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# taz.de -- Feiertage und Familie: Für einen dritten Weihnachtsfeiertag!
> Für alle Menschen mit Groß- und Patchworkfamilie ist Weihnachten der
> totale Stress. Die Lösung: Das Fest muss verlängert werden.
Bild: Wenn alle den Kleenen sehen wollen, wird Weihnachten schnell zur Tour dur…
Wenn Sie in der Zeitung am liebsten das Sudoku oder Kreuzworträtsel lösen,
haben wir eine Weihnachtsknobelei vorbereitet, die Spiel und Spaß für die
ganze Familie verspricht:
Ein Vater hat vier Kinder und fünf Enkel aus zwei Ehen und ist zum dritten
Mal verheiratet. Er möchte gern alle seine Kinder und Enkel an Weihnachten
einladen.
Aber: Die Kinder feiern Heiligabend jeweils mit ihren Müttern. Die Mütter
haben keinen Kontakt, auch nicht zum Vater. Am ersten Weihnachtsfeiertag
hätte Kind 1 Zeit, Kind 3 aber nicht: Seine Schwiegermutter ist extra für
Weihnachten 600 Kilometer durchs Land gefahren und kann nicht direkt nach
Heiligabend wieder rausgeschmissen werden. Am zweiten Weihnachtsfeiertag
könnten Kind 4 und Kind 3, aber Kind 1 und Kind 2 besuchen die
Schwiegermütter.
Können Sie folgen? Es geht noch weiter: Alle vier Großeltern von Enkelkind
3 möchten ihr Enkelkind an Weihnachten sehen. Aber die vier haben
untereinander kaum Kontakt und wohnen weit voneinander entfernt.
Lösungsvorschlag 1: Man teilt Enkelkind 3 in vier gleich große Teile.
Lösungsvorschlag 2: Kind 3, also der Vater von Enkelkind 3, bricht den
Kontakt zur Familie ab und fliegt über Weihnachten mit Enkelkind 3 nach
Thailand. Lösungsvorschlag 3: Man verlängert Weihnachten.
## Patchwork ist ein gordischer Knoten
Meine Familie, Ähnlichkeiten zum oben stehenden Weihnachtsrätsel sind rein
zufällig, hat sich in diesem Jahr entschieden, den dritten Lösungsweg
einzuschlagen. Wir treffen uns jetzt am 27. Dezember bei meinem Vater, am
dritten Weihnachtsfeiertag also. Vorher hat immer mindestens eine Person
keine Zeit.
Das geht, weil wir familienfreundliche Arbeitgeber haben (deutscher Staat,
deutscher Pensionsfonds, deutsche Genossenschaft). Viele Kinder, Enkel und
Großeltern können das nicht. Und hetzen am ersten Weihnachtsfeiertag durch
die Republik, um alle außer sich selbst glücklich zu machen. Das muss
anders werden. Deshalb muss der 27. Dezember ein bundesweiter Feiertag
sein.
Patchwork, also Flickwerk, das klingt oft so romantisch, wie eine bunte,
gehäkelte Decke auf dem Sofa. Und an Weihnachten kuscheln sich alle unter
den Tannenbaum.
In der Realität [1][ist Patchwork aber ein gordischer Knoten], den man nur
mit Gewalt lösen kann, und Gewalt ist gerade an Weihnachten natürlich immer
eine Möglichkeit. Aber bleibt man gewaltfrei, dann ist Patchwork wie ein
Korsett aus vielen kleinen Knoten, aus dem sich nicht mal der große Houdini
befreien könnte.
## Zwei Weihnachtstage sind willkürlich
Zwei Weihnachtsfeiertage, das passt nicht in eine Zeit, in der alle immer
älter werden, Familien immer weiter verstreut leben und ein Enkelkind nicht
mehr zwei lebende Großeltern hat, sondern sechs bis acht, wenn man alle
Stiefs- mitrechnet.
Dass es heute in Deutschland zwei Weihnachtstage gibt, ist genauso
willkürlich wie die Festlegung anderer Feiertage. In großen Teilen der
christlichen Welt, etwa in England und vielen ehemaligen Kolonien, ist der
zweite Weihnachtstag kein Feiertag, sondern Boxing Day, Konsumrausch. In
Spanien ist er nur in Katalonien und den Balearen ein Feiertag, in
Frankreich nur in den ehemals deutschen Regionen.
Und selbst im Evangelium steht am zweiten Weihnachtsfeiertag nicht mehr die
Geburtsgeschichte von Jesus im Mittelpunkt, sondern die Fleischwerdung
(Inkarnation) des Wortes durch Johannes.
Wenn also schon der zweite Weihnachtsfeiertag mehr mit einer politischen
Entscheidung als mit Religion zu tun hat, warum gibt es dann keinen dritten
oder vierten Weihnachtsfeiertag?
## Hölle aus Bratwurst und Caipirinha
Berlin, die Stadt des Patchworks und der diversen Familien, hätte vor
wenigen Wochen die Möglichkeit gehabt, ausnahmsweise mal wirklich
progressiv zu sein und Weihnachten um einen Tag zu verlängern. Berlin hatte
weniger Feiertage als alle anderen Bundesländer, deshalb sollte ein neuer
hinzukommen.
Doch die rot-rot-grüne Koalition hat sich für die naheliegende, auf
billigen Beifall hoffende Variante entschieden und [2][den Frauentag am 8.
März zum neuen Feiertag erkoren]. Das mag auf den ersten Blick irgendwie
fortschrittlich und feministisch aussehen. Dabei reicht es, sich die
Geschichte des 1. Mai anzuschauen, um zu sehen, wie ein Staat einen
Kampftag der Arbeiterklasse domestiziert und zu einer Hölle aus Bratwurst
und Caipirinha gemacht hat. Der 8. März als Feiertag, das wird früher oder
später ein Feiertag für die Blumenindustrie, ganz ohne Feminismus.
Der dritte Weihnachtsfeiertag dagegen ist wirklich fortschrittlich. Er
lässt sich nicht nur für die traditionelle Kleinfamilie gebrauchen, sondern
auch, um sich nach den Tagen in der alten Heimat bei der Wahlverwandtschaft
auszuheulen, was für einen homophoben Quatsch Onkel Günther wieder erzählt
hat und dass bei Tante Inge tatsächlich das neue Buch von Sarrazin unterm
Tannenbaum lag. Der dritte Weihnachtstag: ein Feiertag, um sich von
Weihnachten zu erholen.
25 Dec 2018
## LINKS
[1] /Leben-in-der-Patchworkfamilie/!5093092
[2] /Frauentag-als-Feiertag/!5550378
## AUTOREN
Kersten Augustin
## TAGS
Lesestück Meinung und Analyse
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