# taz.de -- Skifahren in den bayerischen Alpen: Die Münchener Hausberge | |
> Die Anreise ist nur kurz. Von München aus sind die Wintersportgebiete | |
> Spitzing, Brauneck und Sudelfeld bequem und schnell erreichbar. | |
Bild: Im Pulverschnee geht es bergab im Skigebiet Sudelfeld | |
„Du bist die Gabi, oder?“ Sie haben sich gefunden. Gabi und Rainer haben | |
sich in einer offenen Facebook-Gruppe verabredet, in der Freunde des | |
Bergwanderns Partner für Ausflüge ins alpine Oberland suchen. Rainer kommt | |
aus München und bezeichnet sich als „bergverrückt“. Wie Gabi ist er um die | |
50. Beide haben Schneeschuhe an ihre Wanderrucksäcke gebunden. Gabi ist aus | |
Holzkirchen. Von der Marktgemeinde aus, die zwischen München und den | |
bayerischen Alpen liegt, kann sie sehen, wieviel Schnee auf den Bergen | |
liegt. In dieser Woche sind nicht nur die Gipfel weiß. In München liegt | |
„kein Brösel Schnee“, wie Rainer sagt. Der Himmel ist blau und die beiden | |
freuen sich auf einen Winterwandertag in den Bergen. | |
Sie wollen zum Spitzing. So nennen die Münchner das Skigebiet um den | |
Spitzingsee, der oberhalb der Gemeinde Schliersee liegt, 60 Kilometer vom | |
Stadtzentrum Münchens entfernt. Gabi und Rainer sind nicht allein unterwegs | |
Richtung Alpen. Der Zug der Bayerischen Oberlandbahn, in dem sie sich | |
erkennen, ist voll. Weil Snowboarder und Skifahrer raumgreifende | |
Wintersportbekleidung tragen, fühlt es sich besonders eng an. Hinter | |
Holzkirchen hat man vom Zug aus freie Sicht auf die Autobahn. Es ist Stau. | |
In diesem Jahr gibt es sogar Naturschnee. Echten Schnee. Solchen, der vom | |
Himmel gefallen ist. Das ist nicht in jedem Jahr so. Skifahren kann man | |
dennoch. Trotz Klimawandels. Schneekanonen sorgen für die Beschneiung. | |
Mit dem Einsatz von Beschneiungsanlagen reagieren die Skigebiete auf den | |
Klimawandel. Die Erderwärmung wird mit Schneekanonen bekämpft. So | |
bezeichnet Axel Döring das, was auch in den bayerischen Skigebieten | |
passiert. Der pensionierte Förster ist so etwas wie das Gesicht der | |
Umweltbewegung in den Bergen. Er hat federführend gegen die | |
Olympiabewerbung Garmisch-Partenkirchens gekämpft. Die Beschneiung der | |
nicht gerade hochgelegenen Skigebiete, die von den Münchnern für einen | |
Tagesausflug so geschätzt werden, hält er schlicht für unsinnig. | |
Er hat dokumentiert, wie die Pisten rund um seinen Heimatort im | |
Werdenfelser Land planiert wurden, und hat ausgerechnet, was der Ausbau des | |
Sudelfelds bei Bayrischzell die Umwelt kostet. Er hat Klagen angestrengt | |
gegen die Umgestaltung des Almensattels zu einem Komfortskigebiet, gegen | |
die Genehmigung von großflächigen Beschneiunganlagen. | |
## Skitaugliche Beschneiung | |
Wer an diesem Wochenende von Bayrischzell aufs Sudelfeld hinauffährt, | |
möchte sicher nicht wissen, dass 2 Kilowattstunden aufgewendet werden | |
müssen, um einen Quadratmeter Piste 30 Zentimeter hoch zu beschneien. Die | |
skitaugliche Beschneiung einer 200 Meter langen Piste mit einer Breite von | |
50 Metern würde demnach 20.000 Kilowattstunden Energie verbrauchen. Zum | |
Vergleich: Ein Vierpersonenhaushalt verbraucht im Jahr um die 4.000 | |
Kilowattstunden. | |
An einem Skitag geht es um andere Zahlen. 38 Euro zum Beispiel. So viel | |
