| # taz.de -- „High Life“ von Claire Denis: Der silberne Dildo im All | |
| > Claire Denis hat mit „High Life“ einen sehr abgedrehten feministischen | |
| > Science-Fiction-Film realisiert. Die Kamera setzt sie wie ein Mikroskop | |
| > ein. | |
| Bild: Die letzten Überlebenden eines Raumschiffs: Monte (Robert Pattinson) und… | |
| Seit Jahrzehnten betreibt die französische Regisseurin Claire Denis ihr | |
| ganz eigenes Körperkino – zart und exzessiv zu gleich. Ihre Geschichten | |
| sind in die physische Präsenz, in die Bewegungen und Gesten ihrer Helden | |
| und Heldinnen eingeschrieben. Gleichzeitig wahren die Körper ihrer Figuren | |
| ein Geheimnis, fügen der Erzählung weitere Ebenen, Lesarten, Tonlagen | |
| hinzu. | |
| In „Beau Travail“ (1999), ihrem vielleicht physischsten Werk, verwandelte | |
| Denis einen ganzen Film in eine Choreografie der Körper. Die gleißende | |
| Sonne und der militärische Drill bringen eine Truppe Fremdenlegionäre in | |
| einer endlosen Gerölllandschaft zum Schwitzen. Die Kämpfer mögen sich | |
| martialisch fühlen, doch in Denis’ Bildern wirkt die Wüste Dschibutis wie | |
| die Bühne eines modernen Tanztheaters. Plötzlich geht eine eigentümliche | |
| Sinnlichkeit von den sich unablässig stählenden Männern aus. | |
| In Claire Denis’ letztem Film „Meine innere Sonne“ wirkt die etwa | |
| 50-jährige Isabelle ([1][Juliette Binoche]) mit Minirock und hochhackigen | |
| Stiefeln wie eine Kriegerin in eigener Sache. Sie möchte die Blicke der | |
| Männer auf sich ziehen, herausfordern, provozieren. Ihr exaltiertes | |
| Auftreten verweist auf Verunsicherung, ihre Körperlichkeit wiederum auf | |
| gelebte Lieben. Nun hat Claire Denis wieder einen Film mit Juliette Binoche | |
| gedreht. | |
| „High Life“ ist ein abgedrehter, atmosphärisch aufgeladener | |
| Science-Fiction-Film, der fernab der Erde in einem Raumschiff spielt. Nur | |
| noch zwei Menschen befinden sich an Bord: ein Vater namens Monte | |
| ([2][Robert Pattinson]) und seine kleine Tochter. Sie sind die letzten | |
| Überlebenden einer Expedition mit Kurs auf ein schwarzes Loch, um nach | |
| alternativen Energiequellen zu suchen. | |
| ## Fatales Scheitern der Mission | |
| Monte trägt eine Art Gefängnisuniform, sein Kopf ist kurzgeschoren, | |
| oberhalb der Stirn ist ein grauer kreisrunder Haarfleck zu sehen. Überhaupt | |
| wirkt er verhärmt und eingefallen. Gemeinsam mit ihm erfreut sich die | |
| Kamera an der Speckigkeit des Kleinkindes, an tastenden Händchen, die die | |
| wenigen Gegenstände in den leeren Räumen und labyrinthischen Fluren | |
| erkunden wollen. Das Babybrabbeln verbindet sich mit dem monoton dröhnenden | |
| Sound der Maschinen und Lüftungsanlagen. | |
| In Rückblenden werden Montes Geschichte und das fatale Scheitern der | |
| Mission skizziert. Bei ihm und den anderen Teilnehmer*innen der Expedition | |
| handelt es sich um Delinquenten, die sich freiwillig gemeldet hatten, um | |
| einer lebenslangen Haft- oder der Todesstrafe zu entkommen. Es ist eine | |
| wild zusammengewürfelte Truppe jüngerer Menschen, die erst nach und nach | |
| das existenzielle Ausmaß ihrer Reise begreifen. In der unendlichen Weite | |
| des Weltalls werden sie auf engstem Raum mit ihrer Vergänglichkeit | |
| konfrontiert. Sie steuern dem eigenen Tod entgegen. | |
| Juliette Binoche spielt die Bordärztin, die auch in eigener Mission | |
| unterwegs ist: Diese Frau ist von der Idee besessen, Leben im Weltall zu | |
| erzeugen. Mit dem Sperma der an Bord befindlichen Männer befruchtet sie die | |
| Frauen. Sex findet nicht statt. | |
| Innerhalb dieses Dispositivs hat sich Claire Denis ideale Räume für ihre | |
| Körperstudien geschaffen. Das von dem dänisch-isländische Lichtkünstler | |
| Ólafur Elíasson entworfene Raumschiff ist auch ihr Versuchslabor. Die | |
| klaustrophobische Enge scheint die Körper in einer Art Dauerspannung zu | |
| versetzen, permanent flackernde Lichter erzeugen eine atmosphärische | |
| Grundgereiztheit. | |
| ## Das Kreatürliche am Menschen | |
| In den labyrinthischen Gängen scheint die Zeit nur zäh zu vergehen, | |
| Geräusche und Stimmen bekommen einen befremdlichen Hall. Dampfend und fast | |
| sinnlich ist hingegen die Atmosphäre im Treibhaus des Raumschiffs. Wenn | |
| sich die Tür zum grünen Paradies öffnet, meint man die schwüle Feuchtigkeit | |
| zu spüren. | |
| Denis interessiert das Kreatürliche am Menschen fern der Zivilisation. Sie | |
| psychologisiert nicht, sie setzt die Kamera eher wie ein Mikroskop ein, | |
| studiert und seziert körperliche Reaktionen im permanenten Ausnahmezustand. | |
| Behutsam erkundet sie den Nacken einer jungen Frau, zeigt Härchen auf einem | |
| Arm, die sich langsam aufstellen, oder die Stoppeln eines Dreitagebarts. | |
| Doch scheinen Annäherungen zwischen den Menschen an Bord kaum möglich, und | |
| wenn, enden sie meist in einem Akt der Gewalt. | |
| „High Life“ entwickelt sich mehr und mehr zu einem Kammerspiel über | |
| unterdrückte Sexualität und verdrängte Gefühle. Dabei übernimmt Binoches | |
| Bordärztin im weißen Kittel und mit überlangem Haarschopf den Part einer | |
| Hohepriesterin. In einer irritierenden Szene ist sie im so genannten | |
| Fuckroom zu sehen, einer schalldichten Masturbationskammer in der sich ein | |
| Ledersitz mit einem silbernen Dildo befindet. | |
| Während sie sich an Seilen auf und ab bewegt, zeigt die Kamera ihren | |
| Rücken, die sich immer stärker bewegenden Muskeln. Aus nächster Nähe schaut | |
| Claire Denis dem Orgasmus bei der Arbeit zu. Es ist der kleine Tod als | |
| ekstatisches Aufbäumen gegen den großen Tod in der Schwärze des Weltalls. | |
| 28 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anke Leweke | |
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