| # taz.de -- Naturschäden in den Alpen: Auslaufmodell Skifahren | |
| > Der Klimawandel setzt dem Wintertourismus in den Alpen zu. Deshalb | |
| > versuchen die Anbieter, sich von der Natur unabhängig zu machen. | |
| Bild: RIP Skitourismus | |
| Schnee en masse in den Bergen: Der aktuelle Winter scheint für Skifahrer | |
| gar nicht so schlecht zu laufen. Tatsächlich aber macht der Klimawandel dem | |
| Wintertourismus schwer zu schaffen. Die Ski- und Schlittensaison in den | |
| Alpen ist mehr als einen Monat kürzer als 1970, zeigt eine Studie des | |
| Schweizer Lawinenforschungsinstitutes. „Es gibt extremeres Wetter“, sagt | |
| Martine Rebetez, die Autorin der Studie. Das bedeute „längere | |
| Trockenheitsperioden und größere Niederschlagsereignisse“ – wie etwa die | |
| aktuell starken Schneefälle in den Zentralalpen. | |
| Die Pistenbetreiber setzen daher immer mehr auf Beschneiung. Die globale | |
| Erwärmung allerdings erschwert auch die Erzeugung von Kunstschnee, denn der | |
| kann nur bei Minusgraden produziert werden. | |
| „Das wird schwierig, wenn es im Herbst und Frühwinter feuchter und wärmer | |
| ist“, meint Susanne Drechsel, Meteorologin aus Innsbruck. Und damit geht | |
| das Problem erst los. Denn mit dem sogenannten Grundschnee wird die | |
| Grundlage für den natürlichen Schnee produziert, damit die Pisten länger | |
| halten. „Das Schneemanagement ist mittlerweile eine Wissenschaft für sich: | |
| Man will ja auch so effizient wie möglich beschneien, weil die Beschneiung | |
| auch ein Kostenfaktor ist“, sagt der Arlberger Schneimeister Rudolf | |
| Winkler. | |
| Doch wie nahezu überall, wo Natur technisch überwunden oder umgangen werden | |
| soll, stellen sich Probleme ein: Der erhöhte Wasserverbrauch führte | |
| mancherorts bereits dazu, dass die Böden austrocknen und der | |
| Grundwasserspiegel sinkt. Tirol benötigt für die Beschneiung rund 16 | |
| Millionen Kubikmeter Wasser pro Winter – so viel wie die vier größten | |
| Städte des Bundeslandes pro Jahr verbrauchen. | |
| ## Erkranken wegen Beschneiung | |
| Das Problem erhöhter Bodenerosion auf Skipisten ist schon länger bekannt. | |
| Es wird allerdings noch dadurch verstärkt, dass Kunstschnee etwa fünfmal so | |
| schwer wie Naturschnee ist und mit seinem Gewicht den Boden noch mehr | |
| verdichtet. Zuletzt rutschten deswegen immer wieder Hänge ab, etwa im | |
| Südtiroler St. Vigil, wo im Skigebiet am Kronplatz wegen eines Rohrschadens | |
| eine ganze Bergstation wegsackte. | |
| Auch die Hydrologin Carmen de Jong von der Universität Savoyen weist auf | |
| die negativen Folgen der technischen Beschneiung hin. Während | |
| Skipisten-Betreiber in der Regel behaupten, sie bräuchten kein zusätzliches | |
| Wasser, hat sie festgestellt, dass die Behörden ihnen immer wieder erhöhte | |
| Entnahmen aus dem Wasserkreislauf bewilligt hätten. Damit nicht genug: Vor | |
| allem in französischen Skiorten wurden wiederholt | |
| Trinkwasserverunreinigungen gemeldet, die in der Bevölkerung zu | |
| Magen-Darm-Erkrankungen führten. In Frankreich werden die meisten Skitage | |
| verkauft – rund 54 Millionen im Jahr. | |
| Diese Entwicklungen verweisen auf ein allgemeineres, kulturelles Problem. | |
| Der Skitourismus ist dabei, sich von der Natur unabhängig zu machen. Der | |
| Umwelthistoriker Robert Groß geht sogar so weit, das Skifahren als ein rein | |
| künstliches Produkt zu bezeichnen. | |
| Die Situation ist vertrackt. Denn der Ski-Tourismus bildet in weiten Teilen | |
