# taz.de -- Spanische Kolonialgeschichte: Entschuldigen, warum? | |
> Das hatte den spanischen Nationalisten gerade noch gefehlt. Der | |
> mexikanische Präsident verlangt eine Entschuldigung für die | |
> Kolonialgeschichte. | |
Bild: Die spanische Eroberung Tenochtitlan auf einem Kupferstich von Trichon | |
Madrid taz | Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador fordert | |
Spanien und den Vatikan in einem Video in den sozialen Netzwerken auf, sich | |
für die gewaltsame Kolonisierung des einstigen Landes der Azteken und Mayas | |
vor knapp 500 Jahren zu entschuldigen. López Obrador lies sich | |
symbolträchtig vor Maya-Ruinen filmen. „Die sogenannte Eroberung erfolgte | |
mit dem Schwert und dem Kreuz“, erklärte der Linkspolitiker, der einen | |
Brief an Spaniens König Felipe VI. und Papst Franziskus geschickt hat. | |
Die spanischen Eroberer hätten Indigene getötet. Er forderte für den 500. | |
Jahrestag der Eroberung der Aztekenhauptstadt Tenochtitlan 2021 eine | |
„historische Aussöhnung“. In Mexiko sollen in den ersten Jahren der | |
Eroberung rund 4 Millionen Indigene ums Leben gekommen sein. Die spanische | |
Regierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez sieht dennoch keinen Grund | |
für eine Entschuldigung. Sie weist das Anliegen an Königs statt „mit aller | |
Entschiedenheit“ zurück, was damals geschah, könne nicht mit „heutigen | |
Maßstäben beurteilt werden“. In der Antwort heißt es: „Unsere Brudervöl… | |
haben es immer verstanden, unsere gemeinsame Geschichte ohne Zorn und mit | |
einer konstruktiven Perspektive zu lesen, als freie Völker mit einem | |
gemeinsamen Erbe und einer außerordentlichen Projektion.“ | |
Die Opposition geht noch weiter. „Der Brief ist eine nicht zu tolerierende | |
Beleidigung des spanischen Volkes. So agiert der Populismus: Mit | |
Geschichtsfälschung und der Suche nach Konfrontation“, schimpft etwa der | |
Vorsitzende der rechtsliberalen Ciudadanos, Albert Rivera. [1][Für den Chef | |
der rechtsextremen Vox,] Santiago Abascal, ist „López Obrador vom indigenen | |
Sozialismus angesteckt“. | |
„Soll sich doch der entschuldigen, der spanische Nachnamen hat und dort | |
lebt“, fordert der bekannte Schriftsteller Arturo Pérez Reverte von López | |
Obrador, dessen Großvater einst aus Nordspanien nach Mexiko emigrierte. | |
„Wenn dieses Individuum wirklich glaubt, was er sagt, ist er ein Dummkopf. | |
Glaubt er es nicht, ist er ein unverschämter Lümmel“, heißt es weiter. | |
## 500. Jahrestags des Falls von Tenochtitlan | |
In Spanien herrscht Wahlkampf. Und dank des Katalonienkonflikts hängen die | |
rot-gelb-roten Fahnen hoch. Dass da ausgerechnet ein lateinamerikanischer | |
Linkspolitiker kommt und Lehren erteilt, ist ein gefundenes Thema. Denn | |
Vox, Cuidadanos und Partido Popular von Oppositionsführer Pablo Casado | |
streiten sich darum, wer am besten Spanien verteidigt. | |
„Die Hispanität feiert den wichtigsten Meilenstein der Menschheit. Nie | |
zuvor hat sie es geschafft, Kultur, Geschichte und Religion an so viele | |
Stellen gleichzeitig zu bringen“, erklärte Casado bereits am 12. Oktober | |
letzten Jahres, dem Jahrestag der „Entdeckung Amerikas“. Heute heißt dieser | |
spanische Nationalfeiertag „Tag der Hispanität“, unter der Diktatur von | |
General Franco war es der „Tag der Rasse“. | |
Im Jahr 2021 gedenkt Mexiko nicht nur des 500. Jahrestags des Falls von | |
Tenochtitlan, sondern auch 200 Jahren Unabhängigkeit von Spanien. Die | |
Beziehung mit Mexiko ist seither so etwas wie eine Hassliebe. Die Rechte | |
schaut von jeher mit Misstrauen auf die Republik. Für die Linke war das | |
nordamerikanische Land lange Vorbild. Als der spanische Bürgerkrieg mit dem | |
Sieg der Faschisten und einer Diktatur endete, gingen viele nach Mexiko ins | |
Exil. Heute ist Mexiko einer der wichtigsten Handelspartner, es gibt kein | |
Großunternehmen, das dort nicht aktiv wäre. | |
Spanien ist noch nie kritisch mit der eigenen Kolonialgeschichte | |
umgegangen. Verwundert beobachtet die Presse, [2][wie etwa die Regierung im | |
Nachbarland Frankreich sich, wenn auch zögerlich,] der Verantwortung für | |
die Gräueltaten in Nordafrika stellt. | |
„Die Entschuldigung eines Staatsoberhaupts für Handlungen zu fordern, die | |
vor 500 Jahren verübt wurden (…) ist unangebracht und anachronistisch“, | |
zitiert El País Carlos Martínez Shaw, Uniprofessor und Mitglied der | |
spanischen Akademie der Geschichte. Die Holding der größten Tageszeitung | |
Spaniens hat jedoch selbst wirtschaftliche Interessen in Mexiko. | |
27 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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