# taz.de -- Kommentar Frauenredaktionen: Mehr Mensch statt Panzer | |
> Solange wir Männlichkeit und Weiblichkeit zu Gegensätzen | |
> hochdramatisieren, gewinnt der Machismo. Und so lange braucht es | |
> Frauenredaktionen. | |
Bild: Weniger Drama, mehr Menschsein | |
„Wozu braucht man denn noch eine Frauenredaktion?“, fragt der Reporter. Die | |
„Zeitpunkte“ haben Geburtstag, genau wie die taz: seit 40 Jahren gibt es | |
den „Frauenfunk“, heute sendet er im Kulturradio vom RBB, für den ich auch | |
arbeite. Auch die gleichaltrige taz leistet sich eine Stelle für | |
Geschlechterpolitik. Braucht man die noch? In einer Zeit, in der „feminist“ | |
auf vielen T-Shirts steht und auch andere Medien anfangen, sich für | |
sexuelle Gewalt und den Unterschied zwischen bereinigtem und unbereinigtem | |
Gender Pay Gap zu interessieren? | |
Zunächst fällt auf, dass man andere Fachredaktionen wohl kaum dann nach | |
ihrem Sinn befragen würde, wenn deren Inhalte gerade großes allgemeines | |
Interesse finden, so nach dem Motto: Alle reden über Biotechnologie – hat | |
die Wissenschaftsredaktion noch einen Sinn? Die Sinnfrage an | |
Frauenredaktionen steht aber eher in einer langen Tradition des „We’d | |
prefer not to have you“. | |
Frauenredaktionen analysieren dysfunktionale Geschlechteridentitäten: | |
Vielleicht ist es für Männer besser, nicht immer on top und autonom zu | |
sein. Vielleicht ist es für Frauen besser, ihr Leben nicht immer vorrangig | |
auf Männer und Kinder zu beziehen. Vielleicht ist es besser, Männlichkeit | |
und Weiblichkeit überhaupt nicht mehr zu Polaritäten zu dramatisieren. Dann | |
wären endlich Übergänge und Zwischenstufen möglich. Ein Mann darf nicht wie | |
eine Frau sein, eine Frau nicht wie ein Mann. Das ist die Dramatisierung | |
des kleinen Unterschieds. Theoretisch könnten wir ja trotz | |
unterschiedlicher Geschlechtsmerkmale [1][sehr ähnlich funktionieren]. | |
Situationsangepasst zum Beispiel: Ist das Großziehen von Kindern das Thema, | |
tun das beide, muss Geld rangeschafft werden, tun das auch beide. | |
## Woanders ist es richtig schlimm | |
Aber inzwischen haben viele Menschen ihren Selbstwert an diese Polarität | |
geknüpft. Wer die Polarität in Frage stellt, stellt uns als Person in | |
Frage. Das mag keiner. Insbesondere unser Modell von Männlichkeit ist | |
dadurch definiert, dass ein Mann sich nicht infrage stellen lässt. Ein Mann | |
muss tun, was ein Mann tun muss. Das führt dazu, dass man die | |
Dysfunktionalitäten, auf die Feminist*innen hinweisen, am liebsten | |
ignoriert. | |
Etwa so: Woanders ist es doch noch richtig schlimm. Stimmt. Dieses Land | |
etwa, das Männern Tausende von Euro pro Jahr schenkt, wenn ihre Ehefrauen | |
zu Hause zu Diensten sind? Echt! Je mehr die Frau ihr eigenes Geld | |
erwirtschaftet, desto weniger bekommt ihr Mann. Paare, die es nicht so | |
dicke haben, können sich Gleichberechtigung quasi nicht leisten. Krass, | |
oder? Bei einer Trennung bleibt sie dann oft verarmt zurück. Das müsse man | |
so machen, heißt es, das stehe in der Verfassung. Dieses | |
Machtungleichgewicht in der Ehe begünstigt Gewalt: In diesem Land versucht | |
jeden Tag ein Mann, seine Frau umzubringen. Will sie weglaufen, weiß jede | |
