| # taz.de -- In Bayern geht das Kommentieren anders: Irrsal und Wirrsal | |
| > Humanistische Bildung gehört im Freistaat dazu. Zum 100. Jubiläum ein | |
| > Kommentar, wie ihn Heribert Prantl nicht besser hätte schreiben können. | |
| Bild: Der Bayer flucht fließend zweisprachig auf Bayerisch und Latein | |
| Als der Apostel Saulus seine berühmte Verwandlung zum nachmaligen heiligen | |
| Paulus ins Werk setzte, nach Abschluss des nunmehr sprichwörtlich | |
| gewordenen Damaskus-Erlebnisses – da konnte er noch nicht ahnen, dass er | |
| später einmal als Beispiel in einem Artikel herangezogen werden sollte. | |
| Einem Artikel von mir, Heribert Prantl. | |
| Denn obwohl bereits zum Zeitpunkt Golgathas Hinweise auf die Bayern in Rom | |
| die Runde machten, sollte es fast zwanzig Jahrhunderte andauern, bis sub | |
| specie aeternatis und kat’exochen sich aus einer vage definierten | |
| liberalitas bavariae das formieren sollte, was wir heute als den Freistaat | |
| Bayern kennen und anerkennen. Ausgerufen von einem Berliner zwar, der aber, | |
| eingedenk eines immerwährend quidquid agis, hier als Agens bzw. Agent eines | |
| nolensvolens heilsgeschichtlichen Zusammenhangs auftritt, in welchem am | |
| Ende Markus Söder steht, ja stehen muss – ganz so, als wäre die | |
| Konstantinische Schenkung niemals nach Weihnachten zurückgebracht worden, | |
| samt Kassenzettel und allem. So ist aus Bayern ein Garantiefall geworden – | |
| ein hic Rhodos, hic Salsa ursprünglich sozialistischen Gepräges, das aber | |
| durch eine Art Karfreitagswunder und die immerwährende Majestät des | |
| humanistischen Gymnasiums zu einem perfekten Schreibanlass gerät. | |
| Wenn wir heute das weißblaue Staatswappen sehen, dann eben auch als eine | |
| Mahnung, dass du in hoc signo eben nicht vinces wirst! Sondern dass hier | |
| vielmehr ein Tohuwabohu, wörtlich laut Genesis 1, 1 „Irrsal und Wirrsal“ | |
| herrscht, dass notabene einer Sau – lateinisch porca – grausen möge. Der | |
| Berg – Bayern – kreißte und gebar statt jener Sau doch nur ein Spanferkel, | |
| schön angerichtet, dazu eine Leberknödelsuppe oder eine frische Brez’n, | |
| herrlich. Das war es, was Montgelas 1806 oder meinetwegen 1809 intendierte, | |
| dann aber erst durch Napoleon beziehungsweise den Pfarrer Pelg in | |
| Ziegetsdorf bei der Weihnachtsmesse 1998 zu reinem, ja reinstem Ausdruck | |
| fand: Manche Sache (res) – so der ebenso konzis wie präzis prätendierende | |
| Sinngehalt – geht eben über unseren Verstand (nous) hinaus. Exeunt. | |
| Sehen wir heute Bayern, dann sehen wir exakt diese Widersprüche in der | |
| Gemengelage Föderalismus. Der bayerische Löwe wird zum Stachel im Fleisch | |
| bundesdeutscher Behäbigkeit, Dornauszieher seiner selbst, wogegen sich das | |
| hilfreiche Mäuslein aus der Fabel sanktmartinshaft zur | |
| Christopherus-Medaille aufschwingt. Wer ist in der ménage à deux der dritte | |
| Mann? Im Originaldrehbuch zum Film des Katholiken Graham Greene ist es | |
| Orson Welles – eben derselbe Welles, der uns schon kassandragleich von | |
| einer Invasion vom Mars warnte! Das Marsfeld finden wir heute jedoch kaum | |
| mehr in Rom, sondern vor allem in München-Maxvorstadt. | |
| So bleibt uns heute, allen Unkenrufen sogar unter Wasser (subaquasubaqua) | |
| zum Trotz, nach einhundert Jahren dem Staat Bayern vielmehr ein ad multos | |
| annos hinterherzurufen, malgré soi. Als ein Land, in welchem der „Jux“ | |
| Grillparzers ein heiteres Quodlibet mit Borcherts „Draußen vor der Tür“ | |
| eingeht, Rudimente der Halbbildung mit diffusem Engagement Hochzeit feiern. | |
| Jeden Tag aufs Neue. In der Süddeutschen Zeitung. Danke dafür, Kurt Eisner! | |
| 6 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Leo Fischer | |
| ## TAGS | |
| Freistaat Bayern | |
| Bayern | |
| Bildung | |
| Satire | |
| Bayern | |
| Bayern | |
| Freistaat Bayern | |
| Bayern | |
| Süddeutsche Zeitung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Heribert Prantl verlässt die SZ: Haters gonna hate | |
| Heribert Prantl hört als Meinungschef und Mitglied der Chefredaktion bei | |
| der „Süddeutschen Zeitung“ auf. So könnten seine Abschiedsworte lauten. | |
| Beziehung zwischen Athen und München: Wie aus Baiern Bayern wurde | |
| Zwischen dem Freistaat und Griechenland gibt es seit über 200 Jahren enge | |
| Verbindungen. Heute hat sich das Verhältnis abgekühlt. | |
| Debatte Rechter Terror in Bayern: 100 Jahre NSU | |
| Mit der Ausrufung des Freistaats kam die Demokratie nach Bayern. Zugleich | |
| bildete sich ein extrem rechter Untergrund – der bis heute geduldet wird. | |
| Bayrische Identitätsfindung: „Dass a Ruah is!“ | |
| Vor 100 Jahren wurde der Freistaat Bayern ausgerufen – dann ignoriert und | |
| instrumentalisiert. Aber was ist er wirklich? Begehung eines Mysteriums. | |
| 100 Jahre Freistaat Bayern: Revolution heißt Ordnung | |
| Am 7. November 1918 wurde in München die Räterevolution verkündet. Damit | |
| wurde der Freistaat Bayern proklamiert. | |
| Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“: Die erste Frau im Männerkreis | |
| Die „SZ“ beruft zum ersten Mal eine Frau in die Chefetage: Julia Bönisch, | |
| bisher Chefin von sueddeutsche.de soll sich um das Digitale kümmern. |