# taz.de -- AfD vor der bayerischen Landtagswahl: Am Ohr der Basis? | |
> Hässliche Windräder, Flüchtlinge mit zu viel Geld und Zweifel am | |
> Fachkräftemangel: Wo drückt bei denen der Schuh, die zu AfD-Treffen | |
> kommen? | |
Bild: Prost dem Wähler: Katrin Ebner-Steiner, Landeschef Martin Sichert und Bu… | |
Wemding/Piting/Wendelstein/Hengersberg taz | Wemding ist ein kleiner Ort im | |
bayerischen Schwaben, das Seebauer-Hotel Gut Wildbad liegt drei Kilometer | |
entfernt. Die Straße dort hin hat so tiefe Wellen, dass eine | |
Geschwindigkeit von zehn Kilometer vorgeschrieben ist. Vor dem Hotel stehen | |
Autos mit dem Schriftzug der AfD, die blauen Werbebanner der Partei weisen | |
den Weg zum Eingang. An diesem Donnerstagabend findet hier eine | |
„Infoveranstaltung“ mit AfD-Landeschef Martin Sichert statt. | |
Gegendemonstranten sind nicht erschienen. | |
Im Hotelrestaurant haben sich gut 50 Gäste eingefunden, vielleicht zehn von | |
ihnen sind Frauen. Sie sitzen auf Polsterstühlen und -bänken aus beigem | |
Kunstleder, auf den Tischen liegen weiße Decken, darauf kleine Blumenvasen | |
mit Gerbera. Der jüngste Besucher ist in den 20ern, der älteste hat die 70 | |
überschritten. Manche tragen Kapuzenpulli oder Jeansrock, andere | |
Trachtenjanker. Einer hat ein Spinnentatoo am Ellbogen, ein anderer ein | |
Basecap mit „Deutschland“ drauf auf dem Kopf. Die KellnerInnen tragen große | |
Bier- und Colagläser herein, auch Teller mit Schnitzel und Salat. Durch die | |
großen Fenster blickt man auf Terrasse und Felder. | |
Am Redepult hinter der Bayernfahne haben sich die beiden örtlichen | |
Landtagskandidaten vorgestellt, (Rafael Hauptmann, 29 Jahre, drei Kinder, | |
bald vier, früher Erzieher, jetzt Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten | |
Rainer Kraft; Ulrich Singer, 42 Jahre, Rechtsanwalt), eine Schweigeminute | |
für den getöteten Chemnitzer „und all die anderen Opfer der Politik von CDU | |
und CSU“ ist absolviert, jetzt hat der AfD-Landeschef das Wort. Sichert | |
spricht in ruhigem Ton, viel über Migranten und Flüchtlinge, fehlende | |
Sicherheit und Übergriffe auf Frauen, streift Volksabstimmungen (dafür), | |
Islamunterricht (dagegen) und die vermeintliche „Frühsexualisierung“ | |
(schlimm), „Zigeunerschnitzel und Negerküsse“ (muss man sagen dürfen) und | |
den Dieselmotor (wichtig für unseren Wohlstand). Es folgt solider Applaus. | |
## Wahlprogramm im Schnelldurchlauf | |
Dann dürfen Fragen gestellt werden. „Wo ist die Milliarde hin, die der VW | |
bezahlt hat?“, ruft ein älterer Mann mit schwerem Dialekt in den Raum. „Im | |
großen Topf verschwunden“, antwortet Sichert und schwenkt zur Rente über. | |
Einer will wissen, ob die AfD die Wehrpflicht wieder einführen will. „Ja, | |
da sind wir ganz klar dafür“, sagt Sichert und ist schnell bei der Pflege, | |
die nicht von Flüchtlingen ohne Deutschkenntnisse übernommen werden dürfe. | |
Es folgen Fragen zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags und | |
Kindergeldzahlungen im Ausland, zu Steuerreform und Zuwanderungsgesetz. Die | |
Antworten sind knapp, Nachfragen werden nicht gestellt. | |
Dann will ein Mann im karierten Kurzarmhemd wissen, wie sich die AfD die | |
Energiepolitik der Zukunft denn vorstelle. Rafael Hauptmann, der | |
Landtagskandidat, sagt, dass man Grundlastkraftwerke brauche, „das können | |
nur Kohlekraftwerke oder Atomkraftwerke sein“. Die seien aber bald | |
abgeschafft, ruft der Mann mit dem Kurzarmhemd dazwischen. „Wir werden also | |
