# taz.de -- US-Künstlerin Carolee Schneemann: Inmitten der Kunsthengste | |
> In Salzburg ist eine große Carolee-Schneemann-Retrospektive zu sehen: | |
> Performances und Fotografien zu den Themen Sex und Körperlichkeit. | |
Bild: „Meat Joy“, Happening, 1964. | |
Auf eine Reise in die Vergangenheit, in die Zeit der zweiten | |
Feminismuswelle, führt das Salzburger Museum der Moderne mit einer | |
Retrospektive der amerikanischen Künstlerin Carolee Schneemann (bis 28. | |
Februar). Das ist ein erfrischendes, naturgemäß auch nostalgisch | |
grundiertes Panorama der Pionierleistungen, mit denen Schneemann in den | |
frühen 1960er und 1970er Jahren tradierte Muster überwand. | |
Nach einer akademischen Ausbildung kam Schneemann, 1939 geboren, zu einer | |
Zeit nach New York, als die Stadt Paris als wegweisende Kunstmetropole | |
triumphal abgelöst hatte. Abstract Expressionism war längst etabliert, die | |
New York School und ihre durchweg männlichen Protagonisten wurden weltweit | |
beachtet. | |
Frauen jedoch waren nach wie vor Musen oder so was. Machten sie Kunst, | |
wurde das, wenn nicht ignoriert, gerade mal einigermaßen wohlwollend | |
vermerkt. Mehr nicht. | |
Die junge Künstlerin traf sie alle, die „Kunsthengste“, wie sie sie später | |
einmal nannte. John Cage, Steve Reich, die Musik- und Theateravantgarde | |
lernte sie durch ihren Mann kennen, den Komponisten und Musiktheoretiker | |
James Tenney. | |
Sie trat in ihren Theaterstücken und Performances auf, choreografierte für | |
sie und malte dicht ineinander verschränkte Abstraktionen mit rhythmischem | |
Pinselstrich. Damit eröffnet die chronologisch arrangierte Werkschau. | |
Farbpalette und Formenrepertoire erinnern mal an Robert Rauschenberg, mal | |
an Willem de Kooning, erkennbar behielt sie das Vorbild Cézanne stets fest | |
im Blick. | |
## Vereinen von Zeit, Raum und Person | |
Das beste Beispiel ihrer frühen, reflektierten Arbeiten ist die von einem | |
stark stilisierten, manieristisch überlängten männlichen Rückenakt | |
dominierte Komposition „Three Figures after Pontormo“; an einzelnen Stellen | |
ist die Farbe herausgeschabt, grobe Kratzer irritieren. | |
Dieser Versuch, über den bloßen virtuosen Farbauftrag hinauszugehen, konnte | |
sie jedoch nur bedingt befriedigen. Die meisten Bilder jener Jahre | |
zerstörte sie. Es war ihr nicht gelungen, das Ereignishafte des | |
künstlerischen Schaffensprozesses auf die Leinwand zu übertragen. | |
Assemblagen sollten sie weiterführen. In der Ausstellung ist eine große | |
Auswahl ihrer Controlled Burning Boxes zu sehen: inwendig bemalte | |
Holzkisten, bestückt mit Glas- und/oder Spiegelscherben, mit Federbüscheln, | |
Stofffetzen, Papier, die sie in Brand setzte. Das Ergebnis ist ein Objekt | |
des Zufalls, Schatzkiste, Bühne für ein kryptisches Theaterstück – und eine | |
Steilvorlage für den inneren Monolog des Betrachters. | |
Fast alle Exponate werden von Carolee Schneemanns Kommentaren begleitet. | |
Das hilft und passt sehr gut zu ihrer Vorstellung, dass der Künstler nicht | |
nur als Schöpfer, sondern de facto in seinem Kunstwerk präsent sein soll. | |
Am sinnfälligsten manifestiert sich diese Vorstellung in der Performance, | |
einem Zeit, Raum und Person vereinenden Kunstwerk, das dann freilich | |
ephemer ist. | |
## Exhibitionismus- und Pornografievorwürfe | |
Das scheint Schneemann nicht ganz zu behagen, und so werden ihre | |
