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# taz.de -- UN-Migrationspakt-Konferenz in Marokko: Absage an Migrationsgegner
> Marrakesch ist mehr als nur eine protokollarische Inszenierung. Die
> Weltgemeinschaft hat die Rechtspopulisten ins Abseits gestellt.
Bild: Protest gegen den UN-Migrationspakt in Berlin
Marrakesch taz | Wenn es jemanden gibt, der [1][die Sprengkraft des
UN-Migrationspakts] zu spüren bekommen hat, dann ist es der belgische
Ministerpräsident Charles Michel. Manche hätten den Pakt genutzt, um „Lügen
zu verbreiten, Ängste zu wecken und Selbstsucht zu fördern“, sagte er am
Montag in Marrakesch. Sein Auftritt war mit Spannung erwartet worden, denn
am vergangenen Wochenende war Michels Vier-Parteien-Regierung [2][an der
Diskussion über den Pakt zerbrochen].
Sonderlich harmonisch ging es in Brüssel wohl ohnehin nicht zu, doch dass
Michel trotzdem nach Marokko kam, wurde ihm hoch angerechnet. Eine
[3][Zustimmung zu dem Pakt] begründete er in Marrakesch unter anderem mit
dem Zweiten Weltkrieg. Nach diesem habe sich die Vorstellung durchgesetzt,
dass „jeder als Mitglied der menschlichen Gemeinschaft Verantwortung und
Rechte“ trägt. Belgien habe deshalb entschieden, „heute auf der richtigen
Seite der Geschichte zu stehen“.
Solche Töne, die gleichzeitig auf den Zweiten Weltkrieg und auf den
heutigen Rechtspopulismus in Europa verwiesen, waren am Montag in
Marrakesch öfter zu hören. Die Konferenz zur Verabschiedung des Pakts fiel
zufällig auf den 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte. „Ein doppeltes Date mit der Geschichte“, sagte dazu der
Gastgeber, Marokkos Außenminister Nasser Bourita. Viele bemühten sich,
Parallelen zwischen den beiden Dokumenten zu ziehen: Der Pakt sei „der
beste Tribut, den wir den Menschenrechten zum 70. zollen können“, sagte die
Präsidentin der UN-Generalversammlung, die Ecuadorianerin María Espinosa
Garcés.
„Der Pakt schafft kein einziges Extra-Recht für Migranten“, sagt Stefan
Rother von der Universität Freiburg, der als Zivilgesellschafts-Delegierter
an der Konferenz teilgenommen hat. Der Migrationspakt bekräftige lediglich,
dass die bestehenden Grundrechte eben auch für MigrantInnen gelten. Alle
internationalen Verträge zu den Grundrechten seien längst auch von den
Staaten ratifiziert worden, die den Pakt nun so wortreich abgelehnt hätten
– ein „Theater“, so Rother.
Doch die ausdrückliche Bekräftigung, dass Grundrechte eben auch für alle
MigrantInnen gelten, ist als politisches Signal derzeit keine
Selbstverständlichkeit. In Marrakesch äußern sich 145 Staatsoberhäupter,
RegierungschefInnen und MinisterInnen zu dem Pakt. Und wie die Erfahrungen
des Zweiten Weltkriegs den Anstoß zur Erklärung der Menschenrechte gaben,
machten viele der RednerInnen die Flüchtlingskrise 2015 als Anstoß für die
Weltgemeinschaft aus, den UN-Flüchtlings- und den UN-Migrationspakt
auszuhandeln.
Eindrücklich war dabei der Auftritt San Marinos. Während Italien unter der
Lega-Regierung des Innenministers Matteo Salvini auf komplette Abschottung
setzt, erinnerte Nicola Renzi, der Außenminister des zwischen Rom und
Venedig gelegenen Zwergstaats, daran, dass sein Land während des Zweiten
Weltkriegs 100.000 Flüchtlinge aufgenommen hatte. „Migration ist prägend
für das Wesen und die Existenz unseres Landes“, sagte Renzi. Seit dem Ende
des 19. Jahrhunderts seien viele BürgerInnen von San Marino auf der Suche
nach einem besseren Leben dort geblieben. Das Land mit seinen begrenzten
Ressourcen sei nicht darauf vorbereitet gewesen. Nur dank internationaler
Zusammenarbeit habe es sich überhaupt entwickeln können. Deshalb habe San
Marino jetzt beschlossen, „seinen Beitrag zu leisten und den Sieg des
Multilateralismus über die Herausforderung der Migration zu feiern“. Dies
sei umso wichtiger, als dass sich im Mittelmeer ein „tragisches Schauspiel
menschlichen Leids abspiele“, schloß Renzi.
Politkitsch? Viele Beiträge gingen in eine ähnliche Richtung:
Beschwörungsformeln für die internationale Kooperation, Grüße an die
Menschenrechte. Natürlich kamen auch Staaten auf die Bühne, bei denen es
reiner Hohn ist, wenn sie von Menschenrechten sprechen – wie etwa
Weißrussland, Turkmenistan oder Sudan. Trotzdem ist Marrakesch weit mehr
als eine leere protokollarische Inszenierung.