Strom aus dem Ausland kaufen“, fährt Hauptmann fort. Der komme aus maroden | |
Kraftwerken. Außerdem werde man „die Landschaft immer mehr zuspargeln“. | |
Bald ist er bei der Frage, wie marode Windkrafträder entsorgt werden und | |
dass die Energiewende gescheitert sei. „Ich hab gefragt, wie die AfD sich | |
das vorstellt“, fragt der Mann in dem Kurzarmhemd nach. „Dass ein Windrad | |
ein Betonfundament hat, das weiß ich selber.“ Hauptmann stutzt, Sichert | |
springt ein. Er sagt, dass die AfD keine Trassen will, dass in Bayern der | |
Strom produziert werden soll, den Bayern braucht. Dass es deshalb mehr | |
Grundlastkraftwerke geben müsse. Und dann ist er schnell wieder bei den | |
Windrädern, die die Landschaft verschandeln. | |
Am Ende, nach über zwei Stunden, werden noch Leute zum Plakatieren gesucht. | |
Dann gehen die meisten, wenige bleiben zu einem weiteren Bier. Die | |
Tischnachbarin, eine Frau in den 60ern mit Kurzhaarschnitt und Steppweste, | |
will eigentlich nicht mit der Journalistin reden, doch es bricht aus ihr | |
heraus. Dass ihre Mutter nur eine kleine Rente hat, aber für Flüchtlinge | |
viel Geld verschleudert wird. Dass Merkel eine Verbrecherin sei. Dass wir | |
alle überwacht werden. „Das können Sie sich alles im Internet anschauen.“ | |
Als Björn Höckes Wagen am frühen Dienstagabend in die Auffahrt zur | |
Schloßberghalle in Peiting einbiegt, wird er mit „Arschloch“ aus dem | |
Ärzte-Song begrüßt. Peiting hat 11.000 Einwohner, fast tausend | |
Demonstranten sind vor die Schloßberghalle gekommen. Aus ihren Boxen dröhnt | |
laute Musik, viele der Gegendemonstranten singen mit. Etwa 30 von ihnen | |
sitzen später in dem hellen Saal mit den himbeerfarbenen Vorhängen und | |
halten immer wieder schweigend rote Karten hoch. Außerdem sind rund 300 | |
Menschen erschienen, die der AfD anhängen oder zumindest an ihr doch | |
zumindest interessiert sind. Björn Höcke und die lokalen KandidatInnen | |
ziehen zum traditionellen Bayerischen Defiliermarsch und mit je einer | |
großen Deutschland- und Bayernfahne in den Saal ein. Applaus von den einen | |
Seite, rote Karten von den anderen, einige wenige gucken nur interessiert. | |
Altersmäßig ist das Publikum gemischter als bei anderen | |
AfD-Veranstaltungen, das ist bei Höcke häufig so. Der AfD-Rechtsaußen aus | |
Thüringen hat eine ganz besondere, jüngere Anhängerschaft, die ihn geradezu | |
verehrt. „Man sollte Björn Höcke nicht zu viel Zeit stehlen“, sagt denn | |
auch Rüdiger Irmgart, der Landtagskandidat, den die Leute hier wählen | |
sollen und fasst sich kurz. Nach der stellvertretenden Landeschefin ist | |
Höcke dran. Applaus brandet auf. | |
Der Thüringer aber hält keine stringente Rede, springt von einem Thema zum | |
nächsten. Er bezichtigt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, | |
„Falschmeldungen, Fake News“ zu verbreiten, und fordert das Publikum auf: | |
„Kündigen Sie ihre Zeitung!“ Er fordert, dass der Verfassungsschutz, dieser | |
„deformierte Inlandsgeheimdienst“, nicht die AfD, sondern die überwache, | |
die die freiheitliche Verfassung wirklich gefährdeten: „die Kartellparteien | |
unter Angela Merkel“. Höcke spricht von einer „gelenkter Demokratie“, vom | |
„Kult von Minderheiten“ und dass die Familie die Keimzelle von Nation, Volk | |
und Vaterland sei. Er thematisiert Rente und Energiewende und sagt Sätze | |
wie: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Energiewende ganz bewusst | |
