem Gegenstand, seiner Heldin
voll gerecht wird, sondern eines, dessen Lektüre auch jenen Spaß machen
dürfte, die noch nie von dieser Heldin gehört, geschweige denn, etwas von
ihr gelesen haben.
Auf gut über 300 Seiten erzählt Michaela Karl vom Leben der
Schriftstellerin Maeve Brennan (1917–1993), einer gebürtigen Irin, die als
junge Frau in die USA ausgewandert war und dort in der Mitte des 20.
Jahrhunderts als Autorin von Kolumnen und Kurzgeschichten bekannt wurde.
Brennan schrieb erst für das ihrerzeit revolutionäre Mode- und
Gesellschaftsmagazin Harper’s Bazaar, dann für das progressive Politblatt
The New Yorker, bevor sie in Vergessenheit geriet und im Amerika der frühen
Jahre Bill Clintons vereinsamt, verarmt und geistig verwirrt starb.
Der 1971 geborenen Biografin Karl – sie schrieb auch schon über Rudi
Dutschke und das Gangsterpaar Bonnie und Clyde – gelingt es, die
Schriftstellerin Brennan nicht nur als Schwester im Geiste, sondern beinahe
als Zeitgenossin heutiger emanzipierter Stadtbewohnerinnen zu schildern.
Wie eine, mit der man an der Theke einer der letzten verbliebenen
RaucherInnenbars sitzen möchte, um sich bei hochprozentigen Getränken das
Maul zu zerreißen, über den Irrsinn des Alltags, das dämliche Geld, die
Wohnungssuche in der überteuerten Großstadt. Über alles mögliche –
erfrischenderweise aber kaum mal über Männer, nie über leidige „Warum ruft
er nicht an?“-Fragen.
## Autonomie als Zauberwort
Als „Königin des Flüchtigen“ bezeichnet Michaela Karl ihre Heldin. „Sie…
niemandes Ehefrau, Freundin, Mutter oder Tochter. Sie war nur sie selbst.
Ein alleiniger, keineswegs einsamer, vollkommen autonomer Mensch.“ Mit
ihrer zierlichen Figur, ihren grünen „Koboldaugen“, ihrem sprühenden Geist
und auch wegen ihres markanten Looks galt Maeve Brennan als eine der
attraktivsten Frauen im intellektuellen „Midcentury“-New York. Ihr Haar
steckte sie stets streng zusammen, ihr roter Lippenstift ist so legendär
wie das „kleine Schwarze“, das sie auch zur Arbeit trug.
Reihenweise sollen sich Männer in sie verliebt haben, kurz war sie auch
verheiratet, mit St. Clair McKelway, dem „Cary Grant der New Yorker
Journalistenszene“. Doch Karl betont: „Maeve Brennan hatte viele Liebhaber,
aber nur zwei wirklich große Lieben: Bücher und Tiere.“
Autonomie ist in der Tat das Zauberwort in Maeve Brennans Leben. Die Eltern
Robert und Una waren aktiv im Kampf um die irische Unabhängigkeit,
Gründungsmitglieder der Partei Sinn Féin, radikale NationalistInnen mit
Knasterfahrung, treu dem Katholizismus ergeben. Während anfangs auch
Frauenrechte eine Rolle im Kampf spielten, fiel das Land, kaum dass die
Autonomie erreicht war, in eine düstere „Kinder, Küche, Kirche“-Tradition
zurück, wie Karl schreibt. Ein Glück für die junge Maeve Brennan, dass ihr
Vater als einer der ersten irischen Diplomaten nach Washington entsandt
wurde.
## Kalter Zigarettenrauch und der Duft von Chanel
Brennan war 17, als sie 1934 mit ihren Eltern in der neuen Welt ankam, die
sie sich dann zügig eroberte, getrieben von einer fast schon zügellosen
Unruhe. Ständig zog sie um, von einem Apartment, von einem Hotel ins
nächste, raus aus der Stadt, dann wieder rein nach Manhattan. „Manchmal ist
die Tinte unter einem Mietvertrag noch nicht trocken, da unterschreibt sie
schon den nächsten. Zurück bleiben nur kalter Zigarettenrauch und der Duft
von Chanel ‚Cuir de Russie‘.“
Beim New Yorker arbeitete man wie besessen, mit Leuten wie Hannah Arendt,
Philip Roth und Man Ray. Nächtelange Sauf- und Diskursgelage im Lokal
Costello’s waren Teil des Jobs, pleite war man eigentlich auch immer, sah
aber sehr gut dabei aus. Karl skizziert die morgendliche Routine der
Redaktionsmitglieder wie folgt: „Aufstehen, kotzen, duschen, rasieren.“
Maeve Brennan ist dabei und genießt das in jeder Hinsicht emanzipierte
Klima, sieht sich nie von ihren männlichen Kollegen übergangen oder
belächelt, sondern ganz und gar respektiert, auch in ihrem regelmäßig
wiederkehrenden Bedürfnis, in Ruhe gelassen zu werden. „Sie war die Elfe,
der durchaus auch ein herzhaftes ‚Fuck you!‘ über die Lippen kam.“
Brennans Werk ist gewissermaßen ein zweigeteiltes: In den Geschichten, die
ihr das größte literarische Ansehen bescheren sollten – etwa der
Erzählungsband „Mr. und Mrs. Derdon“ über ein verhärmtes Dubliner Ehepaa…
setzt sie sich mit der kleinbürgerlichen Enge im von ihr als rückständig
empfundenen Irland auseinander. In ihrer New Yorker-Kolumne „Die langatmige
Lady“ hingegen schwelgt sie – meisterinnenhaft, wie die
Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro befand, in der liberalen, voller
Rätsel und menschlicher Wunder steckenden Metropole und seziert auch scharf
die dortigen Klassenlagen.
