# taz.de -- AktivistInnen über die Liebig34: „Raum zum Sein und Ausprobieren… | |
> Die Liebig34 ist echt einzigartig in Berlin. Doch das queerfeministische | |
> Projekt muss zu Silvester ausziehen. Was nun? | |
Bild: Protest muss echt sein: in der Liebigstraße 34 | |
taz: Die Liebig34 ist das einzige anarcha-queerfeministische Hausprojekt in | |
Berlin. Chris, warum wohnst du in der Liebig? | |
Chris: Es ist etwas Besonderes, in der [1][Liebig34] zu wohnen. Wir leben | |
ohne cis-Männer, weil wir keine Lust auf Alltagssexismus haben, besonders | |
nicht in unserem Zuhause. Aber das ist nicht das Einzige, was die 34 | |
ausmacht. Es ist auch besonders, welche Menschen da zusammenkommen, | |
Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, Privilegien und | |
(a)-Genderidentitäten, im Alter von 11 bis um die 60. In der Liebig müssen | |
queere Perspektiven nicht permanent verteidigt werden. Dadurch entsteht ein | |
Raum zum Sein und Ausprobieren, wie es anderswo nicht möglich wäre. Für | |
mich persönlich ist es wichtig, kollektiv zu wohnen und an diesen | |
gemeinsamen Lernprozessen teilzuhaben. | |
Wohnen in der Liebig34 noch Menschen, die seit 1999 – seit der | |
Entscheidung, ohne cis-Männer weiterzumachen – oder sogar seit der | |
Besetzung im Jahr 1990 dabei sind? | |
Layla: Es besteht Kontakt zu den unterschiedlichen Generationen der | |
Liebig34, teilweise auch zu Erstbesetzer*innen. Jedoch wohnen die nicht | |
mehr im Haus. Es gibt immer recht viel Wechsel und wir befinden wir uns in | |
einem ständigen Prozess der Selbstreflexion. | |
In eurem Selbstverständnis steht, dass euer Haus einen „hierarchiefreien | |
safer-space, für Menschen unterschiedlichster Hintergründe und | |
(a-)Genderidentitäten“ darstellen soll. Was meint ihr damit? | |
Chris: Dieses Konzept von „hierarchiefreien safer-spaces“ ist sehr | |
theoretisch. In der Realität kann man nur versuchen, diesem Ideal einen | |
Schritt näherzukommen. Und darum bemühen wir uns Tag für Tag. Wir tauschen | |
uns über unsere Erfahrungen von Sexismus, Rassismus oder Homophobie aus, | |
unterstützen uns gegenseitig und tragen diese Auseinandersetzung dann in | |
politischen Aktionen nach außen. Das bedeutet zum Teil auch, uns zu | |
streiten und auf den Arsch zu fallen, aber es immer wieder zu probieren, | |
innerhalb und außerhalb des Hauses. Das ist anstrengend, lehrreich und | |
empowernd zugleich. | |
Wie sieht das im Alltag aus? | |
Chris: Was wir konkret machen: Wir sprechen auf Englisch, vor allem auch im | |
Plenum, weil es die Sprache ist, die die meisten Menschen zusammenbringen | |
kann. Alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Es gibt Strukturen | |
von Soli-Zimmern, falls Leute keine Miete zahlen können. Wir wollen einen | |
Raum schaffen, wo FLTIQ*-Personen unterkommen können, die aufgrund von | |
unterschiedlichen Diskriminierungen keine Möglichkeit haben, in | |
Mietwohnungen zu ziehen. | |
Was meinst du damit, dass manche Menschen keine Möglichkeit haben, in | |
Mietwohnung zu ziehen? | |
Chris: Ich meine damit: Mietwohnungen kosten Miete und es gibt Menschen, | |
die haben kein Geld. | |
Und warum betrifft das vor allem FLTIQ*s? | |
