# taz.de -- Kommentar Kandidatur Bernie Sanders: Er ist nicht der Richtige | |
> Bernie Sanders will erneut für die US-Präsidentschaft kandidieren. Er | |
> versteht nicht, dass alte Männer in der Politik in den Hintergrund treten | |
> müssen. | |
Bild: Noch mal? Bernie Sanders bei einer Wahlkampfveranstaltung 2016 | |
Er will es noch einmal versuchen. Am Dienstag erklärte der 77-jährige | |
Senator Bernie Sanders, dass er sich [1][für die 2020 anstehenden | |
US-Wahlen erneut als Präsidentschaftskandidat] der Demokraten bewerben | |
werde. Diesmal werde alles anders, sagt Sanders. Diesmal würden er und | |
seine Bewegung gewinnen. | |
Sanders ist, anders als bei den Wahlen 2016, kein Außenseiter mehr. | |
Gemeinsam mit vielen, vor allem jungen Unterstützer*innen hat er es | |
geschafft, eine soziale Graswurzelbewegung in den Mainstream der US-Politik | |
zu katapultieren. Sanders fordert eine Bürgerversicherung, eine Erhöhung | |
der Renten, eine Reichensteuer und ist damit in vielerlei Hinsicht der | |
perfekte Gegenspieler Donald Trumps. | |
Und doch ist seine Kandidatur ärgerlich. Weil er – mal wieder – nicht der | |
Richtige ist. Weil er als Kopf einer jungen, zunehmend weiblichen sozialen | |
Bewegung ein schiefes Signal sendet. Weil er nun mal ein alter Mann ist, | |
der mit seinem politischen Kapital durchaus in der Lage wäre, andere zu | |
unterstützen. | |
Noch 2016 bezeichnete Sanders sich als „strong feminist“. Bei einer | |
Wahlkampfveranstaltung sagte er, die Journalistin und Frauenrechtlerin | |
Gloria Steinem habe ihm sogar den Titel „honorary woman“, „Ehrenfrau“, | |
verliehen. Sanders versteht sich also als Feminist. Aber was ist das für | |
ein Feminismus, mit dem man(n) sich stolz im Wahlkampf schmückt, der aber | |
nicht darin mündet, dass eine Frau – womöglich sogar eine nichtweiße Frau … | |
als Kandidatin für den mächtigsten Posten der Welt unterstützt wird? | |
## Kandidatur nicht zu Ende gedacht | |
Natürlich ist es wichtig, dass sich Menschen unabhängig von ihrem | |
Geschlecht für Gleichberechtigung einsetzen. Aber Sanders als | |
Präsidentschaftskandidat der US-amerikanischen politischen Linken | |
aufzustellen ist aus feministischer Sicht nicht zu Ende gedacht. Seine | |
Kandidatur steht für eine Linke, die mal wieder die konsequente | |
Intersektionalität vergisst – und das ist enttäuschend. | |
Dass Bernie Sanders ein alter Mann ist, könnte seine Chancen mindern. Das | |
ist nicht diskriminierend, sondern logisch. In den letzten Monaten sind | |
aufseiten der US-Demokraten Aufbruchstimmung und Kampfgeist zu spüren. Da | |
ist ein Gefühl des Widerstands, des Wandels. Es ist mehr als ein | |
kurzlebiger Trend, eine punktuelle Diversitäts- und Paritätsbewegung im | |
US-Kongress. Es ist die Konsequenz langer, harter Arbeit – und [2][viele | |
der Gesichter hinter dieser Arbeit gehören jungen Frauen of Color]. | |
Zum Beispiel Alexandria Ocasio-Cortez, die politisch mit Sanders zum Teil | |
auf einer Linie liegt. Ocasio-Cortez wäre vielleicht die Richtige. Bloß ist | |
sie zu jung. Mindestens 35 Jahre alt müssen Präsidentschaftskandidat*innen | |
in den Vereinigten Staaten sein, Ocasio-Cortez ist 29. Trotzdem hat sie | |
schon den Status eines Politstars. Würde sie den nutzen, um Sanders zu | |
unterstützen, wäre das im Wahlkampf laut Beobachter*innen einiges wert. | |
Aber auch dieses Szenario wäre falsch herum: die junge Frau, die dem alten | |
Mann zur Macht verhilft. Es ist immer wieder falsch herum – und das ist ein | |
Skandal. Während alle rufen, die Zukunft sei weiblich, stoßen wir in der | |
politischen Gegenwart weiterhin an gut bewachte Grenzen. Frauen, besonders | |
Schwarze Frauen und Frauen of Color, kämpfen seit Jahrhunderten um | |
politische und gesellschaftliche Teilhabe, um Sichtbarkeit und Macht. Als | |
logische Konsequenz daraus müssten schon längst Dutzende Politikerinnen | |
genau diese Gruppe repräsentieren. | |
Dass das bis heute nicht passiert, liegt auch daran, dass mächtige Männer | |
keinen Platz machen. Dass sie zwar die Anliegen der Frauen inhaltlich | |
unterstützen, aber selten bereit sind, mit ihren eigenen Ressourcen als | |
Verbündete aus dem Scheinwerferlicht in den Hintergrund zu treten. Deswegen | |
ist Bernie Sanders nicht der Richtige – auch wenn er von vielen als „Held | |
der Jugend“ gefeiert wird. Und deswegen ist es okay, ihn für seine | |
Kandidatur zu kritisieren. Nicht weil er alt und männlich ist. Sondern weil | |
er sich so verhält. | |
23 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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