# taz.de -- Umwelthistoriker über Winterurlaub: „Natur stört generell“ | |
> Das Skifahren ist ein durch und durch künstliches Produkt, sagt Robert | |
> Groß. Auch wenn die Touristikbranche etwas anderes verspricht. | |
Bild: Im Sonnenuntergang sieht alles schön aus – sogar die Schneekanone | |
taz: Herr Groß, in den Städten taut es meist schon, doch in den Alpen fällt | |
durchaus noch Schnee. Das ist doch toll für die Skiliftbetreiber? | |
Robert Groß: Für die Optik schon. In den Augen der Touristiker dient | |
Naturschnee nur dazu, Winterstimmung zu erzeugen. Das gibt gute Fotos für | |
die Anzeigen. Aber für die Pisten ist er fast irrelevant. Die | |
Tourismuswirtschaft hat sich unabhängig gemacht vom Himmel. Was | |
Schneimeister brauchen, sind frostige Nächte, um die Schneeproduktion | |
laufen zu lassen. | |
Was ist bitte ein Schneimeister? | |
Das ist der Chef der Beschneiuungstruppe, er koordiniert die Mitarbeiter, | |
die die Schneekanonen steuern. | |
Wie geht das Schneemachen genau? | |
Wasser, das aus großen, ausgebaggerten Speicheranlagen stammt, wird mittels | |
Hochdruckpumpstationen durch unterirdisch verlegte Rohre den Berg | |
hinaufgejagt. Oben stehen am Rand der Piste ganze Bataillone an | |
Schneekanonen und Schneilanzen, um das Wasser zu vernebeln. Mancherorts | |
muss das Wasser allerdings noch in Kühltürmen vorgekühlt werden, was Strom | |
kostet. Die Schneekanonen werden über Datenkabel von einem Computer | |
gesteuert. | |
Die Berghänge sind verkabelt? | |
Ja. Da laufen Wasserrohre, Datenkabel, Stromkabel und Druckluftrohre durch | |
frostfreie, unterirdische Tunnel, die im Sommer ausgehoben worden sind. Da | |
werden ja nicht nur Gräben gebuddelt, sondern auch Mulden und Rinnen | |
zugeschüttet oder Hügel abgetragen. Eben ideale Pisten gebaut. | |
Im Sommer werden Berghänge für den Winter umgeformt? | |
Ja, das ist nichts Neues. Schon in den 1960er Jahren baute man Pisten in | |
die Bergflanken hinein, um sie sicherer zu machen. In anspruchsvollem | |
Gelände gab es einfach zu viele Unfälle, und fielen zu viele als | |
Arbeitskraft aus, was eine volkswirtschaftliche Belastung war. Auf | |
autobahnartigen Pisten können die Pistenraupen besser fahren. Zudem sparen | |
sie das Produkt Schnee. Ein Skisportler verschiebt mit seinen Skiern pro | |
Tag bis zu einer Tonne Schnee. Er kratzt ihn von den Kuppen, und | |
transportiert ihn in die Senken. Das ist lästig. | |
Ein natürlich gewelltes Gelände stört den Skigebietsbetreiber? | |
Ja, „Natur“ stört generell. Denn sie entzieht sich der Kontrolle. | |
Was sind denn die Vorteile von Maschinenschnee? | |
Erstens kann man bestimmen, wann er fällt. Und zweitens besteht er aus | |
Eiskugeln, nicht aus Kristallen. Das macht ihn fünfmal so dicht wie den, | |
der gratis vom Himmel fällt. Die Raupe kann ihn also schneller in eine | |
Piste verwandeln. | |
Das hört sich ja überhaupt nicht mehr nach Naturerlebnis an. | |
Ist es auch nicht. Skifahren ist ein durch und durch künstliches Produkt, | |
ganz im Gegensatz zu den Versprechungen, die die Touristikbranche macht. In | |
den Werbebildern der Skibranche sind Sie in der Regel mit neoromantischen | |
Stereotypen des Winters konfrontiert: unberührte Berghänge, dunkle | |
Sennhütten und schneegebeugte Tannen. Ein Kunsthistoriker könnte diese | |
Motive ohne viel Mühe bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen. | |
Seilbahnen zeigt man nicht? | |
Nur andeutungsweise, um Komfort zu bewerben, beispielsweise den beheizten | |
Sessellift mit farbig getönter Windschutzklappe, durch die hindurch die | |
Bergwelt lilafarben wirkt. Aber die Hochspannungsleitungen, dank derer die | |
Seilbahnen laufen, werden wegretuschiert. Und die unverzichtbaren | |
Pistenraupen tauchen auf Fotos gar nicht auf – nur ihr Produkt: die | |
glattgebügelte Piste. Es gab mal Phasen in den Nachkriegsjahren, da wurden | |
Skilifte und Seilbahnstützen zu Werbemotiven, man zeigte technischen | |
Fortschritt. Mit dem wachsenden Umweltbewusstsein ab den 70er Jahren | |
blendet die touristische PR-Maschinerie das lieber aus. Zersiedelte Täler, | |
Betonplattformen oder Lifte, an denen die Menschen anstehen wie das Vieh | |
vorm Schlachthaus – das alles wird nicht gezeigt. | |
Werden Touristen betrogen? | |
Nein, sie lassen sich von einer rückwärtsgewandten Ästhetik verzaubern. | |
Wintersportgebiete waren immer Fabriken für touristische Zufriedenheit. Und | |
die touristischen Werbebilder wecken Erwartungen an die Kulturlandschaft. | |