Chris: FLTIQ*s haben weniger Zugang zu gut bezahlten Jobs und dadurch auch | |
weniger Zugang zu Wohnungen, in denen man sich wohlfühlen kann und die | |
einen sichereren Raum bieten. Es gibt viele diskriminierende bürokratische | |
Ebenen, die beim Anmieten einer Wohnung eine Rolle spielen. Zum Beispiel | |
haben Menschen ein Problem, wenn der Geschlechtseintrag im Pass nicht mit | |
ihrer gelebten Geschlechtsidentität übereinstimmt. Oder wenn ihr | |
Aufenthaltsstatus unklar ist. Um sich dieser Schikane der | |
Persönlichkeitsoffenbarung gegenüber Vermieter*innen nicht aussetzen zu | |
müssen, muss es Räume wie die [2][Liebig34] geben. | |
Warum gibt es dann nicht mehr Räume wie die Liebig34 in Berlin? | |
Layla: Es gibt auf jeden Fall das Bedürfnis nach selbstverwalteten | |
FLTIQ*-Räumen in der Stadt, und in kleinerem Rahmen werden diese Räume auch | |
noch geschaffen. Zum Beispiel werden immer mehr FLTIQ*-WGs gegründet, und | |
in bestehenden Hausprojekten gibt es Bereiche, in denen keine cis-Männer | |
wohnen. Aber neue Hausprojekte in der Größenordnung der Liebig34 entstehen | |
in Berlin in der aktuellen Situation von Gentrifizierung und Spekulation | |
mit Wohnraum leider nicht mehr. Deshalb ist die 34 so einmalig und wichtig. | |
Euer Pachtvertrag läuft nun Ende des Jahres aus. Ist daran noch was zu | |
rütteln? | |
Layla: Es gab bisher ein einziges Treffen mit dem Besitzer Padovicz, da hat | |
er schon sehr deutlich gemacht, dass er uns raushaben will. Dass der | |
Pachtvertrag am 31. Dezember ausläuft, daran ist nichts zu rütteln. Aber | |
wir werden das Haus nicht einfach aufgeben. Wir werden darum kämpfen. | |
Gibt es da schon konkrete Pläne? | |
Chris: In Hausprojekten wie der 34 geht es nie darum, nur um den Status quo | |
zu kämpfen, also den Erhalt des Hauses um jeden Preis. Es geht darum, für | |
Verbesserungen einzustehen. Damit stellt sich die Frage, ob wir es sinnvoll | |
finden, in Verhandlungen zu treten, oder das größere stadtpolitische Bild | |
betrachten. Padovicz ist ein Problem, sogar ein riesiges. Aber nicht das | |
einzige. Es geht nicht nur um unser Haus, sondern um den ganzen | |
Friedrichshainer Nordkiez, den Dorfplatz und alle Strukturen, die da dran | |
hängen. | |
Toni: Gerade vernetzen sich die Menschen aus den Padovicz-Häusern. Es gibt | |
auch eine Onlineplattform, den Padovicz WatchBlog. Das ist eine sehr | |
diverse Gruppe von Menschen aus Mietshäusern, aber eben auch Hausprojekten | |
wie der Liebig, der [3][Scharni29] und anderen. | |
Chris: Es geht darum, die Probleme zu teilen und einen gemeinsamen Umgang | |
damit zu finden. Wir machen das jetzt in Bezug auf Padovicz, aber | |
eigentlich sollten alle Mieter*innen das tun. | |
Toni, in diesem Frühjahr wurde in Berlin und Potsdam der Hashtag #besetzen | |
initiiert. Ist Besetzen wieder eine reale Option? | |
Toni: Unsere Besetzungsaktionen im Frühjahr und Herbst unter dem | |
[4][Hashtag #besetze]n haben viel mediale Öffentlichkeit bekommen. Wir | |
konnten dadurch auf eine ziemlich radikale Art auf die Themen | |
Gentrifizierung und Wohnungslosigkeit aufmerksam machen. Aber wir haben | |
noch kein abschließendes Fazit, was die Besetzungen tatsächlich gebracht | |
