| # taz.de -- Transgeschlechtlichkeit und Mutterschaft: Können Frauen alles sein? | |
| > Im Kampf um Selbstbestimmung schließt der Feminismus trans Frauen aus. | |
| > Auch der Staat ist auf ein Kind mit zwei leiblichen Müttern nicht | |
| > vorbereitet. | |
| Bild: Ihr Kind hat zwei leibliche Mütter, ganz ohne Mann: Felicia Ewert | |
| Mein Kind hat zwei leibliche Mütter. Meine Frau und mich. Als meine Frau | |
| noch schwanger war, kam es des Öfteren zu wundervollen Sätzen wie „Kennen | |
| Sie den Samenspender persönlich?“, „Ist die Blutgruppe des Vaters bekannt | |
| und gab es irgendwelche familiären Vorerkrankungen in dessen Familie?“. Wir | |
| sagten dann gerne: „Die SamenspenderIN steht vor Ihnen.“ Ich habe auf die | |
| Frage nach der Blutgruppe und nach Erkrankungen oft selbst geantwortet, was | |
| mir meist fragende Blicke einbrachte. | |
| Zumindest sind wir aber einer Kinderärztin begegnet, die so weit | |
| sensibilisiert war, dass sie uns zunächst ohne große Erklärungen „gebären… | |
| und zweite Mama“ nannte. Auch nachdem wir mehr erklärt hatten, sagte sie | |
| nur: „Zwei leibliche Mütter? Wie praktisch, so ganz ohne notwendigen Mann.“ | |
| Wir sind immer noch ganz angetan von ihr. | |
| Im restlichen Leben sind die Kommentare leider nicht immer so aufgeklärt. | |
| Zwei Mütter? Darf das sein? Natürlich blieben wir auch nicht von | |
| Vermutungen verschont, wie wohl die Zeugung vonstatten gegangen sein muss. | |
| Und nicht nur Hobbypsychologen, sondern auch der deutsche Staat ist, wenn | |
| es um eine trans Frau geht, schnell der Meinung: „Wenn sie sich für ein | |
| Kind entschlossen hat, zeigt dies ganz klar, dass sie mit ihrem Geschlecht | |
| wohl doch nicht so sicher war.“ | |
| ## Das Private ist politisch | |
| Ich schreibe seit mehreren Jahren [1][öffentlich auf Twitter] über meinen | |
| Weg und lasse hierbei auch keine intimen Details aus. Auch mein Privates | |
| ist politisch. [2][Frausein und Transgeschlechtlichkeit sind politisch]. | |
| Auch wenn das verletzlich macht, gibt es mir die Möglichkeit, so über mich | |
| zu sprechen, wie ich es für richtig halte. Es geht um Selbstbestimmung. | |
| Dass ich mich mit diesen Sprüchen überhaupt auseinandersetze, liegt daran, | |
| dass ich nicht nur für mich spreche, sondern auch für andere Eltern, die | |
| sich wünschen, mit ihren Geschlechtern und Titeln respektiert zu werden, | |
| bei leiblicher und nichtleiblicher Elternschaft. | |
| Für meine Frau stellte sich zu keiner Zeit die Frage, ob ich „auch Mutter“ | |
| sein darf. Doch selbst vermeintlich aufgeklärte Menschen sagen Dinge wie: | |
| „Selbstverständlich ist Felicia eine Frau, aber in Bezug auf ihr Kind ist | |
| sie nun mal biologisch betrachtet der Vater.“ | |
| Das zeigt zwei Dinge. Erstens: Zu welch akrobatischen Verrenkungen cis | |
| Personen mitunter bereit sind, nur um alles in die ihnen bekannten | |
| Schubladen zu stopfen. Nach dem Motto: Was nicht passt, wird passend | |
| gemacht. Sie wollen einerseits respektvoll erscheinen, aber ebenso dringend | |
| müssen sie ihre privilegierte cis Position als „Normalzustand“ verteidigen. | |
| Alles nur, damit sie sich nicht eingestehen müssen, dass sie selbst Teil | |
| einer lediglich von Menschen erdachten Ordnung, der Zweigeschlechtlichkeit, | |
| sind. Und zweitens: Viele cis Personen betrachten Dinge meistens gerne vor | |
| allem dann „biologisch“, sobald es um eine trans Person geht. | |
| Aber meinetwegen: „Biologisch betrachtet“ bin ich ein leibliches Elternteil | |