| der Alpen die Haupteinnahmequelle und Existenzgrundlage für ansonsten | |
| wirtschaftsschwache Orte. Zugleich sind in den einzelnen Skigebieten immer | |
| neue Investitionen notwendig, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dabei geht es | |
| allerdings vor allem darum, anderen Skigebieten Gäste abzuwerben, denn | |
| insgesamt stagniert die Zahl der Wintergäste. Beispielsweise konnte | |
| Südtirol in den letzten Jahren ein merkliches Plus verzeichnen, in | |
| Graubünden war es dagegen ein deutliches Minus. | |
| ## Gestiegene Ansprüche der Besucher | |
| Die Ski-Industrie begibt sich langfristig auf dünnes Eis, denn Geld in neue | |
| Infrastruktur zu stecken lohnt sich durch die steigenden Temperaturen immer | |
| weniger. Deshalb wollen manche Investoren vorher noch mitnehmen, was sie | |
| kriegen können. Man rechnet, dass sich eine neue Skipiste und die | |
| zugehörigen Anlagen in 15 bis 20 Jahren amortisieren. In den Augen vieler | |
| Investoren ist das offenbar noch genügend Zeit. Dabei geraten vor allem die | |
| kleineren Skigebiete unter Zugzwang, nachzurüsten, um nicht unterzugehen. | |
| Denn die Ansprüche der Kunden sind gestiegen, wie der Geograf Robert | |
| Steiger meint. Er forscht über den Klimawandel im bayerischen Alpenraum und | |
| sagt: „Pisten, die nicht komplett makellos sind, sind heutzutage | |
| undenkbar.“ | |
| Die objektiven Bedingungen werden also schwieriger, während der | |
| Leistungsdruck steigt. | |
| Nichtsdestotrotz lautet die Devise also immer noch häufig Ausbau. Die | |
| lokale Bevölkerung steht zumeist hinter den Pistenbetreibern und ihren | |
| Vorhaben. Denn schließlich wollen sie ihren Lebensstandard halten, der eng | |
| an die Einnahmen durch den Skitourismus geknüpft ist – auch aus Mangel an | |
| Alternativmodellen. | |
| In welche Richtung das in Zukunft noch gehen kann, zeigt der Tiroler | |
| „Visionär“ Günther Aloys, für den die Alpen ein „Entertainmentpark“ … | |
| Gegenüber dem Fernsehsender Arte erklärte der ehemalige Vorstand des | |
| Tourismusverbands Ischgl, man könne die Zahl der Schneekanonen beliebig | |
| erhöhen. Und in einem anderen Interview sagte er: „Die Natur darf in | |
| unserem Business überhaupt keine Rolle mehr spielen.“ Die im 19. | |
| Jahrhundert von britischen Bergsteigern geprägte Bezeichnung der Alpen als | |
| „Playground of Europe“ bekommt dadurch noch einmal eine neue Bedeutung. In | |
| den Alpen werden 43 Prozent der weltweiten Skitage verkauft. | |
| ## Sommertourismus ausbauen | |
| Die Abkopplung der Ski-Industrie von der Natur liegt also auch in einer | |
| paradoxen Nachfrage begründet, das kann der Geograf Robert Steiger an einem | |
| Vergleich festmachen: Im Herbst sei die Lust auf Skifahren groß – das | |
| Schneemaximum liege aber deutlich später als dieses Nachfragemaximum „Das | |
| ist, wie wenn ich im April das Freibad öffne, es ordentlich beheize und | |
| dann Ende Juli schließe, weil die Leute keine Lust mehr haben.“ | |
| Das Problem ist ein gesellschaftliches, und um dieses zu lösen, müsste die | |
| Politik Vorgaben machen und vor allem Subventionen abbauen, fordert auch | |
| Hydrologin de Jong. Denn wenn sich die Rahmenbedingungen nicht änderten, | |
| würden auch die Tourismusverbände keine konsequente Umorientierung in | |
| Richtung alternativer wintersportlicher Aktivitäten forcieren. Doch noch | |
| gibt es Fördergelder der EU, um ländliche Regionen mit Skipisten | |
| aufzuwerten – wie etwa auf der dänischen Insel Bornholm oder in Braunlage | |
| im Harz. | |
