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# taz.de -- Klimawandel im Harz: Sport ohne Winter
> Nach 49 Jahren gibt der Betreiber des Naturschnee-Skigebietes auf dem
> Sonnenberg auf. Nun braucht der Harz Konzepte für einen nachhaltigen
> Tourismus.
Bild: Funzt nicht mehr: Skifahren im Harz
Göttingen taz | Für Wintersportfans liest sich der Wetterbericht für das
kommende Wochenende im Harz trostlos: Kein Schnee, dafür Regen und frische
Böen, fünf Grad über Null. Aktuell ist keine der 15 Skipisten geöffnet,
kein Meter Loipe gespurt, die Winterwanderwege sind nicht präpariert. Und
das Mitte Dezember, rund um den Wurmberg bei Braunlage, dem am höchsten
gelegenen Wintersportgebiet des höchsten norddeutschen Gebirges.
Noch zu Beginn der 2000er-Jahre, vor gar nicht so langer Zeit also,
bedeckte im Harz über Monate eine dicke Schneedecke Berge und auch Täler.
In den Hochlagen des Mittelgebirges stiegen die Temperaturen in diesem
Zeitraum selten über minus fünf Grad. Die Skisaison dauerte von November
bis April.
Zuletzt fielen die Winter immer häufiger aus: Kein richtiger Frost, kaum
Schnee, allenfalls der Brocken-Gipfel war längere Zeit in Weiß gehüllt –
auf dem höchsten Berg im Harz ist Skilaufen allerdings untersagt. Auch auf
den Hängen des 971 Meter hohen Wurmbergs fielen in den vergangenen Jahren
erst sehr spät die ersten Flocken. Zumindest war dort einige Wochen lang
Skifahren trotzdem möglich. Seilbahn-Betreiber Dirk Nüsse verlässt sich
seit fünf Jahren nämlich nicht mehr allein auf die Natur. Er setzt auf
Kunstschnee aus Schneekanonen.
Rund zehn Millionen Euro hat der Unternehmer in den vergangenen Jahren in
den Ausbau des Skigebietes auf dem Wurmberg investiert. Zwei Millionen Euro
schoss das Land Niedersachsen zu. Mit dem Geld wurden unter anderem neue
Pisten und Lifte gebaut, unzählige Bäume für den Bau von Parkplätzen
gefällt und an die 100 Schneekanonen errichtet. Neun der 15 Ski- und
Rodelpisten können damit beschneit werden.
## Am Wurmberg wurden 16,5 Hektar Wald gerodet
Auch die Schneekanonen und -lanzen entlang der Abfahrten brauchen
allerdings passende Bedingungen für die Produktion von Kunstschnee, also
Temperaturen von null Grad oder darunter. Nüsse darf inzwischen sogar
doppelt so viel Kunstschnee produzieren und dafür 130.000 statt wie früher
66.000 Kubikmeter Wasser aus dem Speicherbecken am Wurmberggipfel
entnehmen, das aus dem Quellfluss Warme Bode gespeist wird
Naturschutzverbände hatten vergeblich gegen die vom Landkreis Goslar
erteilte erweiterte Genehmigung protestiert. Es handele sich um einen
erheblichen Eingriff in ein geschütztes Fließgewässer, argumentierte der
Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Außerdem seien die Schneekanonen
keine nachhaltige Lösung. Wenn die Hänge an einem Wochenende beschneit
würden, komme am nächsten Montag wieder eine Wärmewelle „und alles ist
weg“, sagen die Umweltschützer. Der Kunstschnee sei eine Sackgasse.
Der Naturschutzbund (Nabu) weist noch auf andere Folgen für die Umwelt hin:
Insgesamt wurden nach seinen Angaben am Wurmberg für das Skigebiet 16,5
Hektar Wald gerodet. Davon entfielen 11,5 Hektar auf die Erweiterungen der
Skipisten, ein Hektar auf die Fläche für den Speichersee und 3,5 Hektar auf
die Erweiterung von Parkplätzen.
## Auch die Umweltschützer wollen Tourismus
Millioneninvestitionen und Naturzerstörung: Ist Skifahren im Harz künftig
also nur noch unter diesen Bedingungen möglich? Fast hat es den Anschein.
Denn außer auf dem Bocksberg bei Hahnenklee, wo acht Schneekanonen die
sogenannte Familienabfahrt beschneien, deuten manche Zeichen auf Abschied
vom Wintersport.
