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# taz.de -- Migrationsbeauftragte zu Fluchtkindern: „Mit unklarer Identität …
> Wenn Geflüchtete nicht nachweisen können, wer sie sind, erhalten ihre
> Kinder teils keine Geburtsurkunde. Woran es liegt, erklärt Katarina
> Niewiedzial.
Bild: Schwerer Start: Wessen Identität ungeklärt ist, vererbt diesen Status m…
taz: Frau Niewiedzial, mit Ausstellen der Geburtsurkunde wird es richtig
amtlich: Ein Mensch wurde geboren. Laut UN-Kinderrechtskonvention hat jedes
Kind das Recht darauf, nach der Geburt registriert zu werden. Das klingt
doch ziemlich klar geregelt, oder?
Katarina Niewiedzial: Das sollte man denken. Leider hören wir aus vielen
unserer Berliner Beratungsstellen, dass Menschen frustriert sind, weil sie
für ihr Kind [1][eben doch keine Geburtsurkunde bekommen]. Das passiert,
wenn die Identität oder der Personenstand eines Elternteils nicht
vollständig nachgewiesen ist – in den meisten Fällen sind das
[2][Geflüchtete]. Damit ist dann auch die Identität des Kindes nicht
vollständig geklärt. Und das bringt ganz konkrete Nachteile für dieses Kind
mit sich.
Deutschland hat [3][die Kinderrechtskonvention] ratifiziert. Verstößt es
also dagegen?
Nein, auf rechtlicher Ebene nicht. Das Kind bekommt statt einer
Geburtsurkunde einen Auszug aus dem Geburtenregister, meist mit einem
einschränkenden Zusatz. Dieses Dokument ist der Geburtsurkunde formal
gleichgestellt. Ein Problem ist, dass viele Menschen in den entsprechenden
Institutionen das nicht wissen. Wir hören zum Beispiel, dass Kitas den
Registerauszug nicht als ausreichend akzeptieren oder dass Eltern erst mal
lange und viel erklären müssen, wenn sie damit Eltern- oder Kindergeld
beantragen wollen. Dabei haben sie natürlich ein Anrecht darauf. Und
wirklich problematisch wird es für die Kinder, wenn sie älter werden.
Warum?
Mit einer Geburtsurkunde kann man seine Identität nachweisen. Deswegen sind
die Ansprüche an ihre Ausstellung auch so hoch. Man kann zum Beispiel nur
heiraten oder sich einbürgern lassen, wenn zweifelsfrei klar ist, wer man
ist. Wenn ein Kind nun aber keine Geburtsurkunde hat, dann kann es sich
unter Umständen später eben nicht einbürgern lassen und auch keine Ehe
schließen. Diese Kinder können ihren eigenen Kindern keine eindeutige
Identität geben, sodass diese wiederum mit ungeklärter Identität ins Leben
starten. Das heißt, man trägt diesen prekären Status der Eltern ganz lange
mit sich. Wir machen Kinder für etwas verantwortlich, für das sie gar
nichts können. Und diese Benachteiligung ist in der Tat schwierig im Sinne
der Kinderrechtskonvention.
Das Kind hat nicht nur ein Recht auf Registrierung, sondern auch darauf,
dass dies „unverzüglich“ nach der Geburt geschieht. Klappt denn wenigstens
das?
Auch da sehen wir Probleme. Das erste Ziel ist ja immer eine richtige,
vollständige Geburtsurkunde. Standesbeamte können aber nur beurkunden,
wovon sie überzeugt sind. Eine einmal ausgestellte Geburtsurkunde oder
einen Registerauszug wieder zu ändern, ist noch langwieriger als die
Ausstellung selbst, da ein Gerichtsbeschluss erforderlich ist. Das heißt,
oft stellt das Standesamt die Beurkundung zurück und verlangt von den
Eltern erst einmal, die notwendigen Dokumente aus dem Herkunftsland
herbeizuschaffen. Das dauert aber oft lange oder ist unmöglich, zum
Beispiel, weil beim Betreten der Botschaft des Herkunftslandes Verfolgung
droht oder eine Reise ins Herkunftsland ausgeschlossen ist. Wenn das
Herkunftsland ein unsicheres Urkundswesen hat, werden die Urkunden von dort
angezweifelt und sie müssen von Vertrauensanwälten der deutschen Botschaft
für viel Geld überprüft werden. Nicht selten landet das Ganze vor Gericht.
Wir kennen Fälle, bei denen hat das Gerichtsverfahren zwei Jahre gedauert.
Und in dieser ganzen Zeit hat das Kind keine vollständigen Papiere.
Mit vollständigen Papieren gibt es eine Geburtsurkunde, ohne nur den
Registerauszug. Das klingt doch eigentlich recht simpel.
