# taz.de -- Fotoausstellung „Gesichter der Arbeit“: Ungeschönte Einblicke | |
> Bloß keine glorifizierenden Arbeiterporträts: Günter Krawutschke | |
> fotografierte oft in Ostberliner Industriebetrieben. | |
Bild: Entspannte Skatrunde im Transformatorenwerk „Karl Liebknecht“ in Ober… | |
Der Overall ist mit Kohlestaub überzogen, trotzdem zückt sie den Kamm, um | |
sich zurecht zu machen, bevor [1][Günter Krawutschke] auf den Auslöser | |
drückt. An der rußgeschwärzten Hand blitzt ihr Ehering, das breite Lachen | |
gibt den Blick auf zwei vergoldete Zähne frei: Die Arbeiterin im VEB | |
Elektrokohle Lichtenberg ist auf einer der Fotografien abgebildet, die | |
derzeit in der Ausstellung „Gesichter der Arbeit“ im [2][Deutschen | |
Technikmuseum] zu sehen sind. | |
Von 1971 bis 1986 hielt Krawutschke, damals Pressefotograf für die Berliner | |
Zeitung, das Arbeitsleben in Ostberliner Betrieben fest. Als Bildreporter | |
für den Berliner Verlag hatte er oft exklusiven Zugang zu den | |
Industriebetrieben, die in der DDR der Parteiführung der SED unterstanden. | |
Aber auch politische Veranstaltungen, wie zum Beispiel das Treffen zwischen | |
dem chilenischen Kommunistenführer Luis Corvalán und Erich Honecker im VEB | |
Bergmann-Borsig 1977, konnte Krawutschke dokumentieren. | |
Statt wie offiziell gewünscht glorifizierende Arbeiterporträts aufzunehmen, | |
beobachtete Krawutschke seine Protagonisten ausgiebig. Oft so lange, bis | |
sie nicht mehr starr posierten, den Fotografen vielleicht gar nicht mehr | |
wahrnahmen. So entstanden Bilder in Pausen, auf denen Arbeiter gemeinsam | |
Bier trinken oder Karten spielen – konzentrierte Blicke auf faltigen | |
Gesichtern. Die Porträts erinnern an die unmittelbare Beobachtung in der | |
Fotografie August Sanders, einer der einflussreichsten Porträtfotografen | |
der 1920er Jahre. | |
In vielen Bildern von Krawutschke sind Frauen in Führungsrollen zu sehen. | |
Eines von 1970 zeigt eine Gruppe von fünf männlichen Bahnarbeitern, | |
angeleitet von einer Frau – im Westen zu dieser Zeit kaum denkbar. | |
Krawutschkes Fotografien sind dadurch nicht nur Kunstwerke, sondern auch | |
wichtige historische Dokumente. 4.000 Negative erwarb das Technikmuseum | |
2018 aus seinem Archiv. Auch heute noch fotografiert Krawutschke die Stadt, | |
zuletzt arbeitete er an einem Projekt über die Linienstraße in Mitte. | |
## „Eine Lücke im Museum schließen“ | |
Ein Großteil der früheren Ostbetriebe musste um die Wendezeit schließen. | |
Andere wurden privatisiert, da sie sich wirtschaftlich nicht halten | |
konnten. Reste der ehemals Volkseigenen Betriebe (VEB) der DDR verteilen | |
sich über den ganzen Osten Deutschlands, in Berlin dominierte die | |
Elektroindustrie. In einigen Fällen weiß man nicht, wie viele Mitarbeiter | |
die Betriebe hatten und wann genau sie schließen mussten. „Wir haben | |
versucht, möglichst viel über die Großbetriebe zu recherchieren, bei | |
manchen sind wir uns aber bis heute nicht sicher“, sagt Kurator Bernd Lüke | |
der taz. | |
Die Ausstellung ist bisher die einzige im Technikmuseum, die sich dezidiert | |
mit einem DDR-Thema befasst – obwohl viele Exponate aus dem ehemaligen | |
Osten stammen. „Wir möchten so auch eine Lücke im Museum schließen“, sagt | |
Lüke. | |
Eine Karte Ostberlins zeigt ehemalige Industriestandorte. Auf dem Gelände | |
des VEB Elektrokohle Lichtenberg an der Herzbergstraße etwa steht heute das | |
Dong Xuan Center, in dessen Hallen asiatische Großmärkte und kleine | |
Geschäfte untergebracht sind. Und im ehemaligen Kabelwerk Oberspree in | |
Oberschöneweide befindet sich mittlerweile die Hochschule für Technik und | |
Wirtschaft (HTW). | |
Ein Bild Krawutschkes zeigt die Fließbandproduktion von Radios im VEB | |
Sternradio in Berlin. Die Radioausstellung im Technikmuseum stellt dazu | |
passend ein original Radio „Sternchen“ aus, das bereits 1959 auf den Markt | |
gebracht wurde. Das handliche Gerät war eins der ersten Transistorradios | |
der DDR, die die holzverkleideten Kastenradios ablösten. | |
Produktdesign-Studenten der Kunsthochschule Weißensee designten die Geräte, | |
hergestellt wurden sie im VEB Sternradio Sonneberg in Thüringen, das mit | |
dem Berliner Standort kooperierte. So entsteht ein spannender Einblick in | |
die Ostberliner Industriegeschichte. | |
17 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://guenterkrawutschke.de/ | |
[2] https://www.google.com/search?q=deutsches+technikmuseum&ie=utf-8&oe… | |
## AUTOREN | |
Anima Müller | |
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