# taz.de -- Guten Morgen, Ihr Schönen!: „Wir haben gelacht und geweint“ | |
> Eine Österreicherin und eine Ostdeutsche trauten sich an eine Art | |
> Fortsetzung des legendären Buchs „Guten Morgen, du Schöne“. Am Frauentag | |
> lesen sie daraus. | |
Bild: Monika Stenzel (links) und Ulrike Jackwerth | |
taz: Frau Stenzel, Frau Jackwerth, erstmals ist der Frauentag Feiertag in | |
Berlin. Hat das eine Bedeutung für Sie? | |
Monika Stenzel: Ich bin aus dem Osten, ich bin mit dem Frauentag groß | |
geworden. Und seit einigen Jahren treffen wir uns regelmäßig hier bei mir | |
in der Küche, so zehn bis zwölf Frauen. Dann gibt es selbst gebastelte | |
Blumen ans Revers und Eierlikör aus dem Schokobecher. Wie früher. | |
Ulrike Jackwerth: Ich bin ja aus Österreich, da gibt es keinen Frauentag. | |
Ich habe das erst hier und durch Moni kennengelernt. Als ich meiner | |
87-jährigen Mutter neulich erzählt habe, dass wir am Frauentag aus unserem | |
Buch lesen, hat sie gesagt: „So ein Blödsinn, es gibt doch nur den | |
Muttertag.“ | |
Ihr Buch heißt „He, du Glückliche“ – schon der Titel ist eine Reminisze… | |
an das legendäre Werk von Maxie Wander „Guten Morgen, du Schöne“. Kannten | |
Sie das Buch schon damals in der DDR? | |
Stenzel: Ich hab’ das sogar im Theater gespielt. An eine Vorstellung | |
erinnere ich mich besonders lebhaft: Das war tatsächlich am Frauentag, im | |
Theatercafé in Halle. Da hatten sie die Frauen vom Lande in Bussen gebracht | |
und die haben das genossen! Ich habe die Rosie gespielt und die sagt so | |
Sätze wie „Ich liebe Frauen mit großen Brüsten“. Und plötzlich war da d… | |
Hölle los. Da saßen ja die Muttis vom Lande mit den großen Brüsten und die | |
haben gekichert und gelacht. Und dann sind wir oben vor Lachen | |
zusammengebrochen und der ganze Saal auch. Das war ein wunderbarer | |
Glücksmoment! | |
Und Sie, Frau Jackwerth, sind Sie damals auch schon mit den | |
Maxie-Wander-Texten in Berührung gekommen? | |
Jackwerth: Wir haben an der Schauspielschule in Salzburg mit einigen der | |
Texte gearbeitet. Ich unterrichte inzwischen selbst und weiß, dass eine | |
Kollegin heute noch die Texte aus dem Buch in der Schauspielausbildung | |
verwendet. Die geben einfach was her. | |
Bei Maxie Wander erzählen die Frauen voller Rohheit und Zartheit, in | |
größter Offenheit und Schonungslosigkeit ihre eigene Geschichte in einem | |
Land der Enge. Ich wundere mich immer wieder, wie das so durch die Zensur | |
gehen konnte … | |
Stenzel: Ja, das ist eine Geschichte! Das war zu der Zeit, als Wolf | |
Biermann ausgebürgert wurde. Das ganze Land war in Aufruhr, das wissen wir | |
ja, es wurden Petitionen verfasst und so weiter. Da trennte sich die Spreu | |
vom Weizen, das muss man schon sagen. Und in dieser Zeit oder kurz danach, | |
ist das Buch fertig geworden und es wurde bei der Stasi einfach | |
durchgewunken. Die haben keine einzige Änderung gemacht. Vielleicht auch, | |
um das Volk irgendwie zu beruhigen. Vielleicht war es auch einfach ein | |
Fehler. Alle haben sich gewundert. | |
Viele dieser Frauen bei Maxie Wander wirken sehr desillusioniert. Ich denke | |
da an Ruth, die sagt: „Seelisch bin ich reif für den Strich.“ Die Frauen in | |
Ihrem Buch dagegen… | |
Jackwerth: Wir haben das Buch nicht ohne Grund „He, du Glückliche“ genannt. | |
Keine unserer Frauen sieht sich als Verliererin, alle schauen irgendwie mit | |
Stolz auf ihre Ost-Vergangenheit. Natürlich gibt es auch die anderen | |
Frauen, die unglücklich sind mit ihrer Situation nach der Wende. Wir haben | |
uns bemüht, auch so eine zu bekommen, das hat aber nicht geklappt. | |
Stenzel: In der DDR wusstest du als Frau, so und so wird dein Leben | |
ungefähr sein, da kommt auch nicht viel mehr. Du warst eingeschlossen, die | |
Partei denkt für dich, der Staat lenkt usw. Kein Wunder, dass die Frauen | |
desillusioniert waren. Das ist heute ganz anders: Viele unserer Frauen | |
haben einfach noch was vor, da ist noch ganz viel offen. | |
Gehen wir noch mal einen Schritt zurück, wie ist es Ihnen beiden seit der | |
Zeit von „Guten Morgen, du Schöne“ ergangen? | |
Stenzel: Fang du an! | |
Jackwerth: Ich war Anfang der achtziger Jahre auf der Suche nach einem | |
