| # taz.de -- SPD vor der bayerischen Landtagswahl: „Die Partei ist kampfeslust… | |
| > SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen will in Bayern eine historische | |
| > Politikwende einleiten. Laut Umfragen ist das unwahrscheinlich. | |
| Bild: SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen gibt sich vor der Landtagwahl in Ba… | |
| taz: Frau Kohnen, Ihr Generalsekretär Uli Grötsch sagte neulich, der | |
| Wahlkampf laufe für die SPD „richtig gut“. Ist das schon | |
| Realitätsverweigerung? | |
| Natascha Kohnen: Ganz und gar nicht. Was er sagen wollte, ist: Die Partei | |
| ist unglaublich diszipliniert und kampfeslustig. Und ich sag Ihnen: Alle | |
| bei uns laufen. | |
| [1][Laut Umfragen] haben Sie fast die Hälfte der Stimmen aus der letzten | |
| Landtagswahl eingebüßt. | |
| 60 Prozent der Leute sind noch immer völlig unentschlossen. Diese | |
| Landtagswahl ist so offen wie keine zuvor. Sicher: Die SPD ist in einer | |
| schwierigen Phase – und das schon seit Jahren. Da gab es Maßnahmen, die | |
| schwierig und zum Teil auch falsch waren. Denken Sie an Hartz IV. Damit | |
| haben wir Vertrauen verloren, das wir jetzt wieder aufbauen müssen. Der | |
| Wahlkampf in Bayern fällt genau in die Zeit des Erneuerungsprozesses auf | |
| Bundesebene. | |
| Bereuen Sie inzwischen, dass Sie sich in Berlin nach ursprünglicher Skepsis | |
| für die Große Koalition stark gemacht haben? | |
| Sagen wir’s mal so: [2][Diesen Zirkus, den Seehofer Anfang Juli gemacht | |
| hat], den würde ich kein zweites Mal mitmachen. Reicht das als Antwort? | |
| Kann man in Bayern Wahlkampf machen, ohne über die Landesgrenze | |
| hinauszuschauen – nicht nur nach Berlin, sondern auch nach [3][Chemnitz] | |
| und [4][Köthen]? | |
| Nein. Da ist etwas im Gange, was die Gesellschaft ins Rutschen bringt – in | |
| ganz Deutschland. Und die AfD hat sich nun als das gezeigt, was sie ist: | |
| [5][Vor der ganzen Welt haben die sich mit den Nazis vereint.] Deswegen | |
| muss die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden. | |
| Geht das mit dessen aktuellem Chef? | |
| Nein. Hans-Georg Maaßen muss gehen. [6][Nach seinem Umgang mit den | |
| Ereignissen in Chemnitz und seiner Kungelei mit der AfD muss Seehofer ihn | |
| entlassen.] Wenn der seiner Verantwortung als Innenminister wieder nicht | |
| gerecht wird, muss die Kanzlerin das jetzt lösen. | |
| Die CSU befindet sich den Umfragen zufolge ebenfalls in einem Allzeittief. | |
| Doch die SPD profitiert nicht davon. Wie wollen Sie den Trend in Bayern | |
| umkehren? | |
| Indem wir uns ganz klar auf drei Themen konzentrieren: Wohnen, Familie, | |
| Arbeit. | |
| Diese Themen hat sich auch Ministerpräsident Markus Söder auf die Fahne | |
| geschrieben. | |
| Davon habe ich aber nichts gemerkt. | |
| Es gibt jetzt eine eigene Bauministerin, eine Wohnungsbaugesellschaft, das | |
| Baukindergeld, das Familiengeld … | |
| Das ist nur Show. Damit kann er uns nicht den Wind aus den Segeln nehmen. | |
| Wir werden dem Wähler zeigen, wo die Unterschiede liegen. Nehmen Sie die | |
| Kinderbetreuung: Söder will keine Gebührenfreiheit; ich schon. Das ist ein | |
| deutlicher Unterschied, und den plakatier ich auch. Aber das eigentliche | |
| Thema der CSU ist doch ein anderes. Gehen Sie mal raus und fragen die | |
| Leute, wofür die CSU steht. Söder hat monatelang nur über | |
| Flüchtlingspolitik geredet. Es ging ihm nur darum, Angst zu schüren. | |
| [7][Wer hat denn den Begriff Asyltourismus geprägt? Das war dieser | |
| Ministerpräsident.] | |
| Noch mal: Söder hat der Schwenk nach rechts nicht genutzt. Aber die SPD | |
| kann beim Wähler trotzdem nicht landen – anders als etwa die Grünen. | |
| Weil die SPD in Berlin schließlich immer der Stabilitätsanker sein muss, | |
| damit Deutschland für die europäischen Partner noch eine zurechnungsfähige | |
| Regierung hat. Das macht die Sache für uns in Bayern natürlich nicht | |
| einfach. Die Grünen sind davon völlig befreit. Die sind hier wie dort in | |
| der Opposition und können machen, was sie wollen. | |
| Werden Sie Ihre Wahlkampftaktik also für die letzten Wochen neu ausrichten? | |
| Was gäbe es für einen Grund dafür? Hat sich denn etwas an den | |
| Herausforderungen für den einzelnen geändert? Beim Wohnen? Bei der | |
| Kinderbetreuung? Wir müssen endlich über die Themen reden, die auch wieder | |
| Vertrauen schaffen in die Politik, die den Menschen in ihrem Alltag | |
| begegnen. | |
| Gut, lassen Sie uns über Soziales reden. | |
| Die größte soziale Frage der nächsten Jahre und Jahrzehnte ist für mich: | |
| bezahlbares Wohnen. Damit kann man die Städte und Dörfer nicht allein | |
| lassen, da ist das Land in der Verantwortung. | |
