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# taz.de -- Französischer Autor über die Gelbwesten: Bewusstlos reaktionär
> Edouard Louis ist vieles: schwuler Autor, Darling der Literatursalons und
> ein Mann, der über Homophobie hinwegsieht. Etwa bei den „Gelben Westen“.
Bild: Die Gelbwesten sind nicht auf seiner Seite, aber Edouard Louis ist auf ih…
Dass in Frankreich die Bewegung der „gilets jaunes“, der gelben Westen,
eine überwiegend rechtspopulistisch angeheizte ist, kristallisiert sich
immer mehr heraus. Daniel Cohn-Bendit hat seine [1][allerdings
alarmierenden Beobachtungen] zuletzt in der taz so geschildert: Diese
Bewegung reagiert auf krasse Fragen der Ungerechtigkeit, aber sie speist
sich en gros und en detail aus politischen Reservoirs der
rechtspopulistischen bis rechtsextremen Bewegung um Marine Le Len.
Die Pointe scheint, dass es nur scheinbar um die Abwehr von Ökosteuern
geht, um Kritik an der Regierung unter Präsident Emmanuel Macron – sondern
um ein anderes „System“, um die Abschaffung eines multikulturellen
Frankreichs demokratischer Prägung.
Um die sogenannten „Armen“ geht es jedenfalls nicht. Einer der Anführer,
das [2][fand „L’express“ heraus], ist Jean-François Barnaba“, ein Mann…
dem öffentlichen Dienst, der ohne Beschäftigung, aber mit 2.600 Euro Gehalt
im Monat seine Schäfchen weitgehend im Trockenen hat. Andere Geschichten
von den Straßensperren handeln von Menschen, die als schwul erkannt wurden
und deshalb nicht die Sperren passieren durften. Oder von Bürger*innen, die
als maghrebinisch aussehend deklariert und beschimpft wurden.
Wie auf eine politische Delikatesse guckt man auch in der deutschen Szene
der Rechten auf die Revolte in Frankreich. [3][In der „Sezession“] erkennt
der französische Philosoph Alain de Benoist, Vordenker der Neuen Rechten
(nicht nur) in Frankreich, ein weites Feld an politischen
Expansionsmöglichkeiten seiner Bewegung: „Es kann nur dann ein echter
Populismus entstehen, wenn verschiedene soziale Schichten sich als Opfer
kultureller Unsicherheit (Einwanderung, »Islamisierung« usw.) und sozialer
Unsicherheit (Abnahme oder Stagnation der Kaufkraft, strukturelle
Arbeitslosigkeit, Prekarität usw.) betrachten. Erst jene, die sich in
dieser Situation befinden, haben das Gefühl, nichts (mehr) zu verlieren.“
## Linke Schrift mit rechtem Rückenwind
Aber auch die radikale, nicht-sozialdemokratische Linke, die mit ihrem
Kandidaten Jean-Luc Mélenchon verhältnismäßig knapp nur im Rennen um das
Präsidentenamt scheiterte, ist ganz Feuer und Flamme. Und einer ihrer
größten Sänger vom Lied des nur allzu berechtigten Volksaufstands ist der
schwule Buchautor Edouard Louis, Schüler Didier Eribons und Geoffroy de
Lagasnerie, mit dem er kürzlich das prominent lancierte “[4][Manifest für
eine intellektuelle und politische Gegenoffensive]“ verfasste. Es ist ein
links gewirktes Schriftstück – und es wird, nur eben mit dem Rückenwind von
Aktivist*innen rechter Bewegungen zum Leben erweckt: Aufstand um jeden
Preis – jetzt!
Nun [5][hat Louis] auf die Bewegung der „Gelben Westen“ [6][reagiert]. Eben
jender Louis, zu dessen Spezialität es im Hinblick auf seine literarischen
Plots zählt, Opfer von sexueller Gewalt zu werden, um hernach den Täter
moralisch weißzuwaschen, weil er zu den Prekären, den Übersehenen, den
Opfern von Rassismus zählt. So etwa [7][in seinem jüngsten Buch] „Im Herzen
der Gewalt“. Seine obskur begründete Solidarität mit den „Gilets jaunes“
erklärt er unter dem Titel: „Wer sie beleidigt, beleidigt meinen Vater“.
Louis erkennt „leidende Körper“ auf den Fotos von der Bewegung, solche,
„die von der Müdigkeit und der Arbeit, vom Hunger, von der andauernden
Demütigung durch die Herrschenden verwüstet sind“. Und weiter phantasiert
er: „Ich blicke in ausgemergelte Gesichter, sah gebeugte, gebrochene
Menschen, schaute auf erschöpfte Hände.“
Das Publikum, das sonst durch Bilderfluten aus Frankreich versorgt wurde,
musste diese Wahrnehmung aus der Sphäre der Schauermärchen nicht haben.