Engagement und dann bin ich in Berlin kleben geblieben. Das hatte immer | |
etwas Absurdes, in dieser eingeschlossenen Stadt. Ich habe dann hier | |
Theater gespielt und angefangen, Regie zu führen. | |
Stenzel: Du musst auch noch sagen, dass du mich kennengelernt hast! Ich bin | |
1984 ausgereist, mit meiner Familie. Wir hatten einfach die Nase voll, mir | |
hat es auch im Theater keinen Spaß mehr gemacht. Man musste sich immer | |
verbiegen, es war alles so verlogen. Dann kamen wir in Westberlin an, mein | |
Mann hat als Arzt schnell Arbeit gefunden, meine Tochter ging schon in die | |
Schule. Und ich saß alleine zu Hause mit meinem Sohn, der erst vier Wochen | |
alt war und kannte hier niemanden. Das war eine harte Zeit, ich hab sehr | |
gezweifelt. Aber dann ging die Sonne auf: Das Renaissance-Theater hatte | |
damals das Studio eröffnet, da hab ich vorgesprochen und sie haben mich | |
genommen. Dort hab ich Uli kennengelernt. Wir haben auch zusammen gespielt | |
und in den Neunzigern schon einmal ein Projekt zusammen gemacht. Und dann, | |
wie war das, erzähl du! | |
Jackwerth: Wir waren zusammen auf einer Lesung, danach kam das Gespräch auf | |
Maxie Wander. Dann sickerte das so ins Hirn rein und ein paar Tage später | |
haben wir nachgerechnet – genau 40 Jahre war das her, da könnte man doch … | |
So ist die Idee geboren und dann nahm das ganz schnell Fahrt auf, immer | |
mehr Frauen haben sich gemeldet. Es gab eine große Lust, die eigene | |
Geschichte zu erzählen, das macht man ja sonst nur, wenn man frisch | |
verliebt ist, oder beim Psychiater. | |
Stenzel: Wir haben gelacht und geweint, übrigens ganz oft hier an diesem | |
Küchentisch. Nicht nur wir waren glücklich, weil uns die Frauen so viel | |
Vertrauen geschenkt haben. Auch sie sind jedes Mal ganz glücklich gegangen. | |
Was ist Ihre Antwort auf die Frage, wie viel von der Ostsozialisation übrig | |
geblieben ist? | |
Stenzel: Je länger ich wieder in Berührung komme mit dem Osten, umso mehr | |
fühle ich mich dem wieder verbunden. Eine Frau hat es ganz gut gesagt: | |
Ossis können sich riechen. Es ist einfach eine andere Art der | |
Kommunikation. | |
Jackwerth: Ich muss sagen, für mich sind das alles Kämpferinnen. Waren es | |
damals und sind es noch heute. Sie haben auch Lehrgeld bezahlt, aber das | |
sind alles starke Personen. | |
Wenn ich die Frauenprotokolle von Maxie Wander lese, über 40 Jahre alt und | |
aus einer ganz anderen politischen Zeit, gibt es trotzdem so viel, das auch | |
mein Leben berührt. Sind die Themen für Frauen trotz Systemwechsel die | |
gleichen geblieben? | |
Jackwerth: Ich habe das Gefühl, da gibt es wenig, was nicht mehr aktuell | |
ist. Selbstzweifel, Enttäuschung, Familie, Kinder, Beruf, alles unter einen | |
Hut zu bringen. Ich habe sogar das Gefühl, das ist heute noch schwerer, | |
weil alle so tun, als wäre es leicht, und die Erwartungen so hoch sind. | |
Stenzel: Aber die Chance auf Veränderung, die unsere Frauen jetzt haben, | |
das ist doch etwas Wesentliches. Die Frage, ob es das schon gewesen war, | |
die lässt sich heute anders beantworten. | |
Jackwerth: Aber große Hoffnungen zerbröseln auch heute noch. | |
Glauben Sie, dass es allen Frauen gut täte, einmal ihr Leben von vorn bis | |
hinten zu erzählen, mit allem, was sie ausmacht? | |
Jackwerth: Der Bedarf ist jedenfalls da. Wir hätten zehn Bücher füllen | |
können. Durch das Aussprechen ordnen sich die Dinge neu. Bei manchen Frauen | |
wirkt das immer noch nach. Das ist toll! | |
Sie haben schon einige Male aus Ihrem Buch gelesen. Kommen da eigentlich | |
nur Frauen? | |
Jackwerth: Im Wesentlichen ja. Außer auf dem Dorf, da bringen die Frauen | |
ihre Männer mit. Aber selbst wenn nur zwei Männer kommen, haben sie | |
garantiert zwei Wortmeldungen. | |
Nochmal zurück zum Frauentag: Die letzten Jahre haben Sie hier in der Küche | |
Eierlikörchen getrunken … | |
Stenzel: Und diesmal machen wir das bei unserer Lesung im Heimathafen, das | |
passt doch. Ich hab auch noch zwei Blümchen, Uli. Die stecken wir uns dann | |
an! | |
8 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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