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# taz.de -- Asamblea in Buenos Aires: Polit-Party ohne Cis-Männer
> In Argentinien stellt die feministische Bewegung die stärkste
> oppositionelle Kraft. Der 8. März gilt als Auftakt des politischen
> Jahres.
Bild: Protest vor Kongress-Gebäude in Buenos-Aires gegen die Kriminalisierung …
Buenos Aires taz | Die Sonne knallt erbarmungslos auf den Beton von Buenos
Aires als hunderte Frauen* aus der stickigen Metro in Richtung eines
selbstverwalteten Freiraums strömen. Auf einem Stück Wiese inmitten der
Megacity, zwischen Baustellen, alten Ubahn-Waggons und heruntergekommenen
Hochhäusern, findet an diesem Freitagnachmittag die erste Versammlung zur
Organisation des internationalen Streiks von Frauen, Lesben, Trans und
Travestis statt.
Die Teilnehmer*innen suchen sich einen Platz auf dem sonnenverbrannten
Gras, es werden Decken ausgebreitet und Matebecher rumgereicht, Wassereis
und kalte Getränke gibt es für wenige Pesos. Die Asambleas – öffentliche
Versammlungen – sind das Herzstück der argentinischen feministischen
Bewegung. „Hier stehen die verschiedenen Kämpfe und auch die Konflikte
innerhalb der Bewegung im Fokus“, erklärt Verónica Gago, eine der
theorieproduzierenden Köpfe des Kollektivs Ni Una Menos.
Das Kollektiv ist federführend bei der Organisation der Streiks. Die
Diversität der Bewegung bringe natürlich Herausforderungen mit sich, aber
mache gerade auch den Reichtum aus, findet Gago. Und so ist die erste
Asamblea ein Stelldichein verschiedener sozialer Organisationen und
Gruppen, die ein breites Spektrum der aktuellen gesellschaftlichen
Konflikte abbilden. Präsident Mauricio Macri kriegt genauso sein Fett ab
wie der Internationale Währungsfonds, die Gewerkschaftsbürokratie und die
katholische Kirche.
Nicht bei allen Debatten herrscht Konsens. Pfiffe und Applaus liegen nah
beieinander. Es gibt Zwischenrufe, Zustimmung und Widerspruch. „So ist das
immer in den Asambleas. Aber am Ende werden wir alle gemeinsam laufen.“,
erklärt Gabi Verra, die bereits im letzten Jahr an den Streikversammlungen
teilgenommen hat. Viel wichtiger als die internen Differenzen sei, dass am
8. März alle zusammen die Straßen und Plätze einnehmen – Räume, die sonst
oft von Cis-Männern besetzt sind.
## 8. März – kein Tag nur für Cis-Frauen
Über zwei weitere Konflikte, die in der Bewegung brodeln, herrscht
zumindest in der ersten Asamblea Einigung. Da ist die Debatte um die
„Plurinationalität“ des argentinischen Feminismus, also die Anerkennung der
Kämpfe und Forderungen der 36 verschiedenen indigenen „Nationen“, die auf
argentinischem Territorium beheimatet sind. Und die Frage, ob Trans, Inter
und Travestis Teil der feministischen Bewegung sein können.
„Hier wird niemand ausgeschlossen!“ rufen die Organisator*innen, um die
vorab über Social Media verbreiteten Versuche von transexklusiven
Radikalfeministinnen, Frausein auf eine biologische Definitionen zu
reduzieren, klar abzuwehren. Die Asamblea jubelt. Ein Transmann bittet die
Asamblea um die Erlaubnis, teilzunehmen und die Asamblea bejaht lautstark,
Cis-Männer hingegen werden ebenso lautstark weggejagt.
Während in der spanischen Frauen*streikbewegung die Konfliktlinien entlang
Prostitution, Leihmutterschaft und die Nicaraguadebatte laufen, in
Deutschland über den Nahostkonflikt gestritten wird, ist die diesjährige
große Debatte in Argentinien eine biologistische. Bei der zweiten offenen
Versammlung eskaliert der Konflikt. Eine Gruppe von Radikalfeministinnen
ergreift das Mikrofon. Doch noch bevor sie sprechen können, entfacht sich
eine heftige Diskussion darüber, ob ihnen Raum und Wort gegeben werden
dürfe.
Es kommt zu Gerangel und Handgreiflichkeiten und die Organisatorinnen
entscheiden, die zweite Asamblea vorzeitig zu beenden, obwohl noch 80
Redebeiträge ausstehen. „Eigentlich war dieses Thema doch schon durch.“,
Gabi Verra und weitere Teilnehmerinnen der Asamblea, die noch eine Weile in
kleinen Gruppen beisammenstehen und über das gerade Erlebte diskutieren,
sind enttäuscht und traurig über den Ausgang des Abends.
„Den 8. März plötzlich zu einem Tag nur für Cis-Frauen machen zu wollen,
das geht gar nicht. Das fühlt sich an, wie viele Schritte zurückgeworfen zu
werden“, findet Verra. Nach dem Eklat nimmt die Organisation, ausgehend vom
Kollektiv Ni Una Menos, öffentlich Stellung. Biologistische Positionen
werden als diskriminierend und rassistisch befunden und es folgt ein
Appell, sich nicht von patriarchalen Ideen spalten zu lassen, sondern
zusammenzuarbeiten.
## Keine „Gender-Agenda“
Bei der dritten Asamblea herrscht wieder Einstimmigkeit darüber, dass es um
einen inklusiven Feminismus geht, der die Lebensrealität möglichst Vieler
abbilden soll. Das bedeutet auch, sich nicht auf eine „Gender-Agenda“
beschränken zu lassen, sondern feministische Politik auf die aktuelle
politische Situation in Argentinien zu beziehen.
Die erneute Verschuldung beim IWF, die explodierender Wirtschaftskrise und
die Inflation sind Themen, die den Alltag in Buenos Aires begleiten und die
Menschen beim morgendlichen Einkauf in der Bäckerei genauso beschäftigen
wie bei den Streikversammlungen. Viele fühlen sich bereits an das
Krisenjahr 2001 erinnert. Und auch wenn die Situation noch eine andere ist
als damals, gehen die Menschen wieder auf die Straße, lärmend, mit
Kochtöpfen in der Hand und Wut im Bauch.
Präsident Macri muss sich im Herbst dieses Jahres seiner Wiederwahl
stellen, 2020 stehen die nächsten Schuldenverhandlungen mit dem IWF an.
Beide politischen Ereignisse schaffen Unsicherheit. „Wir brauchen eine
Strategie, damit es am Ende des Jahres jemanden gibt, der die Interessen
des Feminismus repräsentiert, die letztendlich die Interessen der ganzen
Bevölkerung sind“, lautet der Aufruf der Transaktivistin Paula Arraigada an
die Teilnehmer*innen der Asamblea in Buenos Aires.
Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse haben sich seit Macris
Amtsantritt im Jahr 2015 verändert. Im gleichen Jahr wurde Ni Una Menos
gegründet, im Jahr darauf fand der erste Frauen*streik statt. Mittlerweile
gilt die feministische Bewegung als stärkste oppositionelle Kraft im Land
und der 8. März als Auftakt des politischen Jahres 2019 in Argentinien.
8 Mar 2019
## AUTOREN
Julia Wasenmüller
Caroline Kim
## TAGS
Feminismus
Argentinien
Buenos Aires
Südamerika
Feminismus
Argentinien
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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Musik
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