# taz.de -- Sicherheit im Nachtleben: „Unsere Arbeit ist klar feministisch“ | |
> Navina Nicke ist Mitbegründerin von Safe Night. Die Awareness-Teams des | |
> Vereins arbeiten in Hamburger Klubs und bieten Betroffenen von Gewalt | |
> Unterstützung vor Ort | |
Bild: Navina Nicke sieht großen Bedarf an Awareness-Arbeit in Klubs | |
taz: Frau Nicke, hat das Nachtleben ein Gewaltproblem? | |
Navina Nicke: Auf jeden Fall. Aber nicht nur das Nachtleben, die ganze | |
Gesellschaft hat eins. In der Nacht, im Rausch, wenn alle euphorisch sind, | |
zeigen sich aber noch ganz andere Formen, als tagsüber. Da spielt vor allem | |
anonyme Gewalt eine Rolle. | |
Was ist anonyme Gewalt? | |
Sexualisierte Gewalt passiert meistens im Nahfeld der betroffenen Frau, | |
also vom Partner, vom Ex-Freund und so weiter. Auf einer Party hingegen ist | |
es öfter die Stimme im Rausch, die sagt, dass es mit Sicherheit eine gute | |
Idee ist, der Frau jetzt an den Hintern zu fassen. Und das passiert dann | |
zwischen sich unbekannten Menschen. | |
Hat das zugenommen oder warum haben Sie den Verein Safe Night gegründet? | |
Wir arbeiten alle seit Jahren im Nachtleben und haben das schon immer | |
mitbekommen. Viele von uns machen das im Frauenkörper und kriegen allein | |
dadurch schon so einiges mit. Es gibt so viele Menschen, die auf irgendeine | |
Art marginalisiert sind und dadurch unwahrscheinlicher eine schöne Nacht | |
haben als andere. Wir wollen einfach dafür sorgen, dass alle eine schöne | |
Nacht haben. Was uns zusätzlich genervt hat, war diese rassistische | |
Instrumentalisierung der Silvesternacht von Köln. | |
Sie meinen die Silvesternacht 2015/2016, als es in Köln und auch in Hamburg | |
vermehrt sexuelle Übergriffe gab? | |
Genau. Danach forderten insbesondere weiße Strafrechtsfeministen eine total | |
krasse Law-and-Order-Politik. Darauf haben wir gar keinen Bock, weil ganz | |
einfach nichts schlimmer geworden ist. Das war alles schon immer so. | |
Warum braucht es dann ein extra Awareness-Team? | |
Im regulären Betriebsablauf eines Klubs gibt es keine Person, die sich zu | |
einer von Gewalt betroffenen Person gesellen kann. Da sind alle in ihrem | |
Alltag, kontrollieren Taschen, füllen die Bar auf oder was auch immer. Das | |
Awareness-Team kann sich diese Zeit nehmen und ist der professionelle | |
Verbündete für Menschen, die gerade ein Gewalterlebnis hatten. | |
Wie genau sieht das aus? | |
Wenn es so eine Situation gab, gibt es ein reguläres Vorgehen: Die Tür | |
schmeißt den Täter raus. Und wenn sich eine betroffene Person beim | |
Awareness-Team meldet, dann ist das da und unterstützt die Person. Wir | |
arbeiten mit einer Subjektivierungsstrategie, um die Person wieder | |
handlungsfähig zu machen. | |
Wie geht die? | |
Wenn du eine Gewaltsituation erfährst, verlierst du deine Autonomie und die | |
Kontrolle über deinen Körper. Das ist ein Entmächtigungsgeschehen, es | |
objektiviert dich, darum geht es den Leuten schlecht. Der eigentliche | |
gesellschaftliche Ablauf ist, dass sofort nach einer Strafe für den Täter | |
geschrien wird. Es werden Beweise gesammelt und es geht darum, den Täter | |
möglichst hart zu bestrafen. Wer aus dem Fokus gerät, ist die betroffene | |
Person. Das ändern wir, indem wir parteilich mit dieser Person sind und ihr | |
die Autonomie und Kontrolle über die Situation zurückgeben. | |
Wie machen die Teams das? | |
Wir machen Angebote. Zum Beispiel können wir zusammen mit der Person ihre | |
Friends suchen, damit sie nicht mehr alleine ist. Oder wir gehen in einen | |
Nebenraum und unterhalten uns in Ruhe. Wir können auch eine Runde an der | |
frischen Luft drehen, oder wenn die Person nicht mehr auf der Party bleiben | |