Edouard Louis sieht vielleicht seine familiäre Geschichte, in der er an
seiner proletarischen Herkunft kein gutes Haar lässt, selbst missachtet als
schwules Kind, aber er schreibt wie in einer unterwerfenden Friedensnotiz
an seine Angehörigen: „Sie ähneln den Körpern meiner Familie und der
Menschen aus dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Von diesen Menschen,
deren Gesundheit von Elend und Armut ruiniert ist, hörte ich immer wieder,
meine ganze Kindheit lang.“
## Er, der Linke, der Revolutionär, der Selbstgewisse
Aber irgendwann im Laufe seines Textes muss Louis auf die durchaus manifest
rassistischen und homophoben Praxen der „Gilets jaunes“ zu sprechen kommen
– und das tut er auch, aber er gibt die Verantwortung an die „Herrschenden�…
weiter, denn die sähen nur diese Misslichkeiten namens Hass auf nichtweiße
Hautfarben und auf „sexual otherness“, um noch besser herrschen zu können.
Auf den Trick muss man erstmal kommen – die gedanklich und
bewegungspolitisch Hässlichen in Schutz zu nehmen, weil sie doch
unvorsichtigerweise im Kampf gegen das liberale und multikulturelle
„System“ eben diesem den Vorwand gegeben haben, sie zu verachten.
Und Louis lässt auch die katholischen und rechten Massenproteste gegen die
Ehe für alle nicht unerwähnt, die übrigens von den gleichen getragen
wurden, die nun das „System“ fundamental beseitigt wissen wollen und die
alle Gespräche ablehnen . Aber er, der Linke, der Revolutionär, der
Selbstgewisse, wirft den Herrschenden vor, den Wütenden, die die Ehe als
heterosexuelles Privilegium bewahrt sehen wollten, medial viele Bühnen
geboten zu haben.
Man wird an diesem Wochenende sehen, was an Revolte so weitergeht:
Erwartbar ist, dass die Banlieues auch weiterhin nicht dabei sind – jene
Menschen, denen Emmanuel Macron kein Manna versprach, aber immerhin die
Verdoppelung von Lehrpersonal in den Schulen. Und ebenso unüberraschend
wäre, wenn das rechts- wie linkspopulistische Profil weiter kenntlich
werden würde. Louis hofft auf das Gute, Wahre und Schöne.
Er schreibt dies so: „‚Ich leide‘ kann man auf ganz Weisen sagen. Eine
soziale Bewegung ist der Moment einer Möglichkeit, dass Leidende etwas
anderes sagen als ‚Ich leide unter der Einwanderung und weil meine
Nachbarin Sozialhilfe erhält.‘ Dass sie sagen: 'Ich leide unter denjenigen,
die regieren. Ich leide am Klassensystem. Ich leide unter Emmanuel Macron
und Edouard Philippe.“
## Dramabewußtes Denken
Tja, so dachten auch viele kommunistische und linkssozialistische
Bewegungsmenschen in der Weimarer Republik: Was der antijüdische Pöbel und
die antisemitischen Kleinbürger sagen, meinen sie nicht wirklich ernst. Sie
haben sich nur in der Wortwahl vergriffen. Und mit dem 30. Januar 1933
hatte es sich mit diesen Theorien der Uneigentlichkeit dann für mehr als
zwölf Jahre. Wer wie Edouard Louis denkt, tut es dramabewusst und stilvoll
pompös. Und sagt in Wahrheit, bewusstlos reaktionär: Ihr schlagt mich und
würdet es wieder tun – aber ich verstehe euch so gut!
7 Dec 2018
## LINKS
[1] /Daniel-Cohn-Bendit-ueber-Gelbwesten/!5557141
[2] https://www.lexpress.fr/actualite/societe/gilets-jaunes-barnaba-un-fonction…
[3] https://sezession.de/59957/gelbe-westen-alain-de-benoist-im-gespraech
[4] https://www.suhrkamp.de/buecher/wie_wir_leben_wollen-_46710.htmlk
[5] https://www.zeit.de/kultur/2018-12/gelbwesten-frankreich-gesellschaft-sozia…
[6] https://www.lesinrocks.com/2018/12/04/actualite/edouard-louis-chaque-person…
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Im_Herzen_der_Gewalt
## AUTOREN
Jan Feddersen
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