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# taz.de -- Debatte Autoritäre Politik: Starker Mann gesucht
> Der überwunden geglaubte autoritäre Charakter kehrt zurück. Liberale
> Gesellschaften werden sich unangenehme Fragen anhören müssen.
Bild: Der Schauspieler Heinz Schubert als nörgeliger Alfred Tetzlaff in der AR…
Wir haben es im vergangenen Jahr einmal wieder schwarz auf weiß gekriegt:
In Europa wächst der Wunsch [1][nach autoritären Regierungsformen]. Nach
einer Studie der Universität Bielefeld im Auftrag der SPD-nahen
Friedrich-Ebert-Stiftung ist etwa jeder dritte Deutsche der Ansicht, dass
ein „starker Mann“ an der Spitze gebraucht werde, der sich nicht um
Parlament oder Wahlen schert. Selbst in traditionellen Demokratien wie
Großbritannien und Frankreich sind mehr als 40 Prozent dieser Ansicht. In
Ländern wie Portugal oder Polen liegt dieser Anteil sogar bei mehr als 60
Prozent.
Es darf bezweifelt werden, dass der jeweilige Rest der Befragten von
unerschütterlichem Glauben an die repräsentative Demokratie erfüllt ist.
Eine Krise der demokratischen Legitimationen und der liberalen Gestaltung
gesellschaftlicher Praxis wird seit geraumer Zeit mehr erahnt als
verstanden. Es ist wohl nicht nur die „abgehobene“ Elite, der allfällige
Opportunismus und der strukturelle Mangel an Charisma und Sympathie, was
allzu viel Hoffnung nicht mehr zulässt, diese Demokratie habe stets die
Kraft der Selbstreinigung und Erneuerung.
Was indes noch lange nicht erklärt, warum man, statt neue Formen von
Freiheit und Gerechtigkeit zu fordern, so widerstandslos in die alten,
rechten, illiberalen und unterdrückenden Regierungs- und
Repräsentationsformen zurückdrängt. So als wäre es „natürlich“, dass
soziale Unsicherheit, Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit postwendend
aus jedem besorgten Bürger einen Rechtsextremen mit
nationalistisch-rassistischer Gesinnung und einer Sehnsucht nach dem
„starken Mann“ machen würde.
Aber diese Denkfigur des „starken Mannes“ schien doch wahrhaft passé, als
politische Herrschaftsform ebenso wie in den mikrosozialen Lebensumständen.
Die letzten der starken Männer waren Witzfiguren [2][wie „Ekel Alfred“] im
Fernsehen, oder furchtbare Diktatoren in weit entfernten Ländern.
## Wir lauschen Nana Mouskouri
Als man dich vor etlichen Jahren im Nana Mouskouri-Konzert erwischt hat,
hast du da nicht auch andächtig dem Lied gelauscht:
Du bist der starke MannDen niemand ändern kannDu glaubst mich gut
versorgtUnd das sei genugNun halt ich nicht mehr stillWeil ich frei atmen
willUnd ich will endlich wieder leben.
Der Wunsch, sich von einem solchen tyrannischen Ekel zu befreien, war
jahrzehntelang auch in der Mitte der Gesellschaft verankert. Jetzt kommt
er, als merkwürdige Mischung aus Phantasma, Farce und postdemokratische
Medieninstallation, zurück. Dass er immer noch Züge der Witzfigur trägt,
scheint seine Anhänger nicht zu beirren.
In den Halbnazi-Ideologien unserer Rechtspopulisten wird offensichtlich
erneut an einer Zusammenführung von „starkem Mann“ aus der Alltags- und der
Politik-Sphäre gewerkelt. Da soll wohl der Kerl sein, der uns zugleich vor
„Flüchtlingsströmen“, vor „Verschwulung“ [3][und vor „Umvolkung“ …
Der wieder Ordnung schafft. Der Entlastung bringt. Der wieder sagt, wo es
langgeht.
## Negativ der demokratischen Zivilgesellschaft
Zweifellos lässt sich die doppelte Sehnsucht nach dem „starken Mann“ als
Projektion von Menschen sehen, [4][die Erich Fromm] einst als „autoritäre
Charaktere“ bezeichnet hatte. Zu den Haupteigenschaften dieses Charakters
zählte er die Pflege von Vorurteilen und Stereotypen, die Sehnsucht nach
Konformität, nach Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, eine besondere Form von
Destruktivität (Faschismus als „erlaubte“ Kriminalität), der Glaube an
absolute Autoritäten, die Lust an extremen Gehorsam bei gleichzeitiger Gier
an Machtausübung „nach unten“, rassistischen Überlegenheitswahn und
narzisstische Kränkung, Angst und Hass gegenüber allem Fremden und
„anderen“.
Der „starke Mann“ ist die Figur, in der all das zusammengeführt wird, von
der sado-masochistischen Lust an Gehorsam und Macht über die Auserwähltheit
(„im Blick des Führers“) bis hin zur Erlaubnis, ja Forderung nach dem
Ausagieren der Destruktion. Die Figur des autoritären Charakters steht seit
dem Beginn der europäischen Aufklärung in der Kritik und wurde bis zu
Adornos bedeutender Darstellung gleichsam als das Negativ der
demokratischen Zivilgesellschaft geführt.
Und dann, in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts, verloren wir ihn
einfach aus den Augen, den autoritären Charakter und seine Projektion des
„starken Manns“. Er wurde nicht mehr gebraucht, er wurde nicht mehr
produziert, er passte nicht mehr ins Bild. Denn was ihn, sagen wir [5][als
Heinrich Manns „Untertan“], einst erzeugte, der starke Staat, der
Militarismus, die schwarze Pädagogik, die strikte Klassentrennung, der
religiöse wie materielle Sexismus, der bürgerliche Maskenzwang – all das
war ja verschwunden, überwunden, zumindest in Arbeit. Was sollte eine
nicht-autoritäre Gesellschaft, eine Gesellschaft, der kaum etwas heilig war
außer der subjektiven Freiheit und die Disziplin durch Kontrolle ersetzt
hatte, noch mit einem autoritären Charakter anfangen?
## Vom Anwachsen der Sehnsucht
Umso erstaunlicher nun dieses massenhafte, toxische, gierige Anwachsen der
Sehnsucht nach dem „starken Mann“, der seinerseits ja nur die Rückkehr des
autoritären Charakters an seinen Platz in Gesellschaft, Staat und Alltag
anordnen kann. Dieser neue autoritäre Charakter, der sich in
rechtspopulistischen Bewegungen, in vernetzten Gruppen der Hasser und
Hetzer, im Kampf gegen die „grünlinksversiffte“ Republik verbindet, wurde
offensichtlich nicht mehr von gesellschaftlichen Institutionen erzeugt,
sondern eher von ihrem Fehlen.
Aber ist er wirklich aus einem Nichts erstanden, aus den Leerstellen der
Krisen, aus den Verlust- und Versagungsängsten des globalen
Finanzkapitalismus?
Vielleicht wird es Zeit für eine neue Theorie des autoritären Charakters
und seiner Projektion vom „starken Mann“. Unsere Kultur und unsere
Gesellschaft werden sich dabei ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen
müssen.
19 Feb 2019
## LINKS
[1] /Rechtspopulismus/!t5008270
[2] /Fernsehautor-Wolfgang-Menge-tot/!5081534
[3] /Voelkisch/!t5020647
[4] /Erich-Fromm/!5195299
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Untertan
## AUTOREN
Georg Seeßlen
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Viktor Orbán
Bürgerliche Mitte
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