Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hambi-Aktivistin verurteilt: Ein Exempel statuiert
> Tumulte im Gericht, Entsetzensschreie, rausgeschleifte Zuhörer: Die junge
> Hambach-Aktivistin Eule wird zu neun Monaten Jugendhaft verurteilt.
Bild: Widersprüchlich waren die Erinnerungen der Beamten an die Räumung der B…
Kerpen taz | Entsetzensschreie. Höhnisches Gelächter. Dazu Zwischenrufe der
rund 50 ZuhörerInnen wie „Gesinnungsjustiz“ und „Rechtsbeugung“: Als
Richter Peter Königsfeld, ein älterer Herr mit markant schmalem
Oberlippenbärtchen, sich am Montagabend durch die Begründung für sein
harsches Urteil gegen die Hambach-Aktivistin Eule manövrierte, wurde es mit
jedem seiner Sätze lauter im vollbesetzten Sitzungssaal 108 des Kerpener
Amtsgerichts. Wütende Kommentare, Tumulte. Zwei Zuhörer wurden von
Justizkräften rabiat aus dem Saal geschleift.
Schon das Strafmaß hatte überrascht: Neun Monate Jugendknast ohne Bewährung
wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchter gefährlicher
Körperverletzung [1][bei der Räumung im Hambacher Wald] am 26. September
vergangenen Jahres. Fast fünf Monate sitzt Eule schon ein. Die
Urteilsbegründung wirkte dann wie ein Rückgriff in Zeiten von Rachejustiz
und schwarzer Pädagogik.
„Kein Zweifel, dass eine Entwicklungsverzögerung vorliegt“, sprach
Königsfeld über die junge Angeklagte. Arrest reiche nicht, „da erhebliche
schädliche Neigungen vorliegen“, die Frau hege zudem „staatsfeindliche
Ansichten“, wie sich aus ihren beschlagnahmten flapsigen Briefen aus dem
Knast ableiten ließe. Mit demonstrativem Ekel las der Richter von den
„Hampelmännchen in blau“ und dem „Scheiß-Staat“. Wer so schreibe, habe
Erziehungs- und Persönlichkeitsmängel. Nein, bei Eule sei „kein
rechtschaffener Lebenswandel zu erwarten“, stattdessen „neue
Straffälligkeiten“.
Das Umfeld, im bürgerlichen Leben der Schoß der Familie, werde ihr nicht
helfen: „Im Wald halten sich zunehmend gewaltbereite Chaoten auf“, mit
zudem „erheblicher Zunahme an Gewalt“. Lachsalven. Neue Wutschreie. Zuletzt
der Höhepunkt – denn die Zuhörer trifft auch noch Mitschuld am Knastgang:
„Dieses Urteil ist auch ein Verdienst der hier anwesenden Sympathisanten“,
so der Richter.
## Ein politisches Urteil
Kein Zweifel: Ein politisches Urteil. Mit Zynismus und Kalkül ein Exempel
statuieren. Kein Urteil, das deeskalierend dem Rechtsfrieden hilft und der
jungen Frau helfen kann, von der die Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe
vor Gericht erzählt hatte, wie überraschend umgänglich sie beim Besuch in
der U-Haft gewesen sei.
Der Rechtsstaat, hatte Königsfeld gesagt, erwarte „ein deutliches Signal“.
Er setzte es. Königsfeld ist übrigens der gleiche Richter, der vergangenen
Sommer [2][eine Trommlerin ebenfalls zu neun Monaten verurteilt hatte],
weil sie im Forst Böllerwerfer rhythmisch unterstützt hatte. Eine Strafe
mit „generalpräventivem Charakter“, sagte er damals.
Die Verhandlung mit acht Polizeizeugen hatte kein klares Bild ergeben, was
genau bei der Räumung der Baumhaussiedlung namens „Kleingartenverein“ im
Hambacher Wald passiert war. Zu offenkundig widersprüchlich waren die
Erinnerungen der Beamten. Unstrittig: Die junge Bewohnerin Eule, Identität
und Alter unbekannt, [3][in den Prozessakten als „UP Aachen VIII“
(Unbekannte Person)] geführt, war von SEK-Kräften aus ihrer Hängematte
unterhalb eines Baumhauses geholt worden, gefesselt, erst weggeschleift,
dann weggetragen. Laut Anklage soll sie mehrfach getreten und um sich
geschlagen haben – bei zeitweilig fünf ausgebildeten Polizeikräften, die
sie hielten. Richter Königsfeld wusste: „Sie hat alles getan, um Beamte zu
verletzen.“
Die zwei Sitzungstage mit zusammen zehn Stunden Wahrheitssuche hatten auch
komödiantische Momente: Etwa als das Publikum immer erst sitzen blieb, wenn
der Richter kam, aber geschlossen in dem Moment aufstand, wenn Eule mit
Handschellen in den Saal geführt wurde. Oder als ein Polizeizeuge erklärte,
wie man eine Gefangene fixiert: „Man baut Kontakt zum Körper auf.“ Als zwei
SEK-Beamte anonym mit Gesichtsmaske in den Saal kamen, erst auf dem
Zeugenstuhl das Gesicht freilegten, was aber von den Zuschauerbänken nicht
erkennbar war, weil als Sichtschutz eine Dia-Leinwand hochgezogen worden
war.