unser Naturempfinden zerstören soll, damit unser Heimatgefühl erodiert.“ | |
Und natürlich geht es um das durch die vielen Geflüchteten schwindende | |
Sicherheitsgefühl , um die „permanente Angst um Frau und Kinder“ und um | |
„ein Volk wie die Deutschen, das der Welt so viel gegeben hat“. | |
## Höckes Rede mag nicht so richtig zünden | |
Doch so richtig in Wallung bringt Björn Höcke das Publikum damit nicht. Am | |
größten ist der Applaus noch, als einige AfD-GegnerInnen den Saal verlassen | |
und Höcke ihnen nachruft: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland | |
verlassen.“ Fragen an Höcke sind nicht vorgesehen. Nach seiner Rede wird | |
erst das Bayernlied, dann die Nationalhymne gesungen. Ohne Begleitung vom | |
Band, weil die Technik versagt. Kurze Zeit später ist der Thüringer weg. | |
Und der Mann auf dem Nebenstuhl wendet sich der Journalistin zu und fragt: | |
„Sind Sie eigentlich vom Verfassungsschutz?“ | |
Wer zum „Themenabend Asylkrise“ des AfD Kreisverbands Lauf-Roth kommen | |
will, muss eine Mail schicken, um den Veranstaltungsort zu erfahren. Die | |
Gaststätte liegt etwas außerhalb des Ortes, drumherum ein Fußballfeld, | |
Tenniscourts und Parkplätze. Draußen warten Eltern auf ihre Jungs, die nach | |
dem Fußball noch duschen. Wenn man drinnen nach der AfD fragt, landet man | |
in einem Nebenraum der Gaststätte. Etwa 15 Männer und fünf Frauen sitzen an | |
langen Tischen. Die Kellnerin nimmt Bestellungen auf, erst wenn alle ihr | |
Essen geordert haben, geht die Veranstaltung los, so ist es abgesprochen. | |
Das Rumpsteak sei wirklich gut, heißt es am Tisch. | |
Vorn ist eine Leinwand aufgebaut, davor stellt sich jetzt Ferdinand Mang, | |
40, Rechtsanwalt, das hellblaue Hemd hat er ordentlich in die Jeans | |
gesteckt. Früher war er für CSU-Ortsvorsteher, jetzt ist er der hiesige | |
AfD-Kandidat für den Landtag. Für seinen Vortrag „Asylkrise – Anfänge, | |
Entwicklung, Höhepunkt“ lässt Mang immer neue Presseartikel auf die | |
Leinwand projizieren – Focus, Süddeutsche, ARD, Zeit-Online, alles dabei. | |
Oft liest er nur Passagen daraus vor, dann kommt schon die nächste Folie | |
mit dem nächsten Zitat. Mal geht es dabei um Wirtschaftssanktionen, mal um | |
Waffenlieferungen, dann um die mangelnde Nahrungsmittelhilfe der UN, „das | |
Märchen vom Fachkräftemangel“ und die Resettlementdefinition des | |
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Plötzlich ein Fazit: Fachkräfte | |
aus fremden Ländern abzuwerben und die anderen dort zu lassen, sei | |
„unchristlich, asozial, und das lehne ich vehement ab“. | |
## Wiederworte und ein überforderter Kandidat | |
„So ein Unsinn“, stöhnt am hinteren Tisch ein älterer Herr. Wenig später | |
meldet er sich zu Wort. „Ich glaube, das ist in mehreren Dingen falsch“, | |
sagt er. „Wenn du aus Kuba gut ausgebildete Ingenieure ins Land holst, die | |
dort keine Arbeit finden, dann schadest du diesem Land nicht. Und dass es | |
keinen Fachkräftemangel gibt, ist ein Unsinn.“ Er sei Unternehmer und habe | |
Schwierigkeiten gehabt, einen Buchhalter, einen Elektriker oder einen | |
Werkzeugmacher zu finden. „Und wenn ich einen ausbilden will, hab ich | |
extreme Schwierigkeiten, einen zu finden, der für die Ausbildung geeignet | |
ist.“ Mangs Ausführungen seien etwas kurz gedacht. | |
Dieser räumt ein, „keine Patentlösung“ zu haben und sagt, dass da vieles | |
ineinander greife. Zum Beispiel, dass wir uns im freien Wettbewerb mit | |
