# taz.de -- Rechtsextreme bei der Polizei in Hessen: Polizisten, Brüder, Nazis? | |
> Drei hessische Polizisten, gegen die wegen rechtsextremer Verdachtsfälle | |
> ermittelt wird, leben in Kirtorf. Was ist dort los? | |
Bild: Idylle? Kirtorf in Mittelhessen, wo früher Nazirock im ungebauten Schwei… | |
KIRTORF/ROMROD taz | Der Polizist reagiert harsch, als wir an seiner | |
Haustür klingeln. „Verschwinden Sie!“, ruft er und steigt in sein Auto. | |
Kurz darauf taucht er wieder auf, zusammen mit seinem älteren Bruder, | |
ebenfalls Polizist. Der Ältere stellt sich auf die Straße und redet sich in | |
Rage. „Ich werde jetzt mit Leuten in einen Topf geworfen, die meine Gegner | |
sind.“ Mit Nazis hätten sie nichts zu schaffen, sagt er. Wieder und wieder. | |
Die Vorwürfe an den 44-jährigen Polizisten und seinen 35-jährigen Bruder | |
wiegen schwer. Es geht um den „Verdacht einer rechtsextremistischen | |
Gesinnung mit Reichsbürgerbezug“ – ermittelt wird unter anderem wegen | |
möglicher Verstöße gegen das Waffengesetz und Volksverhetzung. Die beiden | |
Polizisten sind vorerst vom Dienst suspendiert. Sie gehören zu einem | |
Dutzend hessischer Polizist*innen, denen momentan in zwei verschiedenen | |
Fällen Rechtsextremismus vorgeworfen wird. | |
Der Fall „Chatgruppe“ hatte im Dezember 2018 bundesweit für Aufregung | |
gesorgt: Mehrere Polizeibeamte des 1. Reviers in Frankfurt schicken sich in | |
einer WhatsApp-Gruppe „rechtsextremistisches Gedankengut“. Vom | |
Dienstcomputer eines Gruppenmitglieds werden im Polizeisystem die | |
gesperrten Meldedaten einer Anwältin abgerufen, die später ein Drohfax | |
bekommt, [1][unterschrieben mit „Gruss NSU 2.0“]. | |
Gegen sieben Personen wird ermittelt, alle arbeiten bei der Polizei. Ende | |
Oktober gibt es mehrere Hausdurchsuchungen – unter anderem in Kirtorf, | |
jenem Städtchen im hessischen Vogelsbergkreis mit etwas mehr als 3.000 | |
Einwohner*innen, das aus sieben Dörfern besteht und durch das die Deutsche | |
Märchenstraße führt. In der Gemeinde also, in der auch die Polizistenbrüder | |
wohnen. | |
Sie beide sollen durch rechtsextreme Äußerungen auf einem Dorffest | |
aufgefallen sein, der Ältere außerdem wegen eines ungewöhnlichen Tattoos. | |
So jedenfalls schildert es ein Mitarbeiter des Ordnungsamts einer | |
benachbarten Gemeinde, der privat auf der Kirmes war, am folgenden Tag der | |
Polizei. Er und der 44-Jährige kennen sich offenbar von der Arbeit. Was | |
genau die Polizisten gesagt oder getan haben sollen, kann oder will niemand | |
sagen, auch nicht der Leiter des Ordnungsamtes. | |
Der Fall „Kirmes“ – in dem gegen insgesamt fünf Personen ermittelt wird … | |
und der Fall „Chat“ haben nach aktuellem Stand nichts miteinander zu tun, | |
hat Hessens Innenminister Peter Beuth betont. Es gebe keinerlei Hinweise | |
auf ein „rechtes Netzwerk“ in der hessischen Polizei. Der CDU-Politiker | |
versprach: „Wir werden jedem auch noch so geringen Verdachtsmoment | |
nachgehen.“ Beim Landeskriminalamt wurde dafür eine „Besondere | |
Aufbauorganisation“ mit 50 Mitgliedern eingerichtet. | |
Im Fall „Kirmes“ sind die Vorwürfe, die den Brüdern gemacht werden, | |
disziplinarrechtlich so schwerwiegend, dass es auch hier für eine | |
Hausdurchsuchung reicht: Am 16. Dezember parken mehrere Autos vor ihren | |
Häusern. Sie habe erst an eine Familienfeier gedacht, wird sich später eine | |
Nachbarin des Jüngeren erinnern – deswegen die vielen Autos. Es sind aber | |
Zivilfahrzeuge der Polizei. | |
Den älteren Bruder fangen die Ermittler ab, als er mit dem Auto zum Dienst | |
loswill. In der ausgebauten Scheune, die er vor einiger Zeit bezogen hat, | |
stoßen sie auf ein „museal eingerichtetes Zimmer mit diversen | |
NS-Devotionalien“, wie es heißen wird, mit „historischen Wehrmachts- und | |
SS-Uniformen, Fahnen, Plakaten, Orden und Abzeichen“. Auch | |
erlaubnispflichtige Waffen und Munition werden gefunden. Die Ermittler | |
versiegeln das Zimmer und nehmen das Handy des Beschuldigten mit. | |