haben, denn bisher wurde alles, abgesehen von der Großbeerenstraße 17A, | |
wieder geräumt. Wir haben noch keinen ernsthaften Wohnraum geschaffen. | |
Ende September wurde während der „Liebig 34 Verteidigen“-Demo eine Wohnung | |
im Weidenweg 63 besetzt. Was wolltet ihr mit der Aktion bewirken? | |
Toni: Die Besetzung war eine Soli-Aktion für die Liebig. Das Haus im | |
Weidenweg 63 gehört nämlich ebenfalls Padovicz, und fast alle Wohnungen | |
stehen seit Jahren leer. Wir wussten, dass wir sofort geräumt werden, und | |
hatten daher auch kein Konzept zur Weiternutzung der Räume oder Ähnliches. | |
Unsere Bedingung, wie wir die Wohnung freigeben würden, war, dass die | |
Liebig34 den Bewohner*innen überlassen wird. Das ist natürlich nicht | |
passiert. Also wurden wir geräumt. Aber es war ein super empowerndes | |
Gefühl, in der Wohnung zu sein. So viele Menschen waren bis 2 Uhr morgens | |
vor dem Haus und haben uns unterstützend zugerufen, obwohl es echt kalt | |
war. | |
Layla: Die Aktion im Weidenweg hat gezeigt, dass es Unternehmern wie | |
Padovicz nicht tatsächlich um Wohnraum geht, sondern nur um Profit. Während | |
eine Straße weiter Wohnungen leer stehen, sollen alle Bewohner*innen der | |
Liebig ihr Zuhause verlieren. | |
Ihr habt den Hashtag bei der Besetzung im Weidenweg zu „#feministisch | |
besetzen“ erweitert. Was ist feministisch am Besetzen? | |
Toni: Wir wollten starkmachen, dass wir feministische Strukturen im Kiez | |
brauchen und auch dass die Themen Stadtpolitik und Queerfeminismus | |
zusammengedacht werden müssen. Wie schon gesagt: Aus einer | |
queerfeministischen Perspektive ist es super wichtig, für Wohnraum und | |
geschützte Räume zu kämpfen und dafür auch zu besetzen. | |
Was bedeutet es, wenn es die Liebig34 bald nicht mehr gibt? | |
Chris: Das hat nicht nur persönliche, sondern auch stadtpolitische | |
Konsequenzen. Man kann Räume wie die Liebig34 auch als eine | |
Gentrifizierungs- und Mietpreisbremse sehen. Wir sind ein | |
anarcha-queerfeministisches Hausprojekt, und uns ist bewusst, dass nicht | |
alle Nachbar*innen auf uns abfahren. Aber wenn es diese Häuser wie die 34 | |
bald nicht mehr gibt, dann wird sich der ganze Kiez verändern. Dann müssen | |
auch die mehr zahlen, die die Liebig echt nicht toll finden. Leute, die vor | |
ein paar Jahren verdrängt haben, werden mittlerweile selbst verdrängt, weil | |
sie sich die Miete nicht mehr leisten können. | |
Was wäre ein „Erfolg“ für die Liebig? | |
Layla: Ein Erfolg wäre, das Haus zu behalten, aber so, wie es ist, als | |
queerfeministischer selbstverwalteter Ort, den wir uns leisten können. | |
Chris: Dafür würden wir fast alles tun. Kaufen, Mietvertrag aushandeln, | |
aber eben nicht unter allen Bedingungen. Kein Projekt geht in Verhandlung | |
mit Vermieter*innen aus Spaß. Es ist keine Freizeitbeschäftigung, über | |
Jahre um den eigenen Wohnraum zu streiten. | |
19 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://liebig34.blogsport.de/ | |
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[3] http://scharni29.blogsport.de/ | |
[4] https://besetzen.noblogs.org/ | |
## AUTOREN | |
Julia Wasenmüller | |
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