Nach 49 Jahren gab jetzt der Betreiber des Naturschnee-Skigebietes auf dem
Sonnenberg auf. „Danke für Ihre Treue, für unvergessene Augenblicke, für
wunderbare Begebenheiten, für wirklich tolle Skitage und für unglaublich
nette Gespräche“, verabschiedete sich Michael Sonderfeld im Internet von
seinen Gästen. Ob die Anlagen dauerhaft geschlossen oder verkauft werden,
steht noch nicht fest. Zuletzt hatte die Touristik-Gesellschaft der Stadt
Braunlage ein Kaufangebot abgegeben.
Die Gemeinde Walkenried im Südharz will noch nicht einmal in einen neuen
Bulli zum Spuren von Loipen investieren. Das bisher genutzte Fahrzeug ist
altersschwach und könnte mitten im Wald stehen bleiben, heißt es. Sollte
dort überhaupt ausreichend Schnee fallen, blieben 50 potenzielle
Loipenkilometer ungespurt.
## Zeitreise in die 70er-Jahre
„Der Harz hat eine Menge zu bieten, zieht tausende Gäste an und überzeugt
mit zeitgemäßen Produkten“, erklärte jüngst der Harzer Tourismusverband.
„Seit einigen Jahren entwickeln sich verlässlich neue Angebote, bringen
Orte und Einrichtungen voran und sorgen für einen nachhaltigen
touristischen Erfolg der Region, der nicht nur als weicher Imagefaktor eine
wichtige Rolle spielt.“ Doch das ist Werbe-Schönsprech. Die Realität sieht
anders aus. Immer noch begibt sich, wer durch den Westharz fährt, auf eine
Zeitreise in die 70er-Jahre der Bundesrepublik: die Lokale geschmückt mit
Rehbockgeweihen und Zinntellern, Jägerschnitzel auf den Speisekarten,
Nippes in den Schaufenstern.
Seit der Wiedervereinigung hat der Westharzkreis Goslar mehr als ein
Drittel seiner Besucher verloren, in den vergangenen Jahren konnte der
Trend zumindest gestoppt werden. Weil der Wintertourismus, über Jahrzehnte
die Säule des Geschäfts, wegen des Klimawandels vielerorts zusammenbrach,
setzt langsam ein Umdenken ein: Natur und Kultur werden jetzt mehr
beworben.
## Neue Themenwanderwege
Der Harzklub, ein Verein zur Pflege des Harzer Brauchtums, hat begonnen,
die Wanderwege im Harz zu entflechten und übersichtlicher zu gestalten. Das
Angebot soll für Gäste überschaubarer und das Wandern in dem Mittelgebirge
attraktiver werden, teilte der Verein mit. Derzeit verwirre eine „Vielzahl
von übereinander und nebeneinander angelegten“ Wegen. Insgesamt würden rund
10.000 Kilometer Wanderwege unter die Lupe genommen und optimiert.
Zudem wurden neben Klassikern wie dem „Harzer-Hexen-Stieg“ und dem
„Goetheweg zum Brocken“ neue Themenwanderwege erschlossen: So setzt der mit
etlichen Infotafeln versehene „Steinway-Trail“ von Seesen nach Wolfshagen
dem legendären Klavierbauer Heinrich Engelhard Steinweg (1797–1871) ein
Denkmal.
## Kultur im Kloster
Bereits zum zehnten Mal lockten in diesem Jahr sechs im Harz oder am
Harzrand gelegene Klöster mit einem Kulturprogramm Besucher an. Beim
„Harzer Klostersommer“ 2018 gab es mehr als 50 Konzerte, Führungen, Feste
und andere Veranstaltungen. Das Krimi-Festival „Mordsharz“ ging mit einem
guten Dutzend Lesungen, die teils in Bergwerken oder an anderen
„gruseligen“ Orten stattfanden, in die siebte Saison.
Auch die Umweltschützer wollen, dass der Harz touristisch boomt. Sie sagen
aber, dass in einen nachhaltigen, ökologischen Fremdenverkehr investiert
werden soll. Die Natur mit ihren Pflanzen, Tieren, Gewässern und Wäldern
sei das eigentliche Kapital des Harzes. Wer es verschleudere oder mit
Mega-Vorhaben wie in Braunlage zerstöre, vernichte die Grundlagen des
Harztourismus.
Viele touristische Schätze seien nur unzureichend gehoben. Dutzende
Badeseen mit kristallklarem Wasser blieben unentdeckt, weil es an
Infrastruktur für Gäste fehle. Wenig beworben wurde bislang auch das
„Oberharzer Wasserwirtschaft“ genannte System der im Mittelalter angelegten
Gräben, Kanäle und Teiche. Schließlich wurden sie ja erst 2010 zum
Weltkulturerbe ernannt.
17 Dec 2018
## AUTOREN
Reimar Paul
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