| # taz.de -- Organisierte Kriminalität: „Diese Leute bellen nicht“ | |
| > Die Politik geht das Problem der „kriminellen Clans“ nicht an – sie | |
| > huldigt der Ideologie des Multikulturalismus, sagt Migrationsforscher | |
| > Ralph Gadbhan. | |
| Bild: Handwerker übermalen das Wandbild von Nidal R. am Tempelhofer Feld, der … | |
| taz: Herr Ghadban, am Dienstag wurde der Clanchef Arafat Abou-Chaker | |
| verhaftet wegen der geplanten Entführung von Bushidos Kindern. Ist das ein | |
| Erfolg im Kampf gegen Clans? | |
| Ralph Ghadban: Endlich hat der Staat gehandelt. Wegen der Laxheit der | |
| Justiz und der Untätigkeit der Politik konnte diese winzige Familie die | |
| Stadt jahrelang terrorisieren. Die Abou-Chaker sind kein Clan, möchten aber | |
| einer werden. Man hätte sie von Anfang an stoppen können, aber es ist immer | |
| noch möglich. Anders sieht es mit den anderen großen Clans aus. | |
| Das Thema „Clankriminalität“ ist nach dem Mord an Nidal R. im vorigen Jahr | |
| sowie den Beschlagnahmungen beim Remmo-Clan sehr präsent. Manchmal klingt | |
| es so, als hätten die Clans ganz Berlin im Griff. Ist das übertrieben? | |
| Ralph Gadban: Nein. In meiner Wohnumgebung haben in den letzten Jahren vier | |
| Shisha-Bars geöffnet, mit einer Klientel, die wir vorher nie gesehen haben. | |
| Sie versuchen jetzt, in den besseren Bezirken Fuß zu fassen. | |
| Für Sie ist Shisha-Bar gleich Clankriminalität? | |
| Ja! Diese Bars dienen hauptsächlich der Geldwäsche. Viele Clans hatten ihr | |
| erbeutetes Geld im Libanon investiert, aber da herrscht seit Jahren eine | |
| wirtschaftliche Krise. Deshalb suchen sie hier nach | |
| Investitionsmöglichkeiten – in Restaurants, Bäckereien, Immobilien und | |
| Shisha-Bars. | |
| In Ihrem neuen Buch zeichnen Sie ein düsteres Bild jener Gruppe, die oft | |
| als „libanesische Kurden“ bezeichnet wird. | |
| Die Abstammung der M’hallami ist unbekannt. Deshalb werden sie nach ihrem | |
| arabischen Dialekt genannt, der in etwa 40 Dörfern in der Gegend zwischen | |
| Mardin und Medyat in der Südosttürkei gesprochen wird. Sie sind sich über | |
| ihre eigene Bezeichnung nicht einig. In Deutschland scheinen sie eine | |
| Mischlösung gefunden zu haben, sie nennen sich libanesische Kurden. Das ist | |
| absurd, weil sie weder Kurden noch Libanesen sind. Eine der Geschichten | |
| über ihre Herkunft scheint mir plausibel zu sein, weil sie von neutralen, | |
| alten Quellen dokumentiert ist. Sie besagt, dass sie vor ihrer Konversion | |
| zum Islam im 17. Jahrhundert christliche Aramäer waren. | |
| Aber wieso „Kurden“? | |
| Die kurdische Nationalbewegung im Libanon wollte diese Einwanderergruppe | |
| für sich gewinnen, sozusagen kurdifizieren, um der damaligen Mandatsmacht | |
| Frankreich zu zeigen, dass sie eine große Gruppe vertreten. Gelungen ist | |
| ihnen das nicht, aber der Name ist geblieben. Als ich 1972 aus dem Libanon | |
| nach Berlin kam, wusste ich praktisch nichts über die M’hallami. Im Libanon | |
| lebten sie in Ghettos, es gab kaum Kontakte mit der übrigen Gesellschaft. | |
| „Arabische Clans“ ist Ihr Buch überschrieben. Erklären Sie uns bitte, was | |
| ein Clan ist. | |
| Das ist eine in sich geschlossene Form der Großfamilie, die historische | |
| Wurzeln im arabischen Siedlungsgebiet hat. Das ganze Gebiet von Marokko bis | |
| Zentralasien ist nur zu einem kleinen Teil landwirtschaftlich nutzbar. | |
| Deshalb gab und gibt es dort bis heute nomadische oder seminomadische | |
| Gruppen. Nomaden sind total aufeinander angewiesen, deshalb ist die | |
| Familiensolidarität bei ihnen viel stärker ausgeprägt als bei sesshaften | |
| Bauern. Im Gegensatz zu allen anderen Familiensystemen weltweit ist die | |
| „arabische Familie“ nach Meinung von Anthropologen endogam, basiert also | |
| auf der Inzucht: Cousins und Cousinen heiraten untereinander. | |
| Die Cousinen-Ehe ist auch bei uns nicht verboten. Und dann: Was hat der | |