kostet ein Tagespass für das Sudelfeld. Wer keine eigenen Ski hat, der kann | |
sich an der Talstation des Waldkopflifts Ausrüstung ausleihen. Nach einem | |
faszinierenden Blick auf das Alpenpanorama zwischen Thraiten und | |
Wendelsteins gilt es, sich im neu errichteten Sichtbetonservicezentrum des | |
Skigebiets vor einem Bildschirm zu postieren. Damit es schneller geht mit | |
der Ausleihe, gibt man Name, Anschrift, Körpergröße und Gewicht in eines | |
der drei Terminals ein, die gleich hinter dem Eingang stehen. Dann darf man | |
zur Kasse. Gut möglich, dass dann jemand fragt: „Magst einen Premium-Ski | |
heute?“ Wer ja sagt, muss dann ein bisschen mehr zahlen. Knapp 50 Euro kann | |
die Ausleihe von Ski, Schuhen, Stöcken und einem Helm dann kosten. Wer das | |
einfachste Material ausleiht, zahlt 28 Euro. Dann geht es zur | |
Materialausgabe. | |
Riesige Hängeregale auf Rollen werden von den Mitarbeitern bewegt, um die | |
richtigen Ski zu holen. „Einen Premium-Ski?“, fragt der Mann noch einmal | |
nach, dessen Namensschild sagt, dass er Sepp heißt. Wenigstens etwas Uriges | |
in dieser Ausleihstation, die man ihrer zweckmäßigen Optik wegen getrost | |
Sportfabrik nennen kann. Der Sepp fragt, wie gut man Ski fahren kann, | |
stellt die Bindung ein und wünscht viel Spaß. Jetzt aber raus auf die | |
Piste! Noch ein Blick auf die alte Waldkopfhütte, die man hinter dem neuen | |
Skizentrum kaum sieht. Eine Schweinshaxe für 9,90 Euro kann man da essen. | |
Im Radio läuft Bayern 1. Immer noch Stau auf der Autobahn aus München. Es | |
wird voll werden an diesem Tag. | |
In kaum zwei Minuten ist man mit dem Waldkopflift oben. Mit fünf anderen | |
schwebt man hoch. Ein Plastikwindfang sorgt dafür, dass man nicht ins | |
Frieren kommt und die Sitze sind gepolstert. Im Wettlauf um die Skifahrer, | |
deren Zahl jedes Jahr weiter abnimmt, setzen die Liftbetreiber auf Komfort. | |
Wer am Sudelfeld im alten Dreiersessellift Richtung Speckalm fährt, ist um | |
die fünf Minuten unterwegs. „Gefrierfleischlift“ ist so ein Wort für eine | |
derartige Anlage. Im Wettbewerb um die Wintertouristen wollen viele | |
Liftbetreiber diese Anlagen ersetzen. Am Sudelfeld gibt es auch Pisten, die | |
mit einem Achtersessellift erreicht werden können. | |
## Überfüllte Pisten | |
Thomas Frey, der für den Bund Naturschutz die Pistenerschließungen vor | |
allem im Allgäu kritisch begleitet, schildert anschaulich, was das | |
bedeutet. Früher, sagt er, sei man am Lift angestanden, jetzt stehe man auf | |
der Piste, weil die einfach überfüllt sei. Er hat recht. Es ist eng auf den | |
Abfahrten. | |
Bisweilen muss man einer Schneekanone ausweichen. Von denen sind nicht | |
wenige fest installiert. Die Wasserleitungen verlaufen unterirdisch vom | |
künstlichen Wasserspeicher zu den Beschneiungsanlagen. Als all das gebaut | |
wurde, sah es oben auf dem Sudelfeld nicht viel anders aus als auf einer | |
Baustelle für eine innerstädtische Großsiedlung. Gewonnen hat die | |
Landschaft nicht durch die neuen Anlagen. Zu viel davon ist auch im Sommer | |
zu sehen. Die Zementwannen für die Schneekanonen werden von den Betreibern | |
Naturspeicherteich genannt. Natürlich sind sie natürlich nicht. | |
Das ist am Brauneck auch nicht anders. Auch das Skigebiet bei Lenggries | |
gehört zu den Münchner Hausbergen und verfügt seit sieben Jahren über einen | |
