| # taz.de -- Linksradikale Szene Berlin: Psychoterror in der Rigaer | |
| > Ein anonymes Flugblatt droht Anwohnern, die gegen einen Bewohner der | |
| > Rigaer 94 aussagten. Der Kiez solle sich hüten, mit der Polizei zu | |
| > kooperieren. | |
| Bild: Aus der Rigaer 94 heißt es, ihre Schreiben tragen stets ihre Unterschrif… | |
| Einschüchterung. Anders kann man das Flugblatt nicht lesen. Anfang der | |
| Woche steckte es in der Rigaer Straße und in Seitenstraßen in den | |
| Briefkästen. Seht her, so ergeht es Anwohnern, die mit der Polizei | |
| zusammenarbeiten, sagt das vierseitige Pamphlet. Die Verfasser bleiben | |
| anonym, unschwer lässt sich erraten, dass sie im Umfeld der autonomen | |
| Hausprojekte Liebig 34 und Rigaer 94 zu suchen sind. | |
| Ausführlich geht es im Text um einen Prozess gegen einen Bewohner der | |
| Rigaer 94, der unlängst zu 18 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde. | |
| Der Vorfall hatte sich im Frühjahr direkt um die Ecke, vor der Bäckerei | |
| 2000 ereignet. Anwohner aus dem Kiez sagten gegen den 42-Jährigen, genannt | |
| „Isa“, als Zeugen aus – für Teile der linksradikalen Szene ein absolutes | |
| No-Go: Auseinandersetzungen im Kiez seien „ohne Zuhilfenahme der Polizei zu | |
| lösen“, heißt es im anonymen Flugblatt. | |
| Seit einem halben Jahr gehe der Pyschoterror gegen die Zeugen, berichtet | |
| eine Anwohnerin, die anonym bleiben will. „Das Flugblatt ist nur eine | |
| weitere Runde in einer Hetzjagd gegen Leute, die das Normalste von der Welt | |
| getan haben: Die Polizei um Hilfe zu rufen, wenn jemand am Boden liegt.“ | |
| Die Zeugen, ein Mann und eine Frau, wohnen mitten im Kiez. Im Flugblatt | |
| sind sie – nicht zum ersten Mal – mit vollem Namen und Adresse genannt. | |
| Kurz nach dem Vorfall waren sie mit einem anonymen Schreiben in das | |
| autonome Vereinslokal Kadterschmiede in der Rigaer 94 zu einer Art | |
| Kieztribunal vorgeladen worden. Weil sie abgelehnt hätten zu kommen, heißt | |
| es im Flugblatt, seien sie danach „folgerichtig als Denunziant_innen im | |
| Kiez geoutet“ worden. | |
| ## „Den Kiez nicht mehr betreten“ | |
| Einem Zeitungsbericht zufolge verstehen sich die beiden Zeugen als links. | |
| Sie sollten ihr Auto weit weg parken und die Haustür gut abschließen, soll | |
| ihnen das Landeskriminalamt (LKA) geraten haben. Aber ihr Leib und Leben | |
| sei nicht in Gefahr. Linke Gewalt richte sich in der Regel gegen Sachen. | |
| Im Flugblatt wird auf die Ängste, die beide offenbar durchleben, mit den | |
| Worten eingegangen: „Frieden werden sie wahrscheinlich nur dann finden, | |
| wenn sie den Kiez nicht mehr betreten.“ Gleichzeitig ergeht an den gesamten | |
| Kiez die Warnung: Nicht in Konflikte einmischen, deren „Größe“ man nicht | |
| verstünde. „Das bedeutet insbesondere, nicht die geringste Zusammenarbeit | |
| mit der Polizei einzugehen.“ | |
| Vergleichbare Flugblätter seien schon mehrfach im Internet veröffentlicht | |
| worden, teilte die Polizei auf Anfrage mit. Stets sei es darum gegangen, | |
| die Zeugen des Gerichtsprozesses psychisch unter Druck zu setzen. Nicht | |
| bestätigen wollte die Polizei, dass die Betroffenen seit März unter | |
| permanentem Polizeischutz stehen, wie im Flugblatt behauptet. Eine Erhöhung | |