| Dabei gibt es Alternativen: Winterwandern, Rodeln oder das auch so schon | |
| immer beliebter werdende Skitourengehen sind bereits im Angebot und in den | |
| Marketing-Abteilungen einiger Destinationen auch präsent. Zudem wird der | |
| Sommertourismus vielerorts schon ausgebaut. | |
| Doch in den Skiorten arbeiten lokale Politik und Verwaltung oft eng mit | |
| den Skigebietsbetreibern zusammen. Informationen über Planungsprozesse und | |
| ökologische Auswirkungen seien oft schwer zu bekommen und würden mitunter | |
| gar totgeschwiegen, kritisiert de Jong. Mehr noch: „Die Skigebiete | |
| betreiben Greenwashing durch gekaufte Ökolabel, zum Beispiel indem sie ein | |
| paar Solar-Panels installieren oder elektrische Busse beziehungsweise | |
| Skiraupen anschaffen.“ Die Kosten für den Wasserhaushalt und die | |
| Folgeschäden für Böden und Natur lassen sich nicht nur schwer beziffern, | |
| sondern werden auch externalisiert. | |
| Das vernichtende Fazit von Hydrologin de Jong: „Skifahren ist ein | |
| überholtes Modell.“ Mittlerweile können es wohl nicht nur viele ihrer | |
| Kollegen teilen, sondern auch immer mehr Bewohner der Alpen, die die | |
| Konsequenzen der Ausbauspirale vor Ort beobachten. | |
| 3 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Marlon Träger | |
| ## TAGS | |
| Skitourismus | |
| Skisport | |
| Schnee | |
| Tourismus | |
| Alpen | |
| Wintersport | |
| Skitourismus | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Wintersport | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Rodeln | |
| Alpen | |
| Urlaub | |
| Skitourismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Wintersport im Klimawandel: Skigebiete werden grüner | |
| Vom Skifahren wollen viele trotz Erderhitzung nicht lassen. Aber geht es | |
| auch umweltfreundlich? Am „Wilden Kaiser“ versucht man es. | |
| Klimawandel im Harz: Sport ohne Winter | |
| Nach 49 Jahren gibt der Betreiber des Naturschnee-Skigebietes auf dem | |
| Sonnenberg auf. Nun braucht der Harz Konzepte für einen nachhaltigen | |
| Tourismus. | |
| Klimawandel bedroht Winterspiele: Der Spielraum schmilzt | |
| Die Anzahl möglicher Bewerber für die Olympischen Winterspiele wird sich | |
| drastisch reduzieren. Grund dafür ist die Erderwärmung. | |
| Für Wintersportfans ist jetzt Hochsaison: Geah, Moni, Schaatzerl, dös paackst! | |
| Die Piste ruft und die Wintersportfans kommen. Es ist ein eigener | |
| Menschenschlag: temperaturresistent, geschmacklos und leidensfähig. | |
| Kommentar Groko-Verhandlungen: Totalversagen beim Klima | |
| Es ist eine große Enttäuschung: SPD und Union verzichten auf ein klares | |
| Bekenntnis zum Klimaschutz, obwohl Merkel das Gegenteil versprochen hatte. | |
| Wintersport im Fernsehen: Und nun zurück nach St. Moritz! | |
| Gibt es zu viel Wintersport im TV? Keineswegs. Jede einzelne Minute in der | |
| Loipe, auf der Piste und am Schanzentisch ist pures Vergnügen. | |
| Alpen-Schutzzone soll für Lift weichen: Pfiat di, Birkhuhn! | |
| Der Bayerische Landtag dürfte die Skischaukel am Riedberger Horn | |
| bewilligen. Naturschützer protestieren und wollen dagegen klagen. | |
| Umwelthistoriker über Winterurlaub: „Natur stört generell“ | |
| Das Skifahren ist ein durch und durch künstliches Produkt, sagt Robert | |
| Groß. Auch wenn die Touristikbranche etwas anderes verspricht. | |
| Schneekanonen im Harz: Kunstschnee trotzt dem Klimawandel | |
| Gemeinden im Harz rüsten für Millionenbeträge ihre Skigebiete auf. | |
| Umweltschützer beklagen Naturzerstörung. |