| Was fordern Sie konkret? | |
| Söder will in den nächsten sieben Jahren 10.000 Wohnungen bauen. Das sind | |
| pro Kommune 0,6 Wohnungen im Jahr – ein Witz! Das zeigt, er hat das Problem | |
| gar nicht verstanden. Wir wollen 5.000 Sozialwohnung pro Jahr. Außerdem | |
| brauchen wir eine Bestandsaufnahme der zur Verfügung stehenden Flächen. Der | |
| Freistaat hat keine Ahnung, welche Grundstücke er besitzt. Das ist grotesk. | |
| Und schließlich bebauen wir die Flächen oder geben sie den Kommunen zu | |
| günstigen Preisen und fördern sie beim Wohnungsbau. Auch privaten | |
| Investoren kann man vorschreiben, dass sie bezahlbaren Wohnraum schaffen | |
| müssen. Das sind alles Mosaiksteine, die man zügig zusammensetzen kann. | |
| Ist das in einer Stadt wie München nicht nur ein Tropfen auf den heißen | |
| Stein? | |
| Ballungsräume wie München brauchen weitere Hilfen. Dabei müssen wir aber | |
| das ganze Land in den Blick nehmen. Wenn es in den ländlichen Regionen | |
| endlich schnelles Internet gibt, wenn dort die Schulen garantiert offen | |
| bleiben, dann kommen die Unternehmen und dann bleiben die Familien. Dann | |
| noch den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, ein kostenfreies Bildungsticket | |
| für junge Leute, flächendeckende Gesundheitsversorgung – und schon | |
| reduziert man den Druck, der die Unternehmen in die Städte ziehen lässt. | |
| Viele Start-ups zum Beispiel würden gern in die ländlichen Regionen gehen. | |
| Dafür brauchen sie aber die Infrastruktur. | |
| Ihr zweites großes Thema ist die Familienpolitik. Söder beginnt gerade | |
| damit, Familiengeld an junge Familien auszuzahlen. | |
| Und für wen? Für die Familien mit ein- und zweijährigen Kindern. Was kommt | |
| danach? Wenn die Kinder in den Kindergarten kommen, müssen die Eltern | |
| wieder zahlen. Das ist doch lächerlich. Wir brauchen eine Offensive, die | |
| sowohl die Qualität als auch die Gebühren bei der Kinderbetreuung in den | |
| Blick nimmt. Wir müssen die Gehälter von Erzieherinnen und Erziehern | |
| anheben. Wir brauchen einen besseren Betreuungsschlüssel, längere | |
| Öffnungszeiten und komplette Kostenfreiheit für Krippen und Kindergärten. | |
| Es geht hier um Zugang zu Bildung. Niemand käme auf die Idee, Gebühren für | |
| Schulen zu verlangen. | |
| Punkt drei: Arbeit. | |
| Da gibt es eine Menge zu tun. Ich greife mal zwei ganz unterschiedliche | |
| Punkte heraus: Wir brauchen ein Weiterbildungsgesetz. Bayern ist neben | |
| Sachsen das einzige Land in Deutschland, das den Arbeitern kein Recht auf | |
| Weiterbildung gibt. Wir müssen den Menschen doch die Sicherheit geben, sich | |
| für die kommenden Herausforderungen der Digitalisierung fitzumachen. | |
| Außerdem brauchen wir in Bayern eine eigene Batteriezellenproduktion für | |
| die Autoindustrie. Die Elektromobilität wird kommen. Und wenn wir nicht | |
| unsere eigenen Produktionsstätten aufbauen, dann bekommen wir bald aus | |
| China die kompletten Bausätze und schrauben nur noch die Reifen dran. | |
| Das sind alles große Projekte. Woher nehmen Sie das Geld dafür? | |
| Wir haben jeden Schritt durchgerechnet. Schauen Sie doch mal, was Herr | |
| Söder alles verspricht. Ich finde, wir brauchen bezahlbaren Wohnraum, aber | |
| kein bayerisches Raumfahrtprogramm. Und solange Familien keine Kitaplätze | |
| haben, brauch ich keine Flugtaxis. | |
| Was muss passieren, damit Sie in zwei Monaten als stellvertretende | |
| Ministerpräsidentin in einem Kabinett Söder sitzen? | |
| Auf die Frage habe ich gewartet. Sie werden von mir keine Aussage zu | |
| irgendwelchen Farbenspielchen bekommen. Sonst haben wir die nächsten Wochen | |
| eine reine Personality-Show. | |
| Aber vielleicht wüssten die Wähler gern, ob eine Stimme für Kohnen | |
| eventuell auch eine Stimme für einen CSU-Ministerpräsidenten ist. | |
| Man wählt doch die Partei, die für die Herausforderung des täglichen Lebens | |
| die besten Lösungsvorschläge hat. Ich hoffe, dass es bei der | |
| Wahlentscheidung nur darum geht. | |
| Gut, dann frage ich anders: Sind Sie bereit, Ihre Lösungsvorschläge auch in | |
| einer Regierung umzusetzen? | |
| Davon können Sie ausgehen! Aber Sie setzen mir ja schon irgendwelche | |
| Koalitionen vor die Nase. | |
| Weil eine Regierung ohne CSU-Beteiligung sehr unwahrscheinlich ist. | |
| Unsinn. Wissen Sie, wie der Wähler am 14. Oktober entscheidet? Ich bin | |
| Naturwissenschaftlerin und halte wenig davon, hier eine Glaskugel | |
| hinzustellen und zu sagen: Ich seh da was. | |
| 16 Sep 2018 | |
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| Dominik Baur | |
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