Was meinen Sie damit? | |
Wir haben am Institut ein Softwareprogramm entwickelt, mit dem wir den | |
historischen Bestand eines Vorarlberger Postkartenverlags, auf denen | |
Skilifte abgebildet waren, analysiert haben. Dabei fiel bald auf, dass sich | |
einige, wenige Motive stets wiederholten: die von einem Lift bergwärts | |
gezogenen Skifahrer, meist Mann und Frau, dahinter die unverbaute | |
Alpenkulisse. Das waren die meistverkauften Karten. Es gab auch Postkarten | |
mit Pistenraupe darauf, aber dieses Bildmotiv wurde nicht gekauft. Warum? | |
Weil es dem Wintertourismus seine Unschuld nahm. | |
Die Postkarte ist out. Welche Fotos schießen Touristen selbst mit ihren | |
Smartphones? | |
Sie wiederholen diese Ausblendungen instinktiv selbst. Sie sind geschult | |
durch die Werbeanzeigen der Skiindustrie. Sie treten zwei Schritte zur | |
Seite, dann verschwinden plötzlich die Schneekanonen oder die Betonstützen | |
aus dem Sucher. | |
Jetzt wachsen Gästegenerationen heran, für die Technologie und | |
Kunstschneebänder auf der grünen Wiese normal sind. | |
Großangelegte, repräsentative Meinungsumfragen zeigen, dass die | |
überwiegende Mehrheit gerade deutscher, junger Wintertouristen technisch | |
produzierten Schnee ablehnen, selbst wenn sie auf ihm herumfahren. | |
Wozu der Kampf gegen die immer schneeärmeren Winter? | |
Viele Skigebietsbetreiber nehmen den fehlenden Schnee nicht als | |
klimatisches Phänomen wahr, sondern als entstehende Kosten. Solange ein | |
Skigebietsmanager die stemmen und mit Maschinenschnee den Betrieb am Laufen | |
halten kann, kann er den globalen Klimawandel als Ideologie und | |
Verschwörungstheorie abtun. | |
Aber es gehen doch Skigebiete aufgrund von Schneemangel auch bankrott? | |
Ja, etliche. Und dann herrscht Fassungslosigkeit, dass plötzlich nicht mehr | |
funktioniert, was doch jahrelang funktioniert hat. Die Schuld suchen die | |
Betreiber dann nicht in der eigenen Verblendung, sondern darin, dass es an | |
Investoren gefehlt oder die Kommunalpolitik Fehler gemacht hat. | |
Wieso ist Skifahren so sauteuer geworden, in Lech kostet eine Tageskarte | |
über 50 Euro. | |
Die Technologie, mit der man versucht, die totale Kontrolle über den Winter | |
zu bekommen, hat die Betriebskosten explodieren lassen. Pro Wintersaison | |
wird schätzungsweise allein in österreichischen Skigebieten Schnee für 50 | |
Millionen Euro produziert. | |
Ein teurer Spaß. | |
Deswegen wird auch das Snowfarming kommen. Man produziert im Winter Schnee | |
vor und lässt ihn abgedeckt in einem Schattenwinkel „übersommern“. | |
Veranstalter von sportlichen Großevents, für die es um Millionen geht, | |
können ihn dort kaufen. | |
Und wie kommt der Schnee dann dahin? | |
Mit dem Lastwagen natürlich. Das hat man schon 1964 für die Winterolympiade | |
gemacht. Damals blickte die skibegeisterte Welt nach Innsbruck, wo aber | |
alles grün war. Weil es noch keine Schneekanonen gab, wurde das Bundesheer | |
freigestellt. Die Soldaten kratzten ringsum in den Bergen den Schnee | |
zusammen, der mit Lastern und Traktoren zur Rennstrecke gefahren wurde. | |
Ähnliches gab es im vergangenen November, da wurden 1.500 Kubikmeter | |
Kunstschnee von Salzburg nach Kitzbühel gefahren. | |
Schnee herumzufahren, das kann ja nicht die Zukunft sein? | |
Die Technologie entwickelt sich. Bald wird es in den österreichischen | |
Skigebieten statt aus Schneekanonen aus künstlichen „Wolken“ schneien, die | |
Schnee deutlich energie- und ressourceneffizienter erzeugen wollen. | |
Künstliche Wolken – das gefürchtete Geo-Engineering? | |
Nein. Das ist eine zeltartige Kammer, in der Wassertropfen und Eisplättchen | |
miteinander vermischt werden und aus der per Knopfdruck Pulverschnee fällt. | |
Werbestrategen bilden die „Wolken“ dann vermutlich extra ab, um ihr | |
Skigebiet als „öko“ zu labeln. | |
Sie glauben nicht an diese Wolkenlösung? | |
Nein, allein der Name ist ein Feigenblatt. Ich erwarte den klassischen | |
Rebound-Effekt, also dass mit der Methode einfach mehr beschneit wird. | |
Haben Sie überhaupt noch Lust zum Skifahren? | |
Lust ja, aber mit meinem Promotionsgehalt kann ich mir das kaum noch | |
leisten. Manchmal fahre ich in die Skigebiete, die noch auf Naturschnee | |
setzen. Den Idealismus der BetreiberInnen unterstütze ich gerne. | |
19 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Margarete Moulin | |
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