Jene, die aus der Flüchtlingskrise ab 2015 politisches Kapital zogen und
Hetze gegen MigrantInnen zum Kern ihrer Politik machten, standen am Montag
buchstäblich im Abseits. Sie waren, wenn auch nur für eine kurze Zeit,
international isoliert. Kurz, Orbán, Salvini, Trump, Australien,
Tschechien, Lettland, Polen, die Slowakei – sie haben Abschottung zur
Staatsräson erhoben. Den Pakt haben sie für ein demonstratives Votum gegen
Migration an sich benutzt und waren nicht nach Marrakesch gekommen. Viele
in Europa fürchten, dass sich ihre Haltung durchsetzen könnte. Die
Konferenz von Marrakesch war eine symbolträchtige Absage an die
Vorstellung, Migration insgesamt könnte gestoppt werden.
## Ein Migrationspakt, unterschiedliche Lesarten
Die Frage ist, was daraus folgt. Denn der Pakt ist so gehalten, dass jede
Regierung, solange sie Migration nicht komplett ablehnt, daraus fast alles
ableiten kann: eine Politik des stärkeren Grenzschutzes ebenso wie eine der
offenen Grenzen. Diese Unterschiede traten, bei aller diplomatischer
Dämpfung, in den Stellungnahmen der EU und der Afrikanischen Union deutlich
hervor.
Dimitris Avramopoulos ist EU-Kommissar für Migration und damit unter
anderem dafür verantwortlich, dass jene, die über Libyen nach Europa
wollen, festgehalten und eingesperrt werden. In Avramopoulos' Lesart ist
diese Politik von dem Pakt gedeckt. Der diene dazu, „starke und belastbare
Partnerschaften mit Herkunfts-, Transit- und Zielländern“ zu fördern, um
„unkontrollierte Migrationsströme zu verhindern und auf ein besseres
Management der globalen Mobilität hinzuarbeiten“, erklärte Avramopoulos in
Marrakesch.
Moussa Faki Mahamat aus dem Tschad ist Vorsitzender der Kommission der
Afrikanischen Union (AU). Migration sei so alt wie die Welt, aber heute zu
einem „emotional belasteten Thema“, gar zu einer „kriminalisierten
Handlung“ geworden. Mahamat erinnerte an die Toten in Mittelmeer und sagte,
Afrika wolle „keine Mauern, sondern Brücken“. Der Pakt würde „nicht alle
Positionen der AU widerspiegeln“. Die UN sollten über die „Doktrin, die
Migration zu reduzieren, hinausgehen“, betonte Mahamat. „Afrika ist nicht
frei von Verantwortung, aber die Probleme sind nicht allein seine.“
Eine Gruppe westafrikanischer Organisationen wurde konkreter. Während des
schon eine Woche zuvor begonnenen Zivilgesellschaftsgipfels in Marrakesch
hatten sie dargelegt, wie ungleich das Recht, sich frei zu bewegen, heute
global verteilt ist. In einem Appell an die Staatschefs auf der
UN-Konferenz wiesen sie darauf hin, dass viele der afrikanischen
Zivilgesellschafts-Delegierten nicht oder nur spät nach Marokko reisen
konnten – weil sie Visa-Probleme hatten.
„Während die UN in ihrer Entwicklungsagenda 2030 fordern, ‚niemanden
zurückzulassen‘, leiden wir Afrikaner weiter unter einer Politik, die uns
daran hindert, uns frei in anderen Teilen der Welt zu bewegen“, heißt es in
einer Erklärung der Gruppen, [4][die das West African Observatory on
Migration verbreitete]. Die zuletzt immer weiter verstärkten
Grenzkontrollen in Wüsten, Meeren und an Flughäfen richteten sich vor allem
gegen Afrikaner. „Wir verurteilen die afrikanischen Staaten, die das Spiel
des Westens gegen die Integration Afrikas im Namen des Kampfes gegen die
illegale Einwanderung weiterhin spielen.“
Lesen Sie hier auch:
Der vollständige [5][Vertragstext des UN-Migrationspakts] – kommentiert von
ExpertInnen für Migration.
Was die [6][Ziele des UN-Migrationspakts und deren Umsetzung] bedeuten
können.
11 Dec 2018
## LINKS
[1] /Migrationspakt-aus-ExpertInnen-Sicht/!5552609
[2] /Streit-um-UN-Migrationspakt/!5557612
[3] /Migrationspakt-und-die-Folgen/!5557624
[4] https://de-de.facebook.com/migrationwatchers/posts/2074194586169279?__xts__…
[5] /Migrationspakt-aus-ExpertInnen-Sicht/!5552609
[6] /Migrationspakt-und-die-Folgen/!5557624
## AUTOREN
Christian Jakob
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