## Verstörende Bilder vom August 2004 | |
Am Donnerstag letzter Woche ist die Polizei wieder vor dem Haus des älteren | |
Bruders, diesmal kann die Ermittler niemand übersehen. Ein Polizei-Lkw mit | |
Anhänger, mehrere Kleinbusse und Pkws, so berichten Augenzeugen. | |
Sie haben Sprengstoffspürhunde mitgebracht, die nicht nur das Haus, sondern | |
auch ein Waldstück nach Waffen und Munition durchsuchen. Die Ermittler | |
räumen das Zimmer aus, Kiste um Kiste tragen sie nach draußen. | |
Auch ist es nicht das erste Mal, dass Kirtorf wegen rechtsextremer Umtriebe | |
Schlagzeilen macht. Im August 2004 werden verstörende Aufnahmen im | |
Fernsehen gezeigt: Hunderte Neonazis, die in einem umgebauten Schweinestall | |
feiern, zu Rechtsrock-Liedern, „Lasst die Messer flutschen in den | |
Judenleib“. | |
Aus ganz Deutschland kamen die Gäste – zu regelmäßigen Partys, die oft als | |
private Geburtstagspartys deklariert waren. Wie es der Zufall will, hat | |
einer der Anführer der früher sehr aktiven lokalen Kameradschaft | |
„Berserker“, Glenn Engelbrecht, am 20. April Geburtstag, demselben Tag wie | |
Adolf Hitler. | |
## Neonazis in Kirtorf: Gibt es da eine Kontinuität? | |
Kontinuität, na ja, sagt der Bürgermeister. Ulrich Künz von der CDU ist | |
seit 42 Jahren im Amt, in ein paar Wochen geht er in Pension. „Wir waren | |
froh, dass endlich wieder Ruhe eingekehrt war.“ Frühmorgens sitzt er in | |
seinem Amtszimmer und erzählt vom Bündnis „Kirtorf ist bunt“, das damals | |
gegründet wurde, als die Polizeipräsenz im Ort immer weiter zunahm. Künz | |
spricht von der Verfassung, die natürlich gelte, und dem Rechtsstaat, | |
dessen Regeln einzuhalten seien. | |
Aber die Aufregung jetzt, sagt er, sei einfach übertrieben. Das Ganze sei | |
ja nur wegen „dieser Kirmessache“ ins Rollen gekommen. „Da sitzt das | |
Mündchen ein bisschen locker, was glauben Sie, wie viele Gespräche dieser | |
Art es in der Welt gibt?“ Das könne man doch demokratisch ausdiskutieren. | |
Da brauche es doch nicht gleich eine Hausdurchsuchung. | |
Andreas Fey sieht das anders. Der SPD-Politiker wird nicht nur Künz im Amt | |
des Bürgermeisters beerben, er ist selbst Bundespolizist und Sprecher des | |
Aktionsbündnisses. „Es ist wichtig, dass da jetzt akribisch ermittelt | |
wird“, sagt er. „Und wenn sich die Vorwürfe bestätigen, muss es natürlich | |
Konsequenzen geben.“ | |
Künz sagt: „Ich kenne die beiden persönlich sehr gut. Die Buben sind voll | |
integriert, sie spielen Fußball, sie haben sich, was Kameradschaft und | |
Freundschaft angeht, immer von der besten Seite gezeigt.“ Der Jüngere war | |
vor ein paar Jahren gemeinsam mit dem Sohn des Bürgermeisters im Vorstand | |
der örtlichen Jungen Union aktiv. | |
Und Glenn Engelbrecht? | |
Der sei auch gut integriert, er habe jetzt ja Kinder. | |
Auf einem Familienfoto, das Engelbrecht mit seiner Frau und seinen vier | |
Kindern auf Facebook zeigt, trägt er einen Thorshammer um den Hals. Auch | |
seinen neuen VW-Bus präsentiert er dort, das Kennzeichen endet auf „NF 88“, | |
„NF“ ist die Abkürzung für „Nationalistische Front“, eine 1992 verbot… | |
Neonazi-Organisation, „88“ steht in der Neonazi-Szene für „Heil Hitler�… | |
Ein Foto auf einem Antifa-Rechercheblog zeigt ihn 2017 als Besucher von | |
„Rock gegen Überfremdung“, 6.000 Menschen kamen damals zum Neonazikonzert | |
ins thüringische Themar. | |
## Sind auch die beiden Polizisten Teil dieser Szene? | |
Glenn Engelbrecht, der in einer Eisengießerei arbeitet, habe er seit Jahren | |
nicht gesehen, sagt der 44-jährige Polizist. Ja, sie seien zusammen zur | |
Grundschule gegangen, gemeinsam konfirmiert worden. Aber heute? „Ich bin | |
mit dem nicht mal bei Facebook befreundet“, behauptet er – was nicht | |
stimmt: Nicht nur er, auch sein jüngerer Bruder sind in dem sozialen | |
Netzwerk mit dem ehemaligen „Berserker“ Engelbrecht verbunden. Zudem finden | |
sich unter den Facebook-Freunden der Polizisten Accounts, die ganz offen | |