| unseres Kindes. Nebenbei bin ich eine Frau, gemeinhin nennt man das dann | |
| Mutter. Es geht um [3][geschlechtergerechte Sprache], ein ziemlich | |
| bekannter Anspruch des Feminismus, der aber selbst von leidenschaftlichen | |
| FeministInnen gerne mal vergessen wird, wenn es um trans Personen geht. In | |
| meinen Gesprächen mit cis FeministInnen kippt die Stimmung – online und | |
| offline – erfahrungsgemäß meist genau dann, wenn sie mitkriegen, dass eine | |
| transgeschlechtliche Frau ihnen gerade Misogynie vorwirft. | |
| ## Ringen um Selbstbestimmung und Anerkennung | |
| Dieses Ringen um Selbstbestimmung und Anerkennung ist in einem | |
| zwischenmenschlichen Kontext unangenehm, manchmal schmerzhaft. Was aber | |
| viel schlimmer ist: Die deutsche Gesetzgebung arbeitet gegen mich. Allein | |
| dass trans Personen einer eigenen Gesetzgebung unterliegen, ist schon ein | |
| Bekenntnis gegen jegliche Gleichstellung. Es geht ums sogenannte | |
| Transsexuellengesetz (TSG). Es ist seit Januar 1981 in Kraft und erreicht | |
| somit bald sein 40-jähriges Bestehen. Die Glückwünsche setze ich an dieser | |
| Stelle mal aus. | |
| Für mich bedeutet das, dass es nur durch mein Geschlecht allein, nur durch | |
| meine Existenz, bereits nötig ist, dass ich mich mit diesem Gesetz | |
| beschäftige. Für die rechtliche Anerkennung meines Frauseins musste ich | |
| nicht nur acht Monate meiner Lebenszeit für eine gerichtliche Anhörung, | |
| zwei mehrstündige Gutachtensitzungen und viel Wartezeit investieren, | |
| sondern auch 1.200 Euro für Gutachten und Verwaltungsgebühren bezahlen und | |
| mit der völligen Offenlegung meines Privatlebens gegenüber fremden Personen | |
| umgehen. | |
| In zwei ärztlichen Gutachten wurde unter anderem genau festgehalten, wie | |
| ich aufgewachsen bin, welche Schulbildung ich bekam, welche berufliche | |
| Entwicklung, was für familiäre Verhältnisse, welche sexuellen und | |
| romantischen Beziehungen ich hatte und ebenso weshalb ich mich kleide, wie | |
| ich es tue – und sogar wie meine Stimme klingt musste da festgestellt | |
| werden. Das Ergebnis: Meine Stimme klingt „weiblich“ und ich kann das durch | |
| lautes Lesen und Singen zeigen. | |
| In den 40 Jahren wurden verschiedene einschneidende Passagen des Gesetzes | |
| mit dem Grundgesetz als unvereinbar eingestuft. Passagen wie der | |
| Operationszwang, also verpflichtende operative Eingriffe wie Vulva- und | |
| Vaginalplastik, Mastektomie oder auch der Zwang zur Sterilisation wurden | |
| 2011 nach verschiedenen Klagen aufgehoben. | |
| Dennoch ist dieses juristische Ungetüm noch da. Ein | |
| Geschlechtsidentitätsgesetz, das die Anpassung des Geschlechtseintrags ohne | |
| Begutachtung ermöglichen könnte, wie es in anderen Ländern bereits | |
| existiert, lässt bei einigen Leuten aber die Sorge aufkommen, dass es cis | |
| Männer massenweise ermutigen könnte, ihren Geschlechtseintrag zu ändern, um | |
| Räume für Frauen zu betreten. Hier werden also mal wieder die Rechte von | |
| mehrfach marginalisierten Personen dem möglichen Handeln von cis Männern | |
| untergeordnet. | |
| ## Geschlechtsneutrale Erfassung von Eltern existiert nicht | |
| Für meine Frau und mich ist es aktuell ein Problem, dass das TSG auch nach | |
| den vielen „Lockerungen“ in der Praxis bedeutet, dass meine Frau in der | |
| Geburtsurkunde unseres Kindes neben einem nicht existenten Mann aufgeführt | |
| ist. Allein das zu erreichen, hat fast zwei Monate gedauert, da wir „ein | |
