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# taz.de -- Identitätsnachweis für Geflüchtete: Mit Zwang zum Pass
> Flüchtlinge müssen an der Beschaffung ihrer Pässe mitwirken, sonst
> bekommen sie Sanktionen. Doch nicht immer sind sie selbst schuld.
Bild: Weggeworfen oder verloren? Iranische Pässe
Hannover taz | Im Januar gab es in Göttingen zwei Hausdurchsuchungen bei
Geflüchteten aus Pakistan. Die Ausländerbehörde suchte die Pässe der
Geflüchteten, fand sie aber nicht. „Stattdessen hinterließ die Polizei die
Wohnungen in vollkommenem Chaos“, schreiben die Aktivist*innen des lokalen
„Bündnisses gegen Abschiebung“ in einer Mitteilung. „Dabei wurde auch ein
Bett zerstört und sämtliche Gegenstände in den Wohnungen verteilt.“
Menschen mit einer Duldung sind in Deutschland verpflichtet, dabei zu
helfen, dass sie ihren Pass oder andere Dokumente beschaffen, die ihre
Identität beweisen. Denn ohne Papiere können sie nicht abgeschoben werden.
Und eine Duldung bedeutet lediglich die vorübergehende Aussetzung der
Abschiebung.
„Weil sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sind, hat das
Amtsgericht Göttingen die Durchsuchungsbeschlüsse ausgestellt“, sagt ein
Sprecher der Stadt Göttingen über die Pakistaner.
„Das Ziel ist klar: Sie wollen Angst und Druck aufbauen“, schreiben die
Aktivist*innen des Göttinger Bündnisses über die Behörde. Schon zuvor seien
Geflüchteten, wenn sie nicht mitgewirkt hätten, nur noch
Drei-Tages-Duldungen und Sanktionen ausgesprochen worden. „Damit drängen
sie die Menschen in Armut, Perspektivlosigkeit, Illegalisierung und machen
sie quasi handlungsunfähig.“
## Manche schmeißen ihre Pässe weg
In Deutschland haben zwischen Anfang Januar und Ende Juli 2018 insgesamt
50.932 Menschen einen Asylantrag gestellt. 29.550 davon hatten keine
Papiere. Das sind 58 Prozent. Die Zahlen stammen aus einer Antwort der
Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken.
Auffällig ist, dass Menschen aus Ländern wie Somalia, Nigeria oder Algerien
zu mehr als 95 Prozent keinen Pass hatten und dieser Anteil bei Menschen
aus Syrien, deren Asylanträge häufiger anerkannt werden, mit knapp über 24
Prozent deutlich geringer lag.
Dass Menschen keinen Pass mehr haben, hat ganz unterschiedliche Gründe.
Manche schmeißen ihre Papiere freiwillig bei der Überfahrt nach Europa über
Bord, andere werden beklaut oder verlieren sie auf der Flucht. Einige
hatten nie Papiere. „Es ist auch glaubwürdig, wenn Geflüchtete berichten,
dass Schlepper die Pässe eingesammelt haben“, sagt Kai Weber vom
niedersächsischen Flüchtlingsrat.
Während das Asylverfahren läuft, ist das noch kein Problem. Dann können die
Betroffenen nicht gezwungen werden, sich an die Behörden ihres möglichen
Verfolgerstaates zu wenden, um einen Pass zu besorgen. Doch wenn der Antrag
abgelehnt wurde, liegen die Karten anders. Dann besteht in Deutschland
besagte Mitwirkungspflicht.
Und wenn die Geflüchteten nicht helfen, dürfen die Behörden von dem
Betroffenen „alle Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität
und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können“ verlangen. Das kann zum
Beispiel das Handy sein. Wer seinen Pass nicht besorgt, dem drohen
Sanktionen. Es können finanzielle Leistungen gestrichen und Essen und
Körperpflegeprodukte nur noch als Sachleistungen ausgegeben werden.
Geduldete brauchen auch eine Arbeitserlaubnis. Wer nicht mithilft, einen
Pass zu besorgen, der bekommt sie meist nicht.
## Mit Pass droht die Abschiebung
Das bringt die Betroffenen in ein Dilemma: ohne Pass keine
Arbeitserlaubnis, Sachleistungen und damit kein normales Leben. Mit Pass
droht jedoch die Abschiebung.
Auf Seite 43 berichten wir über einen jungen Ägypter aus Hamburg, der es
geschafft hat, auf eigenen Beinen zu stehen. Eine eigene Wohnung und einen
Arbeitsplatz hatte er gefunden – und wieder verloren. Dabei hatte er sich
um einen Pass bemüht. Aber die ägyptischen Behörden arbeiten langsam und
die Hamburger erteilen ihm solange keine Arbeitserlaubnis. Der Job ist weg.
Pech gehabt.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will die Situation noch weiter
verschärfen. In dieser Woche hat er [1][einen Gesetzesentwurf] mit dem
vermeintlich harmlosen Titel „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ in die
Ressortabstimmung gegeben. „Ausreisepflichtige, denen die fehlende
Durchsetzung ihrer Ausreisepflicht zuzurechnen ist, etwa weil sie ihre
Identität verschleiern, sind hinsichtlich ihres Status von denjenigen, die
unverschuldet nicht ausreisen können, zu unterscheiden und stärker zu
sanktionieren“, [2][heißt es in dem Entwurf], der im Netz kursiert.
Sie sollen künftig keine Duldung mehr bekommen können, sondern nur eine
Ausreiseaufforderung. Und Geflüchtete, die nicht daran mitwirken, an ihre
Papiere zu kommen, sollen sogar in Haft genommen werden dürfen. Die Haft
diene dazu, die Abschiebung zu ermöglichen und „Druck auf den Ausländer
auszuüben, mit dem Ziel, seine Kooperationsbereitschaft zu erhöhen“, heißt
es in dem Entwurf.
Zunächst müsste jedoch die SPD zustimmen. Und der Protest von
Aktivist*innen wie denen vom Göttinger Bündnis gegen Abschiebungen ist der
Großen Koalition in Berlin gewiss.
Mehr über die Probleme bei der Passbeschaffung und der Mitwirkungspflicht
von Geflüchteten lesen Sie im aktuellen Wochenendschwerpunkt der taz.nord
oder am [3][E-Kiosk. ]
15 Feb 2019
## LINKS
[1] /Seehofer-will-Abschiebung-erleichtern/!5570372
[2] https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2019/02/GE-Zweites-Gesetz-zur-bes…
[3] /!114771/
## AUTOREN
Andrea Maestro
## TAGS
Pass
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Horst Seehofer
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