eine extrem rechte Gesinnung zur Schau stellen. | |
Das Titelbild eines Profils etwa zeigt diverse unter Neonazis beliebte | |
Runen und den Schriftzug „Bin ich zu braun, bist du zu bunt“. Ein anderer | |
Facebook-Freund postet Bilder der Neonazi-Band Kategorie C, die bereits in | |
Kirtorf aufgetreten ist. Dem jüngeren Bruder gefällt auf Facebook die Band | |
Extrem Unangenehm – deren Mitglieder teilweise der Skinheadband Gegenschlag | |
angehörten, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Manager der Band | |
damals: Glenn Engelbrecht. | |
## Er sei eben ein leidenschaftlicher Sammler | |
Neben dem Haus seines Bruders zählt der 44-jährige Polizist eine Reihe von | |
Gründen auf, warum er kein Nazi sein könne. Seine Kinder etwa hätten | |
ausländische Namen. Er zeigt die Straße hinunter: „Wenn ich all meine | |
Freunde mit Migrationshintergrund in einer Reihe aufstellen würde, würde | |
die bis dahinten reichen!“ | |
Dann erklärt er das mit dem Zimmer. Er sei eben ein leidenschaftlicher | |
Sammler, habe mit neun Jahren angefangen, nur für sich. „Ich hab kein | |
Interesse an Waffen“, sagt er, „sondern an der Geschichte dahinter.“ Stü… | |
aus der NS-Zeit seien dabei nur ein kleiner Teil. „Und 80 Prozent von den | |
Sachen, wo ein Hakenkreuz drauf ist, hab ich noch von meiner Familie.“ | |
Für alle seine 39 Waffen habe er übrigens eine Genehmigung. „Mein einziger | |
Fehler war, dass ich da Munition nicht aussortiert habe, zu der ich keine | |
eingetragene Waffe habe.“ | |
Und das Tattoo? Bestehe aus einem Totenkopf und drei Helmen, zwei davon | |
Wehrmachtshelme – einer ein sowjetischer. „Ich habe damit die Geschichte | |
meiner Familie und meine eigene Bundeswehrzeit verarbeitet.“ | |
Ein Grund, warum er nun im Fokus der Ermittlungen steht, ist dem | |
Beschuldigten selbst zufolge ein Bild, das er in einer WhatsApp-Gruppe | |
verschickt hat. Am 31. Oktober, Halloween. Darauf sei eine „NS-Größe“ zu | |
sehen, darunter der Spruch „Hallo Wien“. Sharepics wie dieses findet man | |
im Netz – mit Adolf Hitler vor einer Menschenmenge. „Wir haben einen harten | |
Job“, sagt der Polizist. „In Chatgruppen lässt man auch mal Frust ab.“ M… | |
der Frankfurter Chatgruppe aber, betont er, hätten er und sein Bruder „nix, | |
aber auch gar nix zu tun“. | |
## „Sind Sie von der Presse?“ | |
Zu Detailfragen wollen sich die Behörden aus ermittlungstaktischen Gründen | |
nicht äußern. Bei der Auswertung des Smartphones des 44-jährigen Polizisten | |
sind sie jedoch auf „teilweise mit Hakenkreuzen versehene verbotene | |
Kennzeichen“ gestoßen – sowie auf drei weitere verdächtige Polizisten. Die | |
Wohnung und der Arbeitsplatz des einen wurde vergangene Woche ebenfalls | |
durchsucht. | |
Dieser Polizist soll dem älteren der Kirtorfer Polizistenbrüder – mit dem | |
er eng befreundet ist – „Nachrichten mit mutmaßlich volksverhetzenden | |
Inhalten“ geschickt haben. Er wohnt in der Gemeinde Romrod, rund zehn | |
Autominuten von Kirtorf entfernt. | |
Nach taz-Recherchen wird zudem gegen ihn ermittelt, weil er vor einigen | |
Wochen auf der Straße in einen Streit verwickelt gewesen sein soll. Der | |
Kontrahent soll Migrationshintergrund haben, heißt es in Polizeikreisen. Ob | |
das hessische LKA auch diesen Fall übernommen hat, konnte ein Sprecher am | |
Freitag nicht sagen. | |
Der beschuldigte Polizist aus Romrod will sich uns gegenüber nicht äußern, | |
weder zum Chat mit seinem Kollegen noch zum Streit. Nachdem er die Haustür | |
per Summer geöffnet hat, taucht er vor seiner Wohnungstür auf und fragt | |
durchs Treppenhaus: „Sind Sie von der Presse?“ Dann fordert er uns auf, | |
wieder zu gehen – „aber sofort. Ich informiere das LKA.“ | |
25 Jan 2019 | |
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[1] /Neues-Drohfax-gegen-NSU-Opfer-Anwaeltin/!5563080 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
Dinah Riese | |
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