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# taz.de -- Heribert Prantl verlässt die SZ: Haters gonna hate
> Heribert Prantl hört als Meinungschef und Mitglied der Chefredaktion bei
> der „Süddeutschen Zeitung“ auf. So könnten seine Abschiedsworte lauten.
Bild: Auf Wiedersehen, Herr Prantl
Als der Prophet Noah seinen legendären Walfischbesuch abstattete, 40 Tage
und 40 Nächte durch Dick- und Dünndarm des Seeungeheuers wanderte und das
Innenleben des gigantischen Amphibiums als Augenzeuge untersuchen durfte,
war er in gewisser Weise auch der erste Journalist. Das Innenleben des
mächtigen Wesens betrachten, ohne daran teilzunehmen, an den Organen der
Zersetzung vorbeispazieren, ohne von ihnen aufgezehrt zu werden – das
versuchen heute einige, wenigen gelingt es.
Viel öfter steckt der Journalist heute in einem Ungetüm, wie es Diodorus
Siculus als den Bullen von Sizilien beschreibt: ein gewaltiger mechanischer
Apparat, in dem es laufend heißer wird, wobei das Leidgeschrei des
inhaftierten oder vielmehr eingebetteten Berichterstatters lediglich als
süßer Ochsgesang aus dem Innern dringt, dem Publikum zum gaudium. Solche
Ochsen gibt es nicht mehr viele. Ich kann mit einigem Stolz von mir
behaupten, noch zu ihnen gehört zu haben.
Wenn das Schiff des Journalismus heute zwischen der Skylla einer
obrigkeitsstaatlichen Informationspolitik und der Charybdis vulgären
Blog-Geschreibsels navigieren muss, dann muss es das ab heute ohne den
Lotsen, vulgo mich, tun, der gleichwohl nicht, wie seinerzeit Bismarck,
ganz das Ruder aus der Hand gibt, sondern gelegentlich noch feinjustiert:
[1][Mit einer wöchentlichen Kolumne], zahlreichen Gastbeiträgen und
plötzlichen Schock-Anrufen in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung wird
die „Marke Prantl“ weiter als Schibboleth bzw. Quodlibet eines genuin
münchnerischen Zungenschlags weiterleben.
Denn [2][dem Casus Relotius] bzw. allen künftig noch folgenden Casus
Relotiurom zum Trotz bleibt dies der unique selling point: Von all den
armen Heuchteln da draußen kann ich immer noch am besten Latein. Oderint,
dum metuant, formulierte der Staatsmann und Publizist Caligula dies
seinerzeit ähnlich treffend, die jungen Leute sagen heute ganz formlos:
haters gonna hate.
## Ich war immer Klassenbester
Als Meinungschef der SZ habe ich zahlreiche Kontroversen und Debatten
angeregt, an viele davon erinnere ich mich teilweise sogar noch selbst.
Peinliche Justizskandale und erschütternde Fehlurteile habe ich mit dem mir
eigenen furor poeticus analysiert und zerlegt, dass es nur so eine Pracht
(gloria) war: Denn nicht nur in alten Sprachen, auch in Jura war ich immer
Klassenbester.
Außerdem habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass der Kapitalismus
nicht nur Vorteile bringt, sondern oft auch Ungerechtigkeit. Dabei hatte
die päpstliche Enzyklika Rerum Novarum unter Papst Leo XIII. – übrigens der
letzte Papst, dem nach dem Tod alle Organe entnommen wurden, auch Milz und
Gedärme –, hatte dieser unfehlbare Beschluss schon 1891 (!) den
Kapitalismus auf Mildtätigkeit verpflichtet! Gehalten hat sich daran
freilich niemand, und so bedarf es immer wieder süddeutschen Journalisten,
die das Geheimnis der katholischen Soziallehre weiterreichen wie Bruno Ganz
den Iffland-Ring.
In meine Amtszeit fallen [3][auch viele Karikaturen] und Gedichte, die ich
gern verhindert hätte, aber leider war ich zu den entsprechenden Zeiten
immer auf Mallorca. Deswegen ergeht an meinen geschätzten Nachfolger
hiermit der alte Lernspruch, den schon unsere Griechischlehrer vor jeder
Stunde aufsagte: chairete o mathetai, wörtlich: Die Todgeweihten grüßen
dich! Wenn es mir aber gelingt, aus dieser hohlen Gasse gelegentlich noch
zurückzugrüßen, dann war mein langer Leidens- und Kreuzigungsweg, samt
Schweißtuchfälschung in Sachen Voßkuhle, nicht ganz umsonst (frustra).
Herzlichst, Ihr Heribert Prantl
3 Mar 2019
## LINKS
[1] https://www.sueddeutsche.de/thema/Prantls_Politik
[2] /Der-Fall-Claas-Relotius-und-Journalismus/!5557396
[3] /Antisemitische-Karikatur-in-der-SZ/!5506527
## AUTOREN
Leo Fischer
## TAGS
Satire
Süddeutsche Zeitung
Journalismus
Heribert Prantl
Süddeutsche Zeitung
Medien
Journalismus
Kolumne Flimmern und Rauschen
Lesestück Recherche und Reportage
Freistaat Bayern
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