deutlich billigeren Arbeitskräften etwa aus China befänden. Das führe zu | |
Lohndumping. | |
Jetzt ist der Mittelständler wirklich empört. „Versuch doch mal für 24 Euro | |
pro Stunde einen Elektriker zu finden, du wirst keinen finden“, sagt er. | |
„Das ist doch kein Lohndumping.“ Zwei andere stimmen zu, ein dritter meint, | |
bei den Flüchtlingen gehe es doch gar nicht um Fachkräfte. Dann ist die | |
Runde schnell bei Kindern, die in der Schule nicht mehr richtig rechnen | |
lernen und zu ihrer Lehrerin „Du Fotze, ich fick dich“ sagen. Bei | |
„Asylanten“, aus denen in den allermeisten Fällen keine Fachkräfte würde… | |
Und dass ganz Afrika nach Europa wolle. Der Unternehmer merkt an, dass „in | |
der deutschen Politik, aber auch hier in der Diskussion“ ganz schön viel | |
durcheinander gehe. | |
Mang kommt kaum noch zu Wort, niemand stellt ihm Fragen. Als einer sagt, | |
dass man Europa vor „den Afrikanern“ schützen müsse, herrscht Einigkeit. | |
Und auch darüber, dass man Europa als Festung ausbauen müsse. | |
Die AfD hat auf dem Marktplatz von Hengersberg, 40 Kilometer von Passau | |
entfernt, zwischen zwei Kastanienbäumen eine kleine Bühne aufgebaut. | |
„Meuthen spricht“ steht auf den blauen Plakaten, die in der Umgebung für | |
die Veranstaltung an diesem Montagabend werben. Neben dem AfD-Bundeschef | |
ist Katrin Ebner-Steiner als Rednerin angesagt, Spitzenkandidatin der AfD | |
hier in Niederbayern. Um 19 Uhr regnet es, etwa 80 AfD-AnhängerInnen finden | |
sich ein. Viele sehen wie NormalbürgerInnen aus, wer einen Schirm dabei | |
hat, spannt ihn auf. Dazwischen stehen bullige Typen mit vielen Tattoos, | |
„Germanica“ ist auf einem Nacken zu lesen. Hinten auf dem Platz verteilen | |
Jusos rote Luftballons, bei ihnen steht ein Mann in einem T-Shirt mit | |
CSU-Logo darauf, die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete ist ebenfalls | |
dabei. Etwa 50 AfD-GegnerInnen sind gekommen. „Rassismus in den Wind | |
schießen“ steht auf den roten Ballons, die sie in die Höhe halten. | |
Erst spricht Ebner-Steiner, dann Meuthen. Der Parteichef redet über | |
Chemnitz und wie stolz er auf die Menschen sei, die dort auf die Straße | |
gegangen sind. „Sie sind der lebende Beweis dafür, dass es doch noch Bürger | |
gibt, die so etwas wie Mut, Stolz und den Antrieb haben, sich und das | |
Eigene zu verteidigen.“ Gewalt gegen Migranten und Hitlergrüße lehne er ab, | |
sagt Meuthen, aber auch, dass er Zweifel habe, ob diese von „unseren | |
Leuten“ ausgehe und nicht eher von „eingeschleusten“. Er fordert: | |
„Abschieben. Grenzen schließen. Ordnung wieder herstellen“, spricht von | |
„degenerierter Dekadenz“ und der „Vergewaltigung unseres Ordnungsstaates�… | |
## Die Menschen hören gerne mal weg | |
Als er in seinem Professoren-Duktus fällt, fangen die Leute unter den | |
Schirmen an, sich zu unterhalten. Am größten ist der Applaus, als Meuthen | |
kritisiert, heute dürfe man Frauen keine Komplimente über ihr Aussehen mehr | |
machen und dann sagt: „Kaum eine Grüne käme jemals in die Gefahr, dass ihr | |
ein solches Kompliment gemacht würde.“ Buh-Rufe von hinten, aus einer | |
Wohnung gegenüber schrillt eine Trillerpfeife. | |
„Ich komm zum Ende“, sagt Meuthen nach knapp 50 Minuten. Dann fliegt eine | |
Tomate in Richtung AfD-Chef, trifft aber nur seinen Schuh. Nach Bayern- und | |
Nationalhymne verläuft sich die Menge. | |
30 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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