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# taz.de -- Zum Tod von Carolee Schneemann: Extrem einfallsreich, extrem radikal
> Die Perfomancekünstlerin Carolee Schneemann schrieb Kunstgeschichte. Sie
> fand es richtig, weibliche Lust und Begehren in die Kunstwelt zu bringen.
Bild: Carolee Schneemann im Frankfurter MMK1, im Hintergrund der Film „Body C…
Sie tat, was man von ihr, der Frau im Kunstbetrieb, erwartete und
präsentierte sich und ihre Schönheit; stellte sich nackt auf einen Tisch
und drehte und wand sich in all den lächerlichen Posen des akademischen
Aktmodells. Aber dann tat sie, was unmöglich erwartet wurde: Sie sagte, sie
würde aus ihrem Buch „Cezanne, sie war einen große Malerin“ vorlesen, zog
stattdessen aber einen aufgerollten Papierstreifen aus ihrer Vagina und las
den darauf stehenden Text vor.
Der lautete „sei darauf vorbereitet, dass man dir deine Ideen klaut, dass
man die Ideen missversteht, dass man dich schlecht behandelt, egal ob dein
Erfolg zu- oder abnimmt, dass Herabsetzung und Bewunderung im Gleichschritt
miteinander gehen …“.
Dass ihre Performance „Interior Scroll“ (1975) höchst umstritten war, läs…
sich denken. Aber sie machte Carolee Schneemann über einen kleinen Kreis
von Kennerinnen hinaus bekannt. Der Text richtete sich übrigens an die
einflussreiche Kunsthistorikerin Annette Michaelson, die an der New York
University den damals neuen Fachbereich Cinema Studies eingerichtet hatte.
Schneemann meinte, Michaelson weigere sich, ihre Filme anzuschauen. Der
Angriff hatte es durchaus in sich. Denn in der Ablehnung Michaelsons sich
mit Schneemanns Arbeiten auseinanderzusetzen, kann man sehr wohl die
Hintergrundfolie dafür sehen, dass Künstlerinnen generell in der
Kunstgeschichtsschreibung nicht vorkommen.
Extrem einfallsreich, extrem radikal und am Ende erfolgreich intervenierte
Carolee Schneemann gegen diese Zurückweisung weiblicher Kreativität. 2017
erhielt sie auf der Biennale von Venedig den Golden Löwen für ihr
Lebenswerk. An der Kunstakademie ausgebildet, verstand sich die 1939 in
Pennsylvania geborene Künstlerin immer als Malerin. Allerdings wollte sie
Bewegung in ihre abstrakten Bilder bringen, wollte sie ihre schon
rhythmisch dynamisierten Bilder selbst in Bewegung bringen, weswegen sie
zunächst Motoren in sie einbaute und Dosen an sie dran hängte. Die machten
dann beim Drehen der Gemälde Geräusche.
Später suchte sie ihre eigene körperliche Energie und Erotik ins Bild
einzubringen. Das führte zum Überschreiten der Grenzen der Malerei und zu
den von Michaelson ignorierten Filmen, etwa „Meat Joy“ (1964), eine Orgie
aller Geschlechter samt toter Fische und gerupfter Hühner, oder zu „Fuses“
(1979), als sie sich und ihren Mann beim Sex filmte.
Damit wurde sie zu einer maßgeblichen Pionierin feministischer Kunst –
trotzdem ihr damals von feministischer Seite Exhibitionismus und Narzissmus
vorgeworfen wurde. Da, so sagte sie später in einem Interview anlässlich
ihrer Ausstellung, die vom [1][Museum der Moderne in Salzburg] ins MMK1
2017 in Frankfurt [2][gewandert war], sei ihr klar geworden, „dass ich mit
dem Konzept, gleichzeitig Bild und Bildproduzentin zu sein, auf etwa
Zentrales gestoßen war.“
Sich selbst zu zeigen, wie es auch Frida Kahlo tat, eröffne die Möglichkeit
der herrschenden Konstruktion von Sexualität zu entgehen und schaffe „einen
Moment von Wahrhaftigkeit“.
Und tatsächlich schrieb sie mit ihrem Moment der Wahrhaftigkeit
Kunstgeschichte. Ihre Performance-Film-Arbeit wurde maßgeblich für ganze
Generationen nachfolgender Künstler*innen. Sie war, wie sie sagte, immer
davon überzeugt, dass es richtig war weibliche Lust und Begehren, aber auch
weiblichen Widerstand und Ironie in die Kunstwelt zu bringen. „Das war
nötig. Man wird eines Tages erkennen, dass etwas fehlt“. Nun fehlt sie.
Carolee Schneemann ist am Mittwoch im Alter von 79 Jahren gestorben.
8 Mar 2019
## LINKS
[1] /US-Kuenstlerin-Carolee-Schneemann/!5266649
[2] https://youtu.be/bsI_KDii8po
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Performance
Biennale Venedig
Interior Scroll
Meat Joy
Science-Fiction
Kunst
Berliner Volksbühne
Performance
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