| der Gefährdung der Zeugen sei derzeit nicht ersichtlich. Das LKA ermittle | |
| wegen des Verdachts der Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung. | |
| Der verurteilte Isa, von Beruf Sicherheitsfachmann, lebt mit seiner Familie | |
| im Erdgeschoss der Rigaer Straße 94. Für die Szene ist er ein Märtyrer | |
| geworden. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Vor der Bäckerei soll er | |
| einen Mann zu Boden gerungen und gewürgt haben. In dem Flugblatt ist von | |
| einem Schauprozess die Rede. Die Rigaer 94 habe den langen Arm des | |
| Rechtsstaats spüren sollen. | |
| ## „Möglicherweise einschüchternd“ | |
| Der Anwalt von Isa, Martin Henselmann, sieht das ähnlich: „Mein Mandat ist | |
| nicht schuldig, die Beweisaufnahme wurde falsch bewertet.“ Auch sein | |
| Eindruck sei es, dass an Isa ein Exempel statuiert werden sollte. „Die | |
| Polizei hatte ihn schon länger auf dem Kieker.“ | |
| Gegen das Gerichtsurteil hat Henselmann Berufung eingelegt. Die Zeugen | |
| hätten sich von der Polizei verheizen lassen. Aber sie hätten seinen | |
| Mandanten auch mit rassistischem Unterton unter anderem als „den Polen und | |
| seine Sippe“ bezeichnet. Im Ermittlungsverfahren hätten sie ihn „als | |
| Schwerverbrecher und als polnischen Hooligan“ verleumdet. Sie hätten ihn | |
| als Täter beschuldigt, ohne das vor der Bäckerei genau gesehen zu haben. | |
| Rechtfertigt das, die Zeugen in dem Flugblatt an den Pranger zu stellen? | |
| „Das ist eine harte Sprache und eine harte Kritik“, räumt der Anwalt ein. | |
| Auf die Betroffenen wirke das möglicherweise einschüchternd. Aber das sei | |
| kein klarer Aufruf, den Zeugen Gewalt anzutun. „Den Zorn der Szene auf die | |
| Zeugen kann ich in gewisser Weise verstehen“ – deren Aussage sei | |
| mitursächlich dafür, dass sein Mandant überhaupt monatelang in U-Haft | |
| gesessen habe. | |
| Ein Paar, am Donnerstag in der Rigaer Straße angesprochen, beurteilt das | |
| Flugblatt kontroverser. Sie könne verstehen dass sich die Leute wehren, | |
| sagt die Frau. Auch sie empfinde die massive Präsenz der Polizei als | |
| Provokation. Das Papier richte sich aber nicht gegen die Polizei, sondern | |
| gegen die zwei Privatpersonen, so der Mann. „Das ist eine krasse Form der | |
| Selbstjustiz.“ Ein älterer Herr fühlt sich schutzlos: „Wenn schon die | |
| Polizei gegen die Szene nichts ausrichten kann, wir doch erst recht nicht.“ | |
| Aus der Rigaer 94 heißt es, Schreiben der Hausgemeinschaft tragen stets die | |
| Unterschrift der R94. Der betreffende Flyer sei demnach kein Erzeugnis der | |
| Rigaer 94. | |
| Innensenator Andreas Geisel (SPD) spricht im Zusammenhang mit dem Flugblatt | |
| von Kriminellen mit Gangstermethoden. Den Anwohnern rät er: „Solidarisieren | |
| Sie sich nicht mit Menschen, die Angst und Schrecken verbreiten wollen, | |
| sondern mit denen, die für eine friedliche und solidarische Nachbarschaft | |
| stehen.“ | |
| Monika Herrmann, grüne Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, | |
| verurteilt den Inhalt des Pamphlets mit den Worten: Selbstjustiz zerstöre | |
| das Gemeinwesen, einziger Zweck sei, Angst und Schrecken zu verbreiten. | |
| „Ein solches Treiben verabscheuen wir zutiefst.“ | |
| 18 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
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