| Fall“ waren, den das Standesamt „so noch nie zuvor hatte“. Die Alternative | |
| wäre gewesen, so zu tun, als wäre ich nicht die Mutter meines leiblichen | |
| Kindes, um es dann in einem langen und aufwändigen Verfahren zu adoptieren, | |
| um dann als zweite Mutter mit meinem Namen erfasst zu werden. Andere | |
| Optionen gibt es rechtlich derzeit nicht. Eine geschlechtsneutrale | |
| Erfassung von Eltern und Erziehungsberechtigten existiert in Deutschland | |
| nicht. | |
| Transgeschlechtliche Menschen werden ständig bewertet. Es wird stets über | |
| unsere Geschlechter geurteilt. Wir werden dafür kritisiert, mit welcher | |
| Unnachgiebigkeit wir Respekt für unserer Existenz einfordern. Das klingt | |
| irgendwie bekannt? Körperliche und geschlechtliche Selbstbestimmung fordern | |
| und fordern zu müssen, weil man sie von alleine nicht bekommt? Genau, | |
| wieder so ein Anspruch des Feminismus. | |
| Doch wenn es „nur“ um Selbstbestimmung geht: Wieso ist es so vielen | |
| Cisgenders dennoch so wichtig, festzulegen, wer welches Geschlecht haben | |
| darf und wer nicht? Darauf gibt es zweierlei Antworten. Erstens: | |
| Transgeschlechtliche Menschen gelten als Störfaktor. Einfach, weil wir | |
| öffentlich existieren. Ja, das gilt auch für wichtige feministische Kämpfe, | |
| etwa um reproduktive Rechte. Bisher wird für das Frausein und die | |
| Mutterschaft aber immer noch das Gebären vorausgesetzt. | |
| Doch wir wollen nicht als zwangsweises Neutrum irgendwo „mitgedacht“ werden | |
| und warten, bis wir dran sind. Wir existieren hier und jetzt. Wir wollen | |
| die feministischen Kämpfe ja nicht aufhalten, sondern ein Teil davon sein. | |
| Mit unseren Geschlechtern und nicht getrennt davon, für die Sache. Wir | |
| wollen diese Kämpfe inklusiver, geschlechtersensibler und besser machen. | |
| ## Gewalt durch cis Personen | |
| Ein weiterer Grund, wieso Cisgenders mir mitunter verhalten begegnen, ist, | |
| dass einige Männer Angst haben, irgendwann nur noch für die Zeugung | |
| notwendig zu sein. Durch Frauen wie mich scheint diese Angst einen Anlass | |
| zu bekommen. Das kann zu einem erheblichen Bedrohungspotenzial führen. | |
| Nicht für die cis Männer, sondern für mich – ich werden von solchen Männe… | |
| beleidigt, erhalte körperliche, oft sexualisierte Drohungen. Doch auch cis | |
| Frauen sehen sich durch meine Mutterschaft herausgefordert und stellen sie | |
| in Frage, weil sie die Mutterschaft als ihr Vorrecht sehen. | |
| Statt Menschen zu respektieren und die Fähigkeit zur Reproduktion für sich | |
| zu betrachten, wird sie stets in zwei Kategorien eingeteilt und | |
| vergeschlechtlicht – gegen jede Lebensrealität. Hier zeigt sich die | |
| Wirkweise von Transfeindlichkeit, nämlich Einschluss und Ausschluss. | |
| Transgeschlechtliche Frauen werden vom Frausein ausgeschlossen und als | |
| Männer definiert. Trans Männer und viele nichtbinäre Personen wiederum, | |
| werden als Frauen vereinnahmt, ohne welche zu sein. Oftmals wird auch von | |
| „Frauen*“ gesprochen, um Inklusion vorzugeben. Ja, auch zum | |
| „Frauen*(kampf)tag“. | |
| Bei allen Attacken, ob Beleidigung oder gar Gewaltandrohung, geht es nie | |
| nur um den Titel „Mutter“, sondern um einen Angriff auf mein Frausein und | |
| meine Weiblichkeit. Doch Frauen können alles sein. Manche sind lesbisch, | |
| manche transgeschlechtlich und manche Mütter. Manche sind all das | |
| gleichzeitig. Und 8. März ist jeden Tag. | |
| 9 Mar 2019 | |
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