# taz.de -- Islamunterricht an Schulen: Bayerns Berührungsängste | |
> Seit zehn Jahren gibt es islamischen Religionsunterricht für muslimische | |
> Schüler in Bayern. Ob der Modellversuch fortgesetzt wird, ist unklar. | |
Bild: Laut einer Studie ist Islamunterricht ein „wichtiger Baustein für eine… | |
München taz | Es ist ein erfülltes Lehrerleben, das Ahmed Jneid führt. | |
Regelmäßig erzählen ihm seine Schüler, wie gern sie zu ihm in den | |
Unterricht kommen. Und der 52-Jährige ist auch selbst davon überzeugt, dass | |
er eine wichtige Aufgabe erfüllt, wenn er Kinder in Islamkunde | |
unterrichtet. Dass er das tut, ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, | |
denn eigentlich gibt es sein Schulfach noch gar nicht. Jneid ist einer von | |
97 Islamlehrern an bayerischen Schulen. Unter „Modellversuch“ läuft das im | |
Freistaat. Ob und in welchem Rahmen der Islamunterricht im nächsten | |
Schuljahr noch angeboten wird, ist derzeit unsicher, weil sich die | |
CSU-geführte Regierung bislang nicht festgelegt hat. | |
„Momentan sind wir Lehrer schon verzweifelt“, sagt Jneid. „Wir wüssten | |
gern, woran wir sind. Wir haben schließlich Familien.“ Viele Kollegen | |
hätten Existenzängste und schauten sich gerade nach neuen Jobs um. Jneid | |
selbst sagt: „Gott wird es schon richten.“ Doch eigentlich wäre erst mal | |
die Politik am Zug. | |
Die hatte den [1][Modellversuch Islamunterricht] unter dem damaligen | |
Kultusminister Ludwig Spaenle von der CSU im Jahr 2009 eingeführt. Zunächst | |
für fünf Jahre, 2014 wurde er noch einmal um fünf Jahre verlängert, zum | |
Ende des Schuljahrs läuft er aus. Aktuell wird der Unterricht an rund 350 | |
Schulen, überwiegend Grund- und Mittelschulen, angeboten. Rund 16.000 | |
Schüler, ein knappes Zehntel aller muslimischen Schüler in Bayern, besuchen | |
ihn. Seit 2003 bildet die Universität Erlangen-Nürnberg auch Islamlehrer | |
aus. Bei der Erstellung der Lehrpläne waren die Wissenschaftler maßgeblich | |
beteiligt. | |
An der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des Unterrichts zweifeln jenseits der | |
AfD, die ihn komplett ablehnt und noch im Landtagswahlkampf die | |
[2][Forderung nach „islamfreien Schulen“] plakatiert hat, nur wenige in | |
Bayern. Schon 2015 bilanzierte das Kultusministerium, der Islamunterricht | |
sei ein Beitrag zur Integration und überall hoch anerkannt. Er vermittele | |
authentisches Wissen über Glaubensinhalte und unterstütze die jungen | |
Menschen in der Persönlichkeitsbildung. Und im Sommer 2018 wurde eine im | |
Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erstellte Studie über | |
den Islam in Bayern vorgelegt. Das Ergebnis: „Ein wichtiger Baustein für | |
eine ,Kultur der Anerkennung' von Muslimen in der Gesellschaft ist der | |
islamische Religionsunterricht.“ | |
## „Der Koran ist nur ein kleiner Teil“ | |
Dieser Ansicht ist auch Lehrer Jneid. Heute um 8 Uhr hat er den Unterricht | |
in einer ersten und zweiten Klasse in der Fürther Soldnerschule begonnen. | |
Das „islamische Gebet“ steht gerade auf dem vom Ministerium vorgegebenen | |
Lehrplan. Nach der vierten Stunde wechselte Jneid dann an die Mittelschule | |
Schwabacher Straße. Mit den dortigen Schülern behandelte er einen der sechs | |
Glaubenssätze des Islam: den Glauben an die Heiligen Bücher. | |
„Ich finde den Lehrplan sehr gut“, sagt Jneid. Mit Koranunterricht habe | |
sein Unterricht aber nichts zu tun. „Wir haben einen ganz normalen | |
Religionsunterricht. Wir basteln, wir spielen, wir singen. Es geht nicht | |
nur um religiöse Themen, es geht zum Beispiel ums Versöhnen, Streiten, | |
Frieden, Krieg, Hilfsbereitschaft. Der Koran ist nur ein kleiner Teil.“ | |
Jneid ist promovierter Sprachwissenschaftler, hat früher als Dozent an | |
der Uni gearbeitet, seit 2016 arbeitet er nun als Islamlehrer, sein | |
Jahresvertrag wurde immer wieder verlängert. Jneid ist für den | |
Islamunterricht an vier Fürther Grund- und Mittelschulen zuständig. | |
Schon Ende der Achtziger hatte man einen Modellversuch gestartet, damals | |
ging es um einen rein türkischsprachigen Islamunterricht – der nicht ganz | |