## Angewandter Feminismus
Sie schrieb über Straßenmusiker, Oberschichtsladys, Küchenhilfen.
Geschickt, nie aufdringlich verknüpft Karl diese Maeve-Brennan-Inhalte mit
Themen, die aktuell diskutiert werden. Neben dem Geschlechterdiskurs
blitzen Gentrifizierung, Klassismus, der politische Gehalt
unterschiedlicher Stylings, die Prekarität des Kreativmilieus auf, als rote
Fäden der Moderne, die seit Brennans Tagen weitergesponnen werden. „Maeve
ist das, was man heute eine Influencerin nennen würde“, heißt es einmal.
Die Biografin erzählt nicht nur die Geschichte einer eigensinnigen,
talentierten, kinderlosen Katzenfreundin und Kettenraucherin. En passant,
schlendernd, fast wie Maeve Brennan schrieb, legt Karl auch eine kleine
Chronik des angewandten Feminismus seit der mittleren Moderne vor.
Brennan sei, zwar nicht theoretisch, aber alltagspraktisch „eine Feministin
durch und durch“ gewesen, schreibt Karl und flicht Dutzende Namen anderer
Frauen in Brennans Story: von der gewaltbereiten Sinn-Féin-Aktivistin
Josephine Hayden, die 1995 in Haft kam, über Claire McCardell, die den
emanzipierten „American Look“, einen Vorläufer der Streetwear, schuf, über
die sozialkritische Urbanistin Jane Jacobs bis zur ersten bekennenden
Heroinsüchtigen im Musikgeschäft, Billie Holiday.
Es war der kleine, feine Göttinger Steidl Verlag, der Brennans Werk 2006
auf Deutsch neu auflegte, und erstaunlicherweise ist vor Michaela Karls
Buch nur eine Brennan-Biografie auf Englisch erschienen, 2004 von der
irischen Literaturwissenschaftlerin Angela Bourke geschrieben: „Homesick at
The New Yorker. An Irish in Exile“. Der Titel verrät, dass manche IrInnen
Maeve Brennan rückwirkend gern wieder zwangseinbürgern würden, als
Nationalkulturgut. Karl aber betont, dass Brennan sich dagegen verwehrte,
als „irische Schriftstellerin“ gelesen zu werden. Sie schraffiert das Bild
einer selbstbewussten, wurzellosen Kosmopolitin – nicht das einer
unglücklichen „Heimatlosen“.
## Zerzauste Obdachlose in Manhattan
Ab dem 50. Lebensjahr stellte sich bei Brennan eine Schizophrenie ein, 1981
erschien ihre letzte Kolumne, sie zog sich zurück, irrte als zerzauste
Obdachlose durch Manhattan und starb 1993 einsam in einem Pflegeheim. Karl
kritisiert, dass dieses Lebensende von manchen bis heute noch als „Sühne
für eigenes Fehlverhalten“ und logische „Folge eines unangepassten Lebens
gedeutet wird“. Denn dies bedeute „im Umkehrschluss, dass es für Frauen
klüger ist, sich zu fügen – ein eigener Kopf wird am Ende rollen“. Nücht…
konstatiert Karl: „Ihr tragisches Ende ist nicht die Quittung für ihre
Abweichung von der Norm, sondern die Folge einer Erkrankung.“
Der Preis für die weibliche Autonomie, wie Maeve Brennan sie im 20.
Jahrhundert zu leben begann, wie Michaela Karl sie mit Verve verteidigt und
wie sie bis heute von Millionen Frauen weitergelebt, weitererkämpft,
weiterdiskutiert wird, ist und bleibt indes hoch.
Kürzlich erklärte die Armutsforscherin [1][Irene Götz in der taz]: Niemand
trägt ein so hohes Risiko, im Alter zu vereinsamen und zu verarmen, wie
alleinstehende Städterinnen. Maeve Brennan formulierte es in ihrem
gepflegten Zynismus einmal so: „Allein zu sein heißt, dass niemand etwas
für dich tut, wenn du ihn nicht dafür bezahlst.“
2 Apr 2019
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## AUTOREN
Katja Kullmann
## TAGS
Feminismus
Biografie
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