Das ist es aber nicht. Es passiert, dass jemand bei der Ausländerbehörde
einen Aufenthaltstitel bekommt, weil der Zuständige dort einen anderen
Identitätsnachweis für die Erteilung des Aufenthaltstitels akzeptiert –
dieselbe Person aber beim Standesamt keine Geburtsurkunde für ihr Kind
bekommt.
Wie kann das sein?
Die Standesbeamten sind nicht an das Ergebnis der Identitätsprüfung einer
anderen Behörde wie der Ausländerbehörde oder dem Bamf gebunden. Sie sind
nicht mal an das Prüfergebnis anderer Standesbeamten gebunden. Das kann
sogar zu unterschiedlichen Entscheidungen in ein und demselben Standesamt
in Bezug auf ein und dieselbe Familie führen.
Wie muss ich mir das vorstellen?
Wir kennen einen aktuellen Fall, in dem ein Mann aus Tschetschenien hier
nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt ist und einen Blauen Pass
hat, einen Reiseausweis für Geflüchtete. Er ist verheiratet und hat mehrere
Kinder. Die ersten beiden haben ohne Probleme eine Geburtsurkunde bekommen,
das dritte sogar die deutsche Staatsbürgerschaft, weil die Eltern schon
lange genug in Deutschland waren. Das vierte Kind hat aber keine
Geburtsurkunde bekommen, sondern nur die Ersatzbescheinigung – weil dem
Standesbeamten der Blaue Pass nicht gereicht hat. Er wollte die
Geburtsurkunde des Vaters, die dieser nicht beschaffen konnte.
Das ist doch absurd.
Ja. Das eine Kind bekommt bei der Geburt automatisch die deutsche
Staatsbürgerschaft, sein jüngeres Geschwisterkind aber erhält keine
Geburtsurkunde und dadurch auch die deutsche Staatsangehörigkeit, die es
qua Geburt erworben hat, nicht zugesprochen. Gleiche Dokumente müssen aber
doch zum gleichen Ergebnis führen.
Wie viele Menschen in Deutschland sind betroffen?
Das ist leider völlig unklar. Wir wissen, dass es bundesweit immer wieder
Probleme gibt – aber die Fälle werden nicht systematisch erfasst. Deswegen
wäre meine Forderung eine Änderung des Personenstandsgesetzes: Die
Standesämter müssten verpflichtet werden, jede unvollständige Registrierung
zu listen. Nur so können wir überhaupt einen Überblick bekommen und dann
entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Wäre das Problem nicht ganz einfach zu lösen: Geburtsurkunden für alle?
Ich finde schon richtig, dass wir unsere hohen Standards im Urkundenwesen
beibehalten. Wichtig wäre aber zum einen eine Härtefalllösung: Hier
geborene Kinder sollten spätestens, wenn sie ein gewisses Alter erreichen,
eingebürgert werden, damit sie auch mit unvollständiger Geburtsurkunde eine
vollständige Identität erhalten. Und wir müssen das Problem thematisieren,
gerade auch bei denen, die damit im Alltag zu tun haben: in den
Beratungsstellen, aber natürlich auch in den Standesämtern und anderen
Verwaltungen, die von den Betroffenen die Geburtsurkunde verlangen. Wir
haben dafür in Berlin eine umfangreiche Handreichung erarbeitet, die ich
auch unter den Integrationsbeauftragten der anderen Bundesländer bewerben
werde.
Was steht in der Handreichung?
Es geht darum, die komplexe Rechtslage klarzumachen, Verständnis für die
Herangehensweise der Standesämter zu erzeugen, aber auch, den
Standesbeamten ins Gewissen zu reden: Sie haben es hier mit sehr komplexen
familiären Situationen zu tun, und sie haben Spielräume bei der Würdigung
der Unterlagen. Wir wollen sie ermuntern, wohlwollend zu entscheiden und im
Zweifel mit den Familien gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Wenn die
Geburtsurkunde der Eltern oder die Scheidungsurkunde zum Nachweis des
Personenstandes nicht zu beschaffen ist, welches Dokument könnte man
stattdessen vorweisen? Schulzeugnisse der Eltern, Taufbescheinigungen, oder
Fotos von der Scheidung der Mutter im Herkunftsland? Zeugenaussagen,
vielleicht dazu noch eine eidesstattliche Versicherung? Rechtlich ist
vieles möglich. Im Sinne des Kindeswohls sollte das Recht flexibler
angewandt werden, mit dem klaren Ziel, über eine Gesamtwürdigung eine
Geburtsurkunde auszustellen.
23 May 2023
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## AUTOREN
Dinah Riese
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