so überzeugte. „Ich hab live mitbekommen, was das bedeutet hat“, erzählt | |
Gabriele Triebel, damals Sportlehrerin am Münchner Asamgymnasium. Das | |
Kultusministerium habe kein Auge darauf gehabt, was diese Lehrer ihren | |
Schülern vermittelten. „Es kamen regelmäßig Schülerinnen heulend zu mir: | |
Jetzt hat er schon wieder gesagt, ich darf mich nicht schminken, ich darf | |
mir keine Hosen anziehen, ich muss in diesem Rollenbild bleiben. Das war | |
fürchterlich.“ | |
Vor ein paar Monaten hat Triebel ihre letzte Unterrichtsstunde gehalten. | |
Denn im Oktober wurde die 58-Jährige für die Grünen in den Landtag gewählt. | |
Dort ist sie jetzt bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion – und setzt | |
sich vehement für die Fortsetzung des Islamunterrichts ein. Neulich | |
brachten die Grünen – wie auch SPD und FDP – einen Dringlichkeitsantrag in | |
den Landtag ein. | |
## Kultusminister wünscht sich „vertieften Ethikunterricht“ | |
Darin forderten sie, den Modellversuch in ein flächendeckendes Regelangebot | |
zu überführen. „Wir hatten schon die Befürchtung, dass die das so ganz | |
klammheimlich auslaufen lassen wollen“, sagt Triebel. Im vergangenen Jahr | |
noch hatte sich die CSU wegen der Landtagswahl bemüht, der islamophoben AfD | |
möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. | |
Er sei gegen einen flächendeckenden Islamunterricht, verkündete etwa der | |
designierte Ministerpräsident Markus Söder beim Politischen Aschermittwoch, | |
und wenig später äußerte sich auch sein Kultusminister Bernd Sibler | |
ablehnend über eine Fortsetzung des Modellversuchs. Sibler sprach | |
stattdessen von der Möglichkeit eines „vertieften Ethikunterrichts“. | |
Was nun wer mit der Bezeichnung „flächendeckend“ meint, ist allerdings | |
etwas unklar. Mittlerweile spricht selbst Triebel lieber von | |
„bedarfsgerecht“. Natürlich, erklärt die Politikerin, könne nirgends ein | |
Unterricht für nur fünf Schüler angeboten werden. Aber man solle doch | |
zumindest alle Möglichkeiten ausschöpfen. Da sei natürlich auch die | |
Kreativität der Schulen gefragt: Wo können sich beispielsweise verschiedene | |
Schulen zusammentun? Oder gibt lässt sich der Unterricht etwa auch | |
jahrgangsübergreifend anbieten? | |
## Die Grünen berufen sich auf das Grundgesetz | |
Ein weiterer Knackpunkt ist die Frage, ob Islamunterricht „als | |
konfessionell gebundener Religionsunterricht“ nach Artikel 7 des | |
Grundgesetzes eingeführt werden kann. Die Grünen etwa fordern dies. Die | |
Regierungsparteien dagegen sehen dies aus verfassungsrechtlichen Gründen | |
sehr skeptisch, da Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den | |
Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt werden muss, auf | |
muslimischer Seite allerdings keine Organisation als Ansprechpartner zur | |
Verfügung steht, die einen allgemeinen Vertretungsanspruch der muslimischen | |
Gemeinschaft hätte. Ein Umstand, der auch die anderen Bundesländer vor | |
Probleme stellt. | |
Auch der jetzige Kultusminister Michael Piazolo von den Freien Wählern | |
machte letzthin im Landtag klar, dass in seinen Augen nur eine Fortsetzung | |
des Islamunterrichts in Form einer Ethikunterrichtsvariante in Frage kommt. | |
Er habe große Sympathie für den Modellversuch, sagte er, trotzdem müsse man | |
sehen, zu welchem Ergebnis dessen Evaluation komme. „Ich gehe davon aus, | |
dass da positive Antworten kommen.“ Man müsse auch nicht die für Juli | |
erwarteten endgültigen Ergebnisse abwarten, bis man Schulen und Lehrern | |
Planungssicherheit geben könne. Dafür reiche es aus, dass die Gutachter | |
eine erste Tendenz erkennen ließen, womit er in den nächsten Wochen rechne. | |
Damit hätte Lehrer Jneid zunächst Planungssicherheit. Er ist sich zwar | |
sicher, dass er auch einen anderen Job finden würde. „Aber für die Kinder | |
wäre es sehr schade. Wenn die in der Schule keinen Islamunterricht haben, | |
werden die Eltern andere Möglichkeiten suchen.“ | |
27 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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