zweite nicht, wohin: zu wenig Platz in den Schutzhäusern. Die stärkste | |
Partei in diesem Land erklärt übrigens gern, dass die Frauen ihr Leben ja | |
ganz selbstbestimmt gewählt hätten. Warum? Vielleicht wegen der weiblichen | |
Hormone. | |
In so einem Land bräuchte man Frauenredaktionen! | |
Das Land allerdings – heißt Deutschland. | |
Häusliche Gewalt und ungleiche Bezahlung sind aber nur das, was an der | |
Oberfläche herumstrudelt. Niemand weiß so recht, was dagegen zu tun ist, | |
wenn niemand schaut, was diese Phänomene hervorruft. | |
## Der Schwachsinn mit dem Schwachsinn | |
Dazu würde die Einsicht gehören, dass Abwertung und Ausbeutung von allem, | |
was nicht bei drei auf dem Baum ist, die Grundlage dafür bilden. Sprich: es | |
sind die kapitalistischen, rassistischen, homo-, trans- und interphoben, | |
ableistischen, lookistischen – und patriarchalen Strukturen. „Ältere weiße | |
Männer“ sind auch so unbeliebt, weil sie seit Jahrtausenden gewinnen, | |
mansplainen – und das immer mehr Leuten auffällt. Schon bei der | |
Französischen Revolution hieß es: Gleichheit, hehres Gut. Aber doch nicht | |
für Frauen! | |
Damals kam die biologistische Erklärung für das auf, was später unverblümt | |
„der physiologische Schwachsinn des Weibes“ genannt werden sollte. Auf Gott | |
und die Erbsünderin konnte man sich mit zunehmender Aufklärung immer | |
weniger berufen, wenn man Frauen von der Macht fernhalten und damit | |
weiterhin das Rundum-sorglos-Paket daheim sichern wollte. Was nun? Ah, „la | |
nature“, flüsterte Jean-Jacques Rousseau: Das Weib wurde von ihr zum | |
Kindergebären geschaffen, nicht etwa als Citoyenne. Den Frauen die | |
Liebesarbeit, den Männern die Machtarbeit. Und Liebesarbeit ist doch viel | |
schöner! | |
Bis heute äugt man scheel auf Frauen mit Macht. Ja, so ein Novum ist auch | |
irgendwie schick. Aber wehe, eine weiß sich nicht zu benehmen, singt gar | |
ein Karnevalslied: Untergang der Partei. Leider. Sorry. Die Frau ist | |
schuld. Konnte ja nicht gut gehen. | |
Die Öffentlichkeit fängt gerade an, über toxische Männlichkeit zu reden, | |
die die Polarisierung der Geschlechter noch weiter ins brutale Extrem | |
treibt. Toxische Weiblichkeit ist weiterhin nur in feministischen Kreisen | |
im Blick: Übersteigerte Weiblichkeitsnormen, die rechts und links die | |
Leichen anorektischer Mädchen zurücklassen und die Hälfte der Bevölkerung | |
damit beschäftigt, sich vorrangig um ihre Fuckability zu sorgen. | |
Die vielen anderen Abgewerteten wissen, wie unendlich schwer es ist, solche | |
Ausgrenzungen überhaupt für Privilegierte sichtbar zu machen. An das alte | |
Wort „Panzerung“ hat Klaus Theweleit neulich wieder erinnert: die Abwehr | |
von allem, was sich als normaler Mensch zeigt, mit weichem Fleisch, | |
fließend, mit Gefühlen und Fragen, eigenem Körper und eigenem Begehren. | |
Das globale Wirtschaftssystem begünstigt, dass in immer mehr Ländern | |
männliche Panzerungen angelegt werden, der Machismo auf einem weltweiten | |
Siegeszug ist. Es wird nicht nur Frauenredaktionen brauchen, um damit | |
klarzukommen. | |
3 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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