## Staatsanwältin forderte ein Jahr Haft
Die Angeklagte hatte kein Wort gesagt, zog höchstens mal ein spöttisches
Gesicht und trug diesmal eine auberginefarbene Kapuze über ihrer
blondierten Punkfrisur. Unklar blieb, wie sie am Oberkörper fixiert und
gefesselt auf dem Boden liegend mit ihren amtlichen 1 Meter 70 einer
stehenden Beamtin so dicht am Kinn vorbei getreten haben soll, dass diese
beim umgekehrten Versuch, Kontakt zum Körper des Gegenüber aufzubauen, den
Luftzug gespürt haben wollte.
Verteidiger Christian Mertens hatte mangels Beweisen auf Freispruch
plädiert („Kein Polizist war in der Lage, das Gleiche zu erzählen wie die
Kollegen“) und spitzfindig festgestellt, dass eine Hängematte nicht durch
die ohnehin gelogene Verfügung vom fehlenden Brandschutz der Holzhütten
gemeint gewesen sein konnte: „Eine Hängematte ist keine bauliche Anlage.“
Prasselnder Applaus. Die pflichtschuldige Staatsanwältin wollte die
Aktivistin ein Jahr in Haft sehen.
Bei Verkündung der Strafe hatte Eule, die so abgebrüht wirken wollte, kurz
Tränen in den Augen. Den Gerichtssaal verließ sie, wie alles angefangen
hatte: Sie ließ sich ziehen, dieses Mal allerdings ohne Gegenwehr. Ob
Richter Gnadenlos diese Entwicklungsnuance wahrgenommen hat, wissen wir
nicht. Noch Minuten nach dem Urteil hallten empörte Schreie durch das
ansonsten längst verwaiste Gerichtsgebäude. Revision und der Antrag auf
Entlassung nach zwei Drittel der Strafe Ende März werden folgen.
19 Feb 2019
## LINKS
[1] /Raeumung-im-Hambacher-Forst/!5539176
[2] /Kolumne-Gehts-noch/!5521006
[3] /Prozess-gegen-Hambi-Aktivisten/!5567349
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Schwerpunkt Hambacher Forst
Tagebau
Braunkohle
RWE
Kohleausstieg
Köln
RWE
RWE
RWE
Lesestück Recherche und Reportage
Polizei
Schwerpunkt Hambacher Forst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Anti-Kohle-Aktivistin verurteilt: Drei Wochen Arrest für „Eule“
In der Berufung wird die Hambacher-Forst-Aktivistin „Eule“ zu drei Wochen
Dauerarrest verurteilt. Das ist weniger als die ursprüngliche Haftstrafe.
Aktivistin aus dem Hambacher Wald: „Eule“ ist wieder frei
Überraschung in Köln: Die Hambacher-Wald-Aktivistin „Eule“ wurde aus der
Haft entlassen. Ursprünglich sollte sie neun Monate dort bleiben.
RWE-Hetze gegen Hambach-Besetzer: „Schädel einschlagen und Ruhe ist“
RWE-MitarbeiterInnen hetzen in einer geschlossenen Facebook-Gruppe gegen
BesetzerInnen des Hambacher Walds – bis hin zu Mordaufrufen.
Rodungsmoratorium Hambacher Forst: Kein Baum fällt bis 2020
NRW-Ministerpräsident Laschet sagt zu, Ergebnisse der Kohlekommission 1:1
umzusetzen. Der Hambacher Wald ist vorerst geschützt.
RWE klagt auf Schadensersatz: Millionen-Klage gegen Aktivist*innen
Fünf Aktivist*innen und ein Journalist sollen RWE Schadensersatz in
Millionenhöhe zahlen – für sie ist das mehr Ansporn als Abschreckung.
Kohlekommission und RWE: Kein Friede in den Dörfern
Der Konsens in der Kommission sollte den Streit um den Hambacher Forst
beenden. Aber RWE reißt weiter Dörfer ab und Aktivisten besetzen Bagger.
Herbert Reul und der Hambacher Forst: Pinkelpause als Polizeieinsatz
Die Besetzerszene sei gewaltbereit, sagt der NRW-Innenminister. Und legt
eine Statistik vor. Nur: Die ist komplett zusammengebastelt.
Prozess gegen Hambacher-Forst-Aktivistin: „Eule“ bleibt in U-Haft
Mit Spott über ein unvorbereitetes Gericht: Der Prozess gegen eine
Aktivistin aus dem Hambacher Forst wird nach einem turbulenten Auftakt
vertagt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.