performativen Auftritte Vorlagen für Fotografien und Filme. Sie übernimmt | |
dabei die Rolle der Darstellenden und der Dargestellten, wozu sie ihren | |
Körper bemalt, mit Spiegeln und assoziativen Objekten umgibt und sich in | |
eine von ihr gestaltete Installation einfügt. Sie ist nun nicht mehr | |
Gegenstand, sondern materieller Teil einer Darstellung. Und sie ist immer | |
nackt. Damit verlässt sie die Rolle des weiblichen Akts als Motiv, als | |
ewiges vom Künstler abgebildetes und interpretiertes Objekt der Begierde. | |
Sie geht noch weiter. Anfang der sechziger Jahre filmt sie sich und ihren | |
Mann James Tenney beim Liebesakt. Nur die Kamera und die auch ansonsten | |
stets präsente Katze Kitch schauen zu. Das Filmmaterial bearbeitet, | |
zerkratzt, beschichtet und bemalt sie. Das war natürlich explizit – und ein | |
Spiel mit dem Feuer. Schneemann bewegte sich mit „Fuses“ damals auf einem | |
sehr schmalen Grad. | |
Dem erwartbaren Vorwurf des Exhibitionismus, der Pornografie begegnet sie | |
mit dem Einwand, dass sie weibliche Lust, Begehren, den Genuss des | |
Begehrtwerdens nur dann künstlerisch darstellen könne, wenn sie weder als | |
Objekt noch als inszenierender Dokumentar des schöpferischen Akts fungiere, | |
sondern beide Positionen einnehme. Die Zeiten waren allerdings bei weitem | |
nicht so körperfeindlich wie heute, wo die Ausweitung des Begriffs der | |
Pornografie, dekoriert von hyperkorrekten Gendermahnungen, für Ordnung | |
sorgt. | |
Carolee Schneemanns Position war jedoch alles andere als gefestigt. Dazu | |
bedurfte es noch einer ekstatischen Gruppenperformance wie „Meat Joy“, in | |
der fröhliche Männer und wunderbare Frauen sich den unterschiedlichsten | |
Variationen der Fleischeslust hingeben unter Beteiligung von Fischen, | |
Würsten, Farbe und gerupften Hühnern, begleitet von einer ironisierenden | |
Songcollage. | |
## Nackt auf einem Tisch | |
Das Video dieser orgiastischen Veranstaltung ist, wie die meisten ähnlich | |
provokanten Events jener Jahre, nicht gut gealtert, man staunt und findet’s | |
eher komisch. Leider. Als frühes Manifest avantgardistischen Umgangs mit | |
den Möglichkeiten neuer Medien, als „Kinetisches Theater“ taugt es allemal | |
und ist schon deshalb einzigartig und unverzichtbar. Zudem ist Schneemanns | |
Ansatz mit vielen Skizzen, Scripts und Fotos dokumentiert. | |
Ein großes Publikum fand Schneemann nie, sie ist stets ein artist’s artist | |
für mehr oder weniger feministisch arbeitende Künstlerinnen geblieben. | |
Vorbildlich und unerschrocken. Körperbewusst und frei. Wie sonst hätte sie | |
ihre berühmte, hoch umstrittene Performance „Interior Scroll“ so gut | |
verteidigen können? | |
Nackt steht sie auf einem Tisch, stellt die lächerlichen Posen eines | |
akademischen Aktmodells nach, um schließlich einen säuberlich gefalteten | |
Papierstreifen aus ihrer Vagina zu ziehen und vorzulesen: „Sei darauf | |
vorbereitet, dass man deine Ideen klaut, dass man die Ideen missversteht, | |
dass man dich schlecht behandelt, egal ob dein Erfolg zu- oder abnimmt, | |
dass Herabsetzung und Bewunderung im Gleichschritt miteinander gehen . . .“ | |
13 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Annegret Erhard | |
## TAGS | |
Performance | |
Neo-Dada | |
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Feminismus | |
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