möchte, können wir ihr Geld fürs Taxi geben. Wie geben einfach viele | |
Möglichkeiten, damit die Person sich selbst wieder handlungsfähig erleben | |
kann. | |
Sind sie auch im Nachhinein Ansprechpartner*innen? | |
Unsere Awareness-Arbeit ist mehr eine kurzfristige Unterstützung im Klub | |
als eine langfristige Betreuung. Die Leute wissen aber, dass wir im | |
Nachhinein über E-Mail erreichbar sind. Wenn wir den Eindruck haben, dass | |
es gut wäre, verweisen wir zum Beispiel an Frauenberatungsstellen. | |
Sind denn Frauen meist von Gewalt betroffen? | |
Die meiste Gewalt, die in der Nacht passiert, findet tatsächlich unter | |
Männern statt, die sich boxen. Da haben wir nichts mit zu tun, wenn das ein | |
konsensuales Boxen ist, sollen sie das gerne machen, das ist ein Fall für | |
die Türsteher*innen. Sexualisierte Gewalt geht aber meist von Männern aus | |
und trifft fast ausschließlich Frauen beziehungsweise andere Geschlechter | |
als Männer. Es gibt sicherlich auch andere Konstellationen, aber die sind | |
bedeutend seltener. | |
Wie sind die Awareness-Teams ausgebildet? | |
Unsere Arbeit ist ja letztlich soziale Arbeit, deshalb ist eine | |
entsprechende Vorbildung natürlich gut. Alle unsere Mitarbeiter*innen haben | |
sich beispielsweise in Gesprächsführung oder Krisenintervention fortbilden | |
lassen. Dafür haben wir mit dem Frauennotruf Hamburg kooperiert. Wir haben | |
auch alle einen bestimmten Begriff von Gesellschaft, unsere Arbeit ist klar | |
feministisch. | |
Wie nehmen die Klubgäste Sie wahr? | |
Am Anfang war das eher verhaltene Freude, die haben sich gefragt, warum es | |
das nun braucht. Aber mittlerweile hat sich das schon etabliert. Ich merke, | |
dass die Gäste vermehrt danach fragen und teilweise ein Awareness-Team | |
einfordern. Es wird teilweise zum Kriterium, ob sie in den Klub gehen oder | |
nicht. | |
Wenn sich die Leute in den Klubs der Awareness-Teams so bewusst sind, kann | |
deren Anwesenheit dann auch präventiv wirken? | |
Das ist unser Meta-Plan. Faktisch ist unsere Arbeit natürlich eine | |
Intervention. Aber wenn die Leute durch unsere Arbeit mitbekommen, dass sie | |
an einem Ort sind, an dem es wichtig ist, dass sie respektvoll miteinander | |
umgehen, dann hat das natürlich auch einen präventiven Aspekt. | |
Zurzeit sind die Teams nur in einer Handvoll Hamburger Klubs unterwegs und | |
diese buchen sie. Warum sind es bisher nicht so viele? | |
Wir sind personell noch nicht so gut aufgestellt. Die Einzigen, die bezahlt | |
werden, sind die Awareness-Teams. Aber die ganze Organisation, die | |
Rekrutierung der Leute und die Einarbeitung, das machen wir alles | |
ehrenamtlich. Deshalb freuen wir uns immer sehr über Spenden. Denn die | |
machen möglich, dass wir uns nachhaltig etablieren können. | |
Die Klubs in denen die Teams unterwegs sind, sind auch Mitglieder in Ihrem | |
Verein. Damit bewegt sich Safe Night also in einer Blase mit all jenen, die | |
sich des Problems bewusst sind. Wie könnten denn die erreicht werden, die | |
noch nicht so weit sind? | |
Das stimmt, die Klubs, die nach uns fragen, haben das Problem auf dem | |
Schirm. Ich hoffe einfach, dass unser Angebot immer bekannter wird und von | |
Gästen und Klubbetreibern noch mehr eingefordert wird. Wir bekommen auch | |
immer mehr Anfragen von Festivals oder auch Kongressen. Wir schließen auch | |
erst Mal nichts aus, aber wir müssen halt immer schauen, ob wir das leisten | |
können. Der Bedarf an mehr Awareness-Arbeit ist auf jeden Fall da. | |
1 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Marthe Ruddat | |
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