Speicherteich für seine Beschneiungsanlagen. Die Naturschützer des Vereins | |
Mountain Wilderness haben ihn mal als „Bock des Jahres“ prämiert. Die | |
Gemeinde Lenggries sieht das anders. Sie kann sich Wintertourismus ohne | |
durchgehenden Skibetrieb nicht vorstellen und bezeichnet den Teich gar als | |
Bereicherung für die Berglandschaft. Wenn es genug Naturschnee gibt, der | |
See gar zugefroren ist, stört er das Auge nicht weiter. Im Sommer möchte | |
man ihn lieber nicht sehen. Aber wer sich hochgearbeitet hat zum | |
Gipfelhaus, der möchte lieber nicht über Kunstschnee und seine | |
Begleiterscheinungen sprechen. Am Ende schmeckt der Kaiserschmarrn, den man | |
zum Ausblick über den Karwendel dazubestellen kann, nicht mehr. Der | |
künstliche Winter ist nur selten ein Thema. | |
Dabei fühlen sich gerade Skifahrer als Freunde der Natur. Thomas Frey vom | |
BUND ist sich zum Beispiel sicher, dass sich die Staatspartei CSU mit ihrem | |
Heimatminister Markus Söder verrannt hat, als sie im Allgäu alles dafür | |
getan hat, um ein geschütztes Terrain am Riedberger Horn unweit von | |
Oberstdorf an eine Skischaukel anzuschließen. Die Voten der Bevölkerung | |
gegen Olympische Spiele in Bayern, gegen eine dritte Startbahn für den | |
Flughafen München würden zeigen, dass es den Menschen irgendwann zu viel | |
werde mit dieser ewigen Erschließerei des Landes. Noch ist nicht | |
entschieden, ob am Riedberger Horn wirklich ein Skiparadies mit | |
sichergestellter Beschneiung entsteht. Frey muss lachen, als er über den | |
geplanten Übergang zum Skigebiet Großgehren spricht. Südseite sei das. „Da | |
werden sie sich auch mit Kunstschnee schwertun“, meint er und hofft, dass | |
der Schutzraum für selten gewordene Tier- und Pflanzenarten am Riedberger | |
Horn erhalten bleibt. | |
## Es gibt Alternativen | |
Dass man nicht auf Kunstschnee setzen muss im Wintertourismus, haben | |
etliche Gemeinden in den Bayerischen Alpen schon vorgemacht. Bei Immenstadt | |
wird nur noch Ski gefahren, wenn Schnee liegt. Auch in Pfronten, wo einst | |
der alpine Skizirkus regelmäßig zu Gast war, hat man sich gegen | |
Investitionen in Beschneiungsanlagen ausgesprochen. | |
Es fahren eh immer weniger Menschen Ski. An der Fakultät für Tourismus der | |
Hochschule München geht man davon aus, dass bis 2030 der Markt für Ski- und | |
Snowboardtourismus um 9 Prozent zurückgeht. Die Skigebiete kämpfen also um | |
eine schwindende Zahl von Wintersportlern. Für Thomas Frey lassen sich die | |
Gemeinden, die auf Schneesport setzen, auf ein „mörderisches Wettrennen“ | |
ein. | |
An drei Münchner Hausbergen haben sich die Liftbetreiber und die Gemeinden | |
jedenfalls entschieden, das Spiel mitzuspielen. Neben dem Brauneck und dem | |
Sudelfeld wird auch das Gebiet um den Spitzingsee großflächig künstlich | |
beschneit. | |
Dass man auch ohne Skifahren sein Winterglück in den Bergen finden kann, | |
wissen Gabi und Rainer. Sie haben sich bei ihrer großen Runde um den | |
Spitzingsee über Schliersee auf ihren Schneeschuhen durch die Berge | |
gearbeitet. Und der Kaiserschmarrn auf der Oberen Firstalm schmeckt auch, | |
wenn man nicht mit Skiern unterwegs ist. | |
17 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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