| Islam damit zu tun? | |
| Bei allen Muslimen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika ist die | |
| Großfamilie die Grundlage der sozialen Organisation. Die Scharia, das | |
| islamische Recht, verfestigt und reproduziert diese Grundlage mit ihrem | |
| Familien- und Erbrecht. Nur in Südsahara-Afrika und Südostasien hat der | |
| Islam die endogame Familienstruktur nicht durchsetzen können. Die | |
| M’hallamis in Berlin folgen seit Jahrzehnten dem religiösen Verein für | |
| „Wohltätige Zwecke“, genannt al-Maschari, der am Görlitzer Bahnhof die | |
| Omar-Moschee errichtet hat. Wegen seiner Sufi-Ausprägung wird er vom | |
| traditionellen Islam als Sekte betrachtet. | |
| Uns ist bei der Lektüre nicht ganz klar geworden, was genau Ihr | |
| Untersuchungsobjekt ist – die M’hallami-Clans oder allgemein arabische | |
| Clans? Das sind ja keine Synonyme. | |
| Am Beispiel der M’hallami behandle ich das Problem der Integration von | |
| Migranten, die sich nicht als Individuen, sondern als Teil einer | |
| Gemeinschaft, sei es sie die Großfamilie oder die Konfession, betrachten, | |
| in einer modernen individualisierten Gesellschaft. Die M’hallami sind mein | |
| Schwerpunkt, weil die Kriminalität bei ihnen besonders ausgeprägt ist. | |
| Warum ist das so? | |
| Unser ethisches Verständnis ist den Clans fremd. Ihr Wertesystem ist | |
| einfach: Alles außerhalb des Clans ist Feindesland, das es zu erbeuten und | |
| zu kontrollieren gilt. Interessant ist, dass der Clan in den modernen | |
| islamischen Ländern eine Art Schutz vor dem Staat bietet, er will sich in | |
| erster Linie etwas von ihnen holen, staatliche Wohlfahrt gibt es nicht. | |
| Hier sind diese Familien in eine Gesellschaft gekommen, wo der Staat sich | |
| eigentlich um die Bürger kümmert – aber sie grenzt er aus und nutzt die | |
| Gelegenheit nicht, sie zu integrieren: Schon 1978 gab es in Deutschland die | |
| ersten Arbeitsverbote für die Menschen, die vor dem Bürgerkrieg im Libanon | |
| geflohen waren. | |
| War das mit ursächlich für die Entwicklung krimineller Strukturen? | |
| Man hat sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt, und dort konnten sie | |
| ihre Clanverhältnisse ungestört reproduzieren. | |
| Hätte die Clanstruktur sonst aufgebrochen werden können? | |
| Ich denke, da hätte es eine Hoffnung gegeben. | |
| Wie viele Clans gibt es mittlerweile in Berlin? | |
| Ich schätze, ein paar Dutzend. Das LKA Berlin hat die Clans bis heute nicht | |
| systematisch erfasst, weil die Politik das verhindert hat. Sie wollte keine | |
| Minderheiten stigmatisieren. Die Polizei redet im Rahmen der organisierten | |
| Kriminalität von arabischstämmigen Kriminellen. | |
| Gut, die Berliner Polizei spricht nicht von Clans, aber sieht sie das | |
| Phänomen tatsächlich gar nicht? | |
| Nach über 40 Jahren schwanken deren interne Einschätzungen zwischen 6 und | |
| über 20 Gruppen. Das ist einfach alles nicht dokumentiert, und das ist ein | |
| ideologisches Problem. Rot-Rot-Grün wetteifert darum, wer der beste | |
| Gutmensch ist, aber wir brauchen … | |
| … harte Männer? | |
| Nein, auch Frauen … | |
| … nur hart müssen sie sein? | |
| Nicht hart, sie müssen die Realität sehen. | |
| Einer, der weiter öffentlich von Clanstrukturen redet, ist der Neuköllner | |
| Bürgermeister Martin Hikel. | |
| Herr Hikel ist relativ neu im Amt, er hat schnell das Problem gesehen und | |
| vertritt grundsätzlich eine Position wie Heinz Buschkowsky. | |
| Den finden Sie vermutlich auch gut. | |
| Er war der Beste, den wir da gehabt haben. | |
| Stört es Sie eigentlich, wenn man Sie im rechten Lager verortet? | |
| Das hat mir noch keiner gesagt. Ich gehöre keiner Partei an, ich bin | |
| Wissenschaftler und engagiere mich für meine Gesellschaft. Im Libanon war | |
| ich ein 68er, in Berlin stand ich in den 80ern der Alternativen Liste nah. | |
| Als sich Multikulti in den 90ern durchgesetzt hat, habe ich am Anfang | |
| mitgemacht. Aber mittlerweile ist mir klar geworden, dass nicht jede | |
| Religion unbedingt zum friedlichen Zusammenleben aller führt – seither | |
| kämpfe ich gegen den Multikulturalismus. | |
| Wollen Sie damit sagen, mit Muslimen kann man nicht friedlich | |
| zusammenleben? | |
| Mit den meisten ist es schon möglich. Allerdings ist das Zusammenleben mit | |
| Islamisten und Salafisten eher schwierig. | |
| Was müsste passieren, um die Ausbreitung der Clankriminalität einzudämmen? | |
| Man muss die Geldquellen austrocknen. Dazu muss die gesetzliche Grundlage | |
| für die Vermögensabschöpfung verbessert werden. Das ist eine EU-Richtlinie, | |
| die vom deutschen Gesetzgeber im Namen der „Unschuldsvermutung“ verwässert | |
| wurde. Deshalb fehlt die Beweislastumkehr. In erster Linie ist | |
| Clankriminalität aber ein Integrationsproblem, das man nicht nur mit | |
| Polizei lösen kann. | |
| Sondern? | |
| Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, alle staatlichen | |
| Institutionen von der Schule über Sozialdienste, Polizei bis zur Justiz | |
| müssen ihre Arbeit koordinieren. Die verstorbene Jugendrichterin Kirsten | |
| Heisig hat mit ihrem „Neuköllner Modell“ den Grundstein gelegt… | |
| … bei dem alle Behörden zusammenarbeiten, sodass jugendliche Straftäter | |
| schnell vor Gericht gebracht werden können … | |
| Dies wurde von Frau Giffey und jetzt Herrn Hikel mit den Sozialdiensten | |
| weiter ausgebaut, und man überlegt, dieses Konzept auf ganz Berlin | |
| auszudehnen. Für die Erhaltung der Clanstruktur spielt zum Beispiel die | |
| Unterdrückung der Frauen eine entscheidende Rolle. Deshalb brauchen wir | |
| endlich ein Aussteigerprogramm. Wenn die Frauen raus wollen, zerfällt | |
| alles. | |
| Wieso? Die Clans können doch einfach neue Frauen aus dem Libanon nachholen. | |
| Wenn einmal die Clansolidarität durchbrochen ist und Alternativen vorhanden | |
| sind, hilft der Brautimport für die Erhaltung der Geschlossenheit der | |
| Gruppe langfristig nicht mehr. | |
| Zum Schluss noch eine andere Frage: Verfolgen Sie diese neuen medialen | |
| Bilder von Clankriminalität? Populäre Serien wie „4 Blocks“… | |
| Ich war einer der Berater. | |
| Dann ist das halbwegs authentisch? | |
| Die gehen von der Realität aus, aber sie müssen eine erfolgreiche Serie | |
| machen, sie müssen sich verkaufen. Deshalb haben sie Sachen erfunden, die | |
| unmöglich sind. Einiges habe ich korrigieren können. | |
| Was denn? | |
| Als ehemaliger Anstaltsbeirat in der JVA-Tegel weiß ich, wie es in den | |
| Gefängnissen läuft. Für die Serie haben sie eine Verschwörung in Moabit | |
| erfunden – zwischen einem Anwalt, einem Insassen und seinem Cousin. Das ist | |
| unvorstellbar! Nur ein näherer Verwandter kann einen Insassen besuchen und | |
| nur in Anwesenheit eines Beamten und nur auf Deutsch oder über einen | |
| vereidigten Dolmetscher mit ihm reden. Naja, die erste Version war noch | |
| schlimmer. Aber richtig unglaubwürdig ist der Chef des Clans, Tony Hamadi. | |
| Warum? | |
| Er hat nur eine Tochter und denkt ständig über seine Zukunft nach. Um ein | |
| echter Clanchef zu werden, muss man aber jede Menge Kinder haben, vor allem | |
| Söhne. Sie haben da so ein Hollywood-Mafia-Ding draus gemacht, damit die | |
| Sache interessant wird. Aber insgesamt ist die Serie schon sehr gut gemacht | |
| muss ich sagen. | |
| Aber spricht aus solchen Serien nicht eine Faszination für die Clan-Welt? | |
| Ja, und die wollten das noch mehr idealisieren. Aber ich habe gesagt, da | |
| mache ich nicht mit – das sind kaltblütige Kriminelle. Man sagt ja, dass | |
| der Hund, der bellt, nicht beißt. Diese Leute bellen nicht. | |
| 17 Jan